17. März 2023
Vergaberecht

Bundesrat fordert Anhebung der Schwellenwerte im Vergaberecht

Der Bundesrat fordert die Anhebung der EU-Schwellenwerte im Vergaberecht und die Einführung eines Sonderschwellenwerts für Planungs- und freiberufliche Leistungen.

Die EU-Schwellenwerte im Vergaberecht entscheiden darüber, ob ein öffentlicher Auftrag oder eine Konzession in den Anwendungsbereich des Oberschwellenvergaberechts gem. §§ 97 ff. GWB fällt. Maßgeblich ist insoweit der vor Beginn eines Vergabeverfahrens geschätzte Netto-Auftragswert. Ist das Oberschwellenvergaberecht anwendbar, ist der jeweilige Auftraggeber grds. zur Durchführung einer europaweiten Ausschreibung verpflichtet. Andernfalls kann lediglich die Pflicht zur Durchführung eines nationalen Vergabeverfahrens bestehen. Die derzeit geltenden Schwellenwerte finden Sie hier.

Die EU-Schwellenwerte beruhen auf den Verpflichtungen der Europäischen Union nach dem internationalen Beschaffungsübereinkommen (Government Procurement Agreement – GPA) und werden in Sonderziehungsrechten (SZR) ausgedrückt. Der Wechselkurs der SZR richtet sich nach einem Währungskorb, in dem die international wichtigsten Währungen (US-amerikanischer Dollar, japanischer Yen, Euro, britisches Pfund, chinesischer Renminbi) gewichtet vertreten sind. Eine Überprüfung der Höhe der Schwellenwerte findet alle zwei Jahre durch die Europäische Kommission statt. Sie beschränkt sich allerdings lediglich auf die Anpassung an Wechselkursentwicklungen. Preisentwicklungen oder die Inflation werden nicht berücksichtigt.

Kontinuierliches Absinken der Schwellenwerte

Angesichts dieser Zusammenhänge hat der Bundesrat anlässlich eines Antrags Bayerns festgestellt, dass die Höhe der seit 1994 nahezu unveränderten Schwellenwerte im Hinblick auf die zwischenzeitliche Preisentwicklung nicht mehr zeitgemäß sei. Die Marktpreise sowohl für Liefer- und Dienstleistungen als auch für Bauleistungen seien in den letzten 28 Jahren deutlich gestiegen. Marktpreisbedingt seien die Schwellenwerte daher faktisch kontinuierlich abgesunken. Dies führe dazu, dass heute Leistungen europaweit ausgeschrieben werden müssten, die 1994 inflationsbereinigt noch unterhalb des einschlägigen Schwellenwerts gelegen hätten. Hierdurch habe die Bedeutung des Oberschwellenvergaberechts erheblich zugenommen.

Forderung einer marktpreisgerechten Erhöhung der Schwellenwerte

Auch angesichts der derzeitigen Inflation von rund 10 % ist nach Auffassung des Bundesrats eine angemessene und marktpreisgerechte Erhöhung der Schwellenwerte dringend erforderlich, um vor allem den Verwaltungs- und Kostenaufwand auf Auftraggeber- und Auftragnehmerseite zu reduzieren, die Anzahl der aufwendigen Verfahren im Oberschwellenbereich deutlich zu verringern und die konjunkturstützenden öffentlichen Investitionen zu beschleunigen. Dies gelte insbesondere angesichts der föderalen Behördenstruktur in Deutschland und der dadurch bedingten Vielzahl kleinerer öffentlicher Auftraggeber. Diese seien auch aufgrund fehlenden qualifizierten Personals bei der Ausschreibung aufwendiger Oberschwellenvergaben benachteiligt.

Der Bundesrat hat die Bundesregierung daher aufgefordert, sich auf europäischer Ebene unverzüglich für eine inflationsbedingte Erhöhung der Schwellenwerte einzusetzen (Bundesrat-Drucksache 602/22). Hierfür müsse die Kommission baldmöglichst Verhandlungen mit der Welthandelsorganisation über das GPA aufnehmen. Zur Begründung verweist der Bundesrat insoweit auch auf Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2014/24/EU (sog. Vergaberichtlinie), der bei der nächsten Verhandlungsrunde eine Erhöhung der im GPA festgelegten Schwellenwerte verlange.

Der Bundesrat hat die Bundesregierung zudem aufgefordert, sich dafür einzusetzen, den bisherigen zweijährigen Überprüfungsturnus der Schwellenwerte zu verkürzen. Er schlägt zukünftig einen inflationsbedingten jährlichen Überprüfungsturnus vor.

Sonderschwellenwert für Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen

Für Planungs- und freiberufliche Leistungen soll nach der Vorstellung des Bundesrats ein Sonderschwellenwert eingeführt werden. Für diese Leistungen gilt derzeit ein Schwellenwert von EUR 215.000 netto. Diesen Wert sieht der Bundesrat als zu niedrig an, insbesondere vor dem Hintergrund, dass angesichts des gegen die Bundesrepublik Deutschland eingelegten Vertragsverletzungsverfahrens dem Europäischen Gerichtshof eine Streichung von § 3 Abs. 7 S. 2 VgV für möglich gehalten wird. Diese Vorschrift sieht vor, dass bei Planungsleistungen – anders als bei sonstigen Dienstleistungen – nur die Auftragswerte von Losen über gleichartige Leistungen im Rahmen der Auftragswertschätzung addiert werden müssen. Ungleichartige Planungsleistungen können infolgedessen häufig im Rahmen einer nationalen Ausschreibung vergeben werden. Bei einer Streichung dieser Vorschrift dürfte der Schwellenwert von derzeit EUR 215.000 netto hingegen deutlich häufiger überschritten werden, da bei einem Bauvorhaben dann die Auftragswerte aller Planungsleistungen zusammenzurechnen wären. Der Bundesrat befürchtet dementsprechend einen deutlichen Anstieg der europaweiten Ausschreibungen von Planungsleistungen, zumal Dienstleistungen von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros sowie von Prüfstellen in Deutschland die zweithäufigsten Beschaffungsgegenstände darstellten. Der Bundesrat weist auch darauf hin, dass eine weitere Erhöhung der europaweiten Verfahren für die staatlichen und kommunalen Bauämter eine enorme Mehrbelastung wäre. Hinzu komme, dass die Systematik der unterschiedlich hohen EU-Schwellenwerte für Dienstleistungen und für Bauleistungen zu einem Wertungswiderspruch bei Infrastruktur- und Bauprojekten führe. Während Bauleistungen erst ab einem Wert von derzeit EUR 5.382.000 europaweit ausgeschrieben werden müssten, sei dies für die zugehörigen Planungsleistungen aufgrund der Abhängigkeit der Honorare von den Baukosten bereits bei Bausummen ab EUR 2,3 Mio. der Fall.

Sofern die Einführung eines Sonderschwellenwerts für Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen nicht umsetzbar ist, hat der Bundesrat die Bundesregierung gebeten, zumindest auf eine Erfassung dieser Leistungen als soziale und andere besondere Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber gem. Anhang XIV der Vergaberichtlinie hinzuwirken. Zur Begründung hat der Bundesrat darauf hingewiesen, dass diese Leistungen i.d.R. nicht binnenmarktrelevant seien, da kaum Angebote aus dem Ausland eingingen. Die Anzahl europaweiter Vergabeverfahren ließe sich durch die Anwendbarkeit des Schwellenwerts von derzeit EUR 750.000 für soziale und andere besondere Dienstleistungen voraussichtlich deutlich verringern.

Unverbindlicher Charakter der Entschließung

Die Entschließung des Bundesrates wurde der Bundesregierung zugeleitet. Sie ist für diese allerdings nicht verbindlich, sondern hat lediglich auffordernden Charakter. Die Bundesregierung ist daher nicht verpflichtet, der Aufforderung des Bundesrates Folge zu leisten und sich für die angeregten Änderungen auf europäischer Ebene einzusetzen. Möglich ist z.B., dass sich die Bundesregierung erst dann mit der Aufforderung des Bundesrats näher auseinandersetzt, wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bezüglich § 3 Abs. 7 S. 2 VgV vorliegt.

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