14. Februar 2020
Massenentlassung Air Berlin Pilot
Arbeitsrecht

Air Berlin: Stolperstein Massenentlassungsanzeige

Kündigungen der Piloten von Air Berlin wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam.

Mit Urteil vom 13. Februar 2020 (6 AZR 146/19 u.a.) hat das BAG entschieden, dass die Kündigungen von insgesamt acht in Düsseldorf stationierten Piloten unwirksam sind. Die Massenentlassungsanzeige sei wegen Verkennung des Betriebsbegriffs bei der unzuständigen Agentur für Arbeit in Berlin-Nord eingereicht worden. Dies habe die Unwirksamkeit der Kündigungen zufolge. Besonders bedeutsam dürften jedoch die weiteren Ausführungen des BAG sein, wonach sich die Massenentlassungsanzeige zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal hätte beschränken dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen-Personal erfassen müssen. Dies würde dazu führen, dass die in Berlin-Nord eingereichten Massenentlassungsanzeigen gänzlich formfehlerhaft wären und sämtliche Kündigungen gegenüber Flugbegleitern, Piloten und Bodenpersonal unwirksam wären.

Piloten hatten ihre Heimatbasis in Düsseldorf

Die Kläger waren bei der insolventen Air Berlin als Piloten beschäftigt. Air Berlin unterhielt an mehreren Flughäfen sog. Stationen, unter anderem auch am Düsseldorfer Flughafen, von wo aus die Kläger ihren Dienst antraten und beendeten. Diesen Stationen war jeweils Personal für die Bereiche Boden, Kabine und Cockpit sowie auch eine bestimmte Anzahl an Flugzeugen und Parkplätzen zugeordnet.

Nachdem im August 2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen von Air Berlin eröffnet wurde und eine Fortführung des Geschäftsbetriebs scheiterte, kündigte Ende November 2017 der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis zu den Klägern sowie das aller anderen Piloten wegen Stilllegung des Flugbetriebs.

Zuvor erstattete Air Berlin die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen „Betrieb Cockpit″ und damit bezogen auf das bundesweit beschäftigte Cockpit-Personal. Dieses Betriebsverständnis beruhte auf den bei Air Berlin tarifvertraglich getrennt organisierten Vertretungen für das Boden-, Kabinen- und Cockpit-Personal. Die Anzeige erfolgte wegen der zentralen Steuerung des Flugbetriebs bei der für den Sitz der Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord.

BAG: Unionsrechtlicher Betriebsbegriff verkannt

Ein Teil der Piloten wehrte sich gegen die Kündigungen und war unter anderem der Auffassung, dass die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit in Düsseldorf hätte eingereicht werden müssen. Dies sah auch das BAG nun so.

In seinem Urteil kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass die Düsseldorfer Station als eigenständiger Betrieb anzusehen sei. Grundlage für das Begriffsverständnis sei nämlich der unionsrechtliche Betriebsbegriff, da § 17 KSchG auf der Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) basiere. In Düsseldorf traten bei typisierender Betrachtung die Auswirkungen der Massenentlassung auf, denen durch eine frühzeitige Einschaltung der zuständigen Agentur für Arbeit entgegengetreten werden soll.

Zudem hätte sich die Anzeige nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beschränken dürfen. Die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG zwingend erforderlichen Angaben hätten vielmehr auch das der Station zugeordnete Boden- und Kabinen-Personal erfassen müssen. Für den Betriebsbegriff der Massenentlassungsrichtlinie sei ohne Belang, dass diese Beschäftigtengruppen kollektivrechtlich in andere Vertretungsstrukturen eingebettet waren.

Sind jetzt alle Kündigungen unwirksam (soweit die Kündigungen noch Gegenstand gerichtlicher Überprüfung)?

Bislang liegt lediglich die Pressemitteilung vor. Aus dieser geht jedoch hervor, dass das BAG wohl alle eingereichten Massenentlassungsanzeigen als fehlerhaft ansieht, da diese jedenfalls Angaben zu Cockpit-, Kabinen-, und Bodenpersonal hätten enthalten müssen. Wäre dies zutreffend, wären nicht nur die Kündigungen gegenüber den außerhalb Berlins stationierten Beschäftigten unwirksam, sondern alle entsprechenden Kündigungen. Hier bleiben aber zunächst die ausführlichen Urteilsgründe abzuwarten.

Fallstrick Massenentlassungsanzeige

Das Urteil zeigt eindrücklich, dass bei der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige besondere Vorsicht geboten ist.

Da § 17 KSchG auf der Massenentlassungsrichtlinie beruht, sind die entsprechenden unionsrechtlichen Begriffsbestimmungen maßgeblich. Dies gilt sowohl für den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff als auch den unionsrechtlichen Betriebsbegriff.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Betrieb im Rahmen von § 17 KSchG die Einheit, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Ein Betrieb kann demnach bereits dann vorliegen, wenn eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität besteht, „die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt″.  Eine rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie der Einheit ist gerade nicht erforderlich. Dem EuGH genügte in der Rechtssache „Athinäiki Chartopoiia″ (EuGH, Urteil v. 15. Februar 2007 – C-270/05) etwa, dass die Einheit über eigene Ausstattung sowie eigenes Fachpersonal verfügte und einen Produktionsleiter hatte.

Nach dem unionsrechtlichen Betriebsbegriff können daher z.B. auch nach § 4 BetrVG unselbstständige Betriebsteile im Rahmen der Massenentlassungsanzeige getrennt zu berücksichtigen sein (vgl. hierzu auch Alles/Zwarg, DB 2014, 2287).

In der Praxis ist daher dringend zu empfehlen, jeweils (ggf. auch) eine eigene Massenentlassungsanzeige für solche Einheiten bei der jeweilig zuständigen Agentur für Arbeit einzureichen. Daneben – insbesondere, wenn die Schwellenwerte in solchen Einheiten nicht erreicht werden – empfiehlt es sich, die Entlassungen bei der Massenentlassungsanzeige am Hauptsitz vorsorglich mit anzuzeigen. Einzelheiten sollten insoweit in einem Begleitschreiben an die Agentur für Arbeit erläutert werden.

Es gilt nach wie vor der Grundsatz: Lieber zu viel als zu wenig anzeigen.

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