7. Februar 2024
Anfechtung Betriebsratswahl Wahlwerbung Whatsapp
Arbeitsrecht

Anfechtung einer Betriebsratswahl wegen unzulässiger Wahlwerbung über WhatsApp

Kann Wahlwerbung über WhatsApp zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl führen? Ja, wenn der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt wird, entschied zumindest das LAG Köln. 

Die Hürden einer erfolgreichen Anfechtung einer Betriebsratswahl sind hoch und nach § 19 Abs. 1 BetrVG möglich,

wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist […].

Ein wesentlicher Wahlgrundsatz ist auch die Chancengleichheit der Wahlbewerber*. Das LAG Köln hat mit Beschluss v. 6. Oktober 2023 (Az.: 9 TaBV 14/23) entschieden, dass die Verletzung der Chancengleichheit durch die von dem Wahlvorstandsvorsitzenden betriebene Wahlwerbung über eine WhatsApp-Verteilerliste, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Stellung und der fehlenden Zugriffsmöglichkeit anderer Wahlbewerber auf diese, die Chancengleichheit verletzen kann.

Die Ausgangslage – WhatsApp Broadcast-Liste des Wahlvorstandsvorsitzenden

In dem Beschwerdeverfahren vor dem LAG Köln ging es um die Anfechtung einer im Mai 2022 in einem Betrieb durchgeführte Betriebsratswahl. An dieser beteiligten sich fünf verschiedene Listen. Darunter befand sich auch die Liste 2, deren Listenführer der Wahlvorstandsvorsitzende war. Dieser war gleichzeitig auch Betriebsratsvorsitzender, Tagesdienstplaner und Disponent.

Der Wahlvorstandsvorsitzende führte eine WhatsApp Broadcast-Liste, in der sich ca. 80 % der Beschäftigten befanden. Broadcast-Nachrichten werden – im Gegensatz zu Gruppennachrichten – als private Nachrichten angezeigt und bieten die Möglichkeit, Nachrichten einseitig an mehrere Empfänger zu versenden. Der Wahlvorstandsvorsitzende erlangte die Kontaktdaten teilweise durch seine Stellung als Disponent. Die Broadcast-Gruppe wurde genutzt, um den Beschäftigten Informationen der Gewerkschaft zukommen zulassen. Zudem sollte die Broadcast-Gruppe als direkter Kommunikationsweg zwischen Arbeitnehmern und dem Betriebsrat dienen. Einen Tag vor der Betriebsratswahl nutzte der Wahlvorstandsvorsitzende die WhatsApp-Liste, um andere Listen zu kritisieren und zur Wahl seiner Liste aufzurufen. Die Antragsteller sahen darin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit.

Das ArbG Köln erklärte die Betriebsratswahl mit Beschluss vom 26. Januar 2023 für unwirksam (Az.: 11 BV 101/22).

Grundsatz der Chancengleichheit ist wesentlich

Das LAG Köln bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und stellt fest, dass die Verbreitung der Wahlwerbung durch den Wahlvorstandsvorsitzenden über die WhatsApp Broadcast-Liste gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoße. Dies führe zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl.

Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber sei zwar weder im BetrVG noch in der Wahlordnung zum BetrVG niedergeschrieben, stelle allerdings einen wesentlichen Wahlgrundsatz im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG dar. Die Chancengleichheit diene der Integrität der Wahl. Jeder Wähler solle im Wahlkampf die gleichen Möglichkeiten haben. 

Die Werbung bei Betriebsratswahlen sei verfassungsrechtlich durch Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG geschützt und Bestandteil eines demokratischen Wahlverfahrens und des Wahlkampfes. Bei der Verbreitung der Wahlwerbung dürften allerdings keine unzulässigen Mittel verwendet werden.

Stellung des Wahlvorsitzenden von Bedeutung

Der Grundsatz der Chancengleichheit sei verletzt, wenn sich Wahlbewerber gegenüber Mitbewerbern unzulässige Vorteile verschaffen würden. Der Wahlvorstandsvorsitzende habe im vorliegenden Fall seine Stellung als Betriebsrats- und Wahlvorstandsvorsitzender sowie Disponent ausgenutzt, um an die Kontaktdaten der Arbeitnehmer zu gelangen. Die Broadcast-Liste habe er nur auf Grund seiner besonderen Stellung erstellen können.

Keine Zugriffsmöglichkeit anderer Wahlbewerber

Weiterhin habe der Wahlvorstandsvorsitzende die Broadcast-Liste den anderen Wahlbewerbern nicht zur Verfügung gestellt. Die anderen Listen hätten weder Zugang zu der Broadcast-Gruppe noch zu den Telefonnummern der der WhatsApp-Gruppe angehörenden Arbeitnehmer besessen. Aufgrund der zeitlichen Nähe zur Betriebsratswahl hätten sie die Kontaktdaten der Gruppenmitglieder auch nicht (anderweitig) in Erfahrung bringen können. 

Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung zum Gebot der Chancengleichheit

Das LAG Köln schließt sich mit seinen Ausführungen zum Gebot der Chancengleichheit der ständigen Rechtsprechung an (BAG, Beschluss v. 6. Dezember 2000 – 7 ABR 34/99). In einer vergleichbaren Konstellation wurde entschieden, dass bereits eine E-Mail mit der Einladung zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung mit folgendem Inhalt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit darstelle: 

Die im Amt Befindlichen treten wieder an und würden sich über Ihr Vertrauen sehr freuen.

Auch hierin liege bereits eine unzulässige Wahlwerbung vor, da die Amtsinhaber ihren Amtsbonus ausgenutzt hätten (LAG Hessen, Beschluss v. 25. Mai 2020 – 16 TaBV 147/19, nachgehend BAG, Beschluss v. 13. Oktober 2020 – 7 ABN 41/20).

Worauf sollte bei der Wahlwerbung geachtet werden?

Das LAG Köln konturiert den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber um weitere Facetten und bestätigt die bisherige ständige Rechtsprechung. Amtsinhaber, die ihre Wiederwahl anstreben, sollten umsichtig den richtigen Kanal für ihre Wahlwerbung wählen. 

Danach dürfte Wahlwerbung grundsätzlich immer gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen, wenn die Wahlbewerber ihre Werbung an andere Arbeitnehmer nur versenden können, weil sie die Kontaktdaten aus einem mit ihrem Amt oder mit ihrer besonderen Stellung verbundenen Kontext erlangt haben und dieser für andere Wahlbewerber nicht zugänglich ist. Um Wahlanfechtungen und damit einhergehende (für den Arbeitgeber teure!) Neuwahlen zu verhindern, sollte darauf geachtet werden, dass die zur Wahlwerbung genutzten Kanäle nicht nur durch die Amts- oder betriebliche Stellung verwendet werden bzw. diesen zur Verfügung stehen. Vermeintlich harmlose Nachrichten über digitale Wege, die schnell verschickt sind, sind rechtlich genauso als Wahlwerbung zu bewerten und müssen sich an den gleichen Voraussetzungen messen lassen wie Plakate oder sonstige „Aktivitäten“ bei der Wahlwerbung.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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