30. April 2020
Arbeit-von-morgen-Gesetz
Arbeitsrecht

Deutscher Bundestag beschließt Arbeit-von-morgen-Gesetz

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil digitalisiert – befristet – das Betriebsverfassungsrecht und möchte die Arbeitswelt auf den Strukturwandel vorbereiten.

Der Deutsche Bundestag hat am 23. April 2020 das „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ (Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung) beschlossen.

Mit den enthaltenen Änderungen soll die Weiterbildung von Beschäftigten verbessert werden, um den Strukturwandel hin zu einer emissionsarmen und digitalen Wirtschaft zu bewältigen. Zudem wird mit dem Gesetz auf die derzeitigen Herausforderungen der Corona-Pandemie reagiert, indem die Digitalisierung vorerst beschleunigt wird. Das Arbeit-von-morgen-Gesetz muss nun im Bundesrat beraten werden, um in Kraft treten zu können.

Beschlussfassung des Betriebsrats und der Einigungsstelle per Video- oder Telefonkonferenz

Um die Handlungsfähigkeit der Betriebsräte auch in Zeiten der Corona-Pandemie zu sichern, beinhaltet das Gesetz unter anderem eine Änderung des BetrVG: Nach dem neuen § 129 BetrVG können Sitzungen und Beschlussfassungen des Betriebsrats abweichend von der eigentlich erforderlichen Abhaltung unter körperlicher Anwesenheit mittels Video- oder Telefonkonferenz erfolgen. Dies gilt rückwirkend ab dem 1. März 2020 und befristet bis zum 31. Dezember 2020, was die Aussichten auf eine dauerhafte Digitalisierung trübt.

Praxistipp: Es sollte die nötige Infrastruktur für Video- oder Telefonkonferenzen des Betriebsrats geschaffen werden, um im Laufe der Corona-Krise handlungsfähig zu bleiben.

Neben den bekannten gesetzlichen Regelungen zu Betriebsratssitzungen (§§ 29 – 35 BetrVG), sind zur Abhaltung von Sitzungen ohne physische Anwesenheit folgende Voraussetzungen genau einzuhalten:

  • Keine Kenntnisnahmemöglichkeit Dritter
  • Keine Aufzeichnungen
  • Bestätigung der Anwesenheit in Textform

Dritte dürfen vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen und es dürfen keine Aufzeichnungen erfolgen. Hierdurch wird dem in § 30 Satz 4 BetrVG enthaltenen Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Betriebsratssitzungen entsprochen. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass eine Telefon- oder Videokonferenz nur unter Verwendung geprüfter und gegen die Zuschaltung Dritter gesicherter Programme stattfinden darf. Videokonferenzen sollten gegenüber Telefonkonferenzen stets Vorrang eingeräumt werden, sofern die entsprechenden technischen Mittel hierfür gegeben sind. Dadurch kann beispielsweise auch visuell überprüft werden, dass sich die Betriebsratsmitglieder allein in einem geschlossenen Raum befinden.

Dem Erfordernis der Niederschrift einer Anwesenheitsliste nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wird Rechnung getragen, indem die Teilnehmenden ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform – also beispielsweise per E‑Mail oder SMS – bestätigen müssen.

Praxistipp: Ein Leitfaden kann den Betriebsrat unterstützen, die Betriebsratssitzungen formell korrekt durchzuführen. Es empfiehlt sich beispielsweise, dass sich der Vorsitzende neben der Teilnahme zudem bestätigen lässt, dass keine unberechtigten Personen von der Sitzung Kenntnis nehmen können.

„Gemischte Sitzungen″, bei denen ein Teil der Mitglieder physisch anwesend und ein anderer Teil per Video oder Telefon zugeschaltet ist, sind unter der Geltung des § 129 BetrVG auch zulässig. Auf diese Weise ist es möglich, den erforderlichen Mindestabstand auch zwischen den physisch anwesenden Mitgliedern zu wahren.

Die Regelungen gelten entsprechend auch für andere betriebsverfassungsrechtliche Gremien und insbesondere die Einigungsstellen, sodass zu Corona-Zeiten nicht gefürchtet werden muss im Zweifelsfall keine Einigungsstelle einsetzen zu können.

Zukünftige Ermächtigung der Bundesregierung zur Verlängerung der Bezugsdauer auf bis zu 24 Monate

Im Eilverfahren verabschiedete der Bundestag am 13. März 2020 bereits im Schnellverfahren einen Teil der Regelungen zur Erleichterung der Kurzarbeit.

Diese Maßnahmen wurden um die Ermächtigung der Bundesregierung ergänzt, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes durch Rechtsverordnung – also ohne Zustimmung des Bundesrates – befristet auf bis zu 24 Monate zu verlängern. Normalerweise hat allein das Bundesministerium für Arbeit und Soziales diese Ermächtigung, von der bekannterweise bisher kein Gebrauch gemacht worden ist.

Hinweis: Die hinzugekommene Ermächtigung der Bundesregierung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen zukünftig auf das Instrument der Kurzarbeit bis in das Frühjahr 2022 zurückgreifen können.

Keine Anrechnung einer Nebentätigkeit im systemrelevanten Bereich auf das Kurzarbeitergeld

Bereits bisher ist eine Nebentätigkeit in systemrelevanten Bereichen bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes nicht zu berücksichtigen, soweit die Summe aus dem Nebeneinkommen, dem Kurzarbeitergeld und dem gekürzten Entgelt (Ist-Entgelt), die Höhe des normalen Entgeltes (Soll-Entgelt) nicht übersteigt.

Für Bezieher von Kurzarbeitergeld, die während des Arbeitsausfalls eine Nebentätigkeit als geringfügig Beschäftigte in systemrelevanten Branchen aufnehmen, entfällt nun die Anrechnung des daraus erzielten Einkommens auf das Kurzarbeitergeld vollständig, also auch dann, wenn das Soll-Entgelt dadurch überstiegen wird.

Verbesserung von Weiterbildungsmaßnahmen

Aufgrund des Strukturwandels und der damit verbundenen Digitalisierung und Automatisierung sollen die Weiterbildungsmaßnahmen in Betrieben verstärkt und verbessert werden; einen allgemeinen Anspruch auf Weiterbildung gibt es nicht. Die Weiterbildung wird stattdessen in den Bereichen verstärkt gefördert, in denen akut eine Arbeitslosigkeit droht, oder ein hohes Substituierbarkeitspotenzial besteht, so beispielsweise bei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder bei Geringqualifizierten. Arbeitgeber können sich freuen, dass eine Förderung unbürokratischer werden soll und teilweise höhere Zuschüsse für Weiterbildungsmaßnahmen gezahlt werden. Hierfür werden die schon bestehenden Förderinstrumente ausgebaut:

  • Die Förderungsbeiträge für Betriebe, in denen ein großer Anteil der Beschäftigten Weiterbildungsmaßnahmen benötigt, werden um 10 % erhöht. In Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten müssen mindestens 10 % und ansonsten 20 % der Beschäftigten Weiterbildungsmaßnahmen benötigen.
  • Diese Fördersätze steigen um weitere 5 %, wenn im Unternehmen Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge zur beruflichen Weiterbildung existieren.
  • Um die Antragsverfahren für die Förderleistungen zu vereinfachen und zu beschleunigen, können die Leistungen ab 2021 in einem Sammelantrag beantragt werden.
  • Damit von den verbesserten Förderbedingungen mehr Beschäftigte profitieren, wird die Mindestdauer für die geförderten Weiterbildungen von 161 Stunden auf 121 Stunden gesenkt.
  • Berufs- und Aufstiegschancen sollen durch den Anspruch auf Förderung einer beruflichen Nachqualifizierung verbessert werden. Diesen Anspruch erhalten Beschäftigte, die einen Berufsabschluss nachholen wollen.
  • Eine Qualifizierung in einer Transfergesellschaft wird künftig für alle Arbeitnehmer, unabhängig von Alter und Berufsabschluss gefördert. Zudem kann die Qualifizierung auch über das Ende des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld hinaus gefördert werden.
  • Das Gesetz hebt die Kostensätze für die Weiterbildungsmaßnahmen an, um die Qualität der Weiterbildungsmaßnahmen zu verbessern.
  • Die zunächst befristet eingeführte assistierte Ausbildung wird weiterhin möglich sein. Dabei erhalten sowohl der/die Auszubildende, als auch der Betrieb Unterstützung, um die Einstiegschancen für Jugendliche mit schlechten Zeugnissen oder ohne Schulabschluss zu erhöhen.
  • Das Gesetz ermöglicht die ausbildungsbegleitende Unterstützung auch für Grenzgänger, die in einem Betrieb in Deutschland ausgebildet werden.
  • Die Vermittlungsprozesse bei der Bundesagentur für Arbeit werden digitalisiert: Ab 2022 können die Arbeitslos- und Arbeitssuchendmeldung elektronisch erfolgen. Für eine Beratung kann zudem auch Videotelefonie genutzt werden.

Fazit

Insbesondere die Regelungen zur digitalen Arbeit der betriebsverfassungsrechtlichen Gremien sind zu begrüßen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich diese in den nächsten Monaten bewähren und möglicherweise dauerhaft in das Betriebsverfassungsrecht integriert werden. Arbeitgeber, die auf einen passenden Zeitpunkt gewartet haben ihre Mitarbeiter weiterzubilden, könnten die aktuelle Situation hierfür nutzen und von den erhöhten Fördersätzen profitieren.

Es sollte jedoch bedacht werden, dass eine Weiterbildung im Einzelfall dem Bezug von Kurzarbeitergeld im Wege stehen könnte. Deshalb ist es ratsam die jeweiligen Weiterbildungsmaßnahmen vorab mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit abzuklären.

Tags: Arbeit-von-morgen-Gesetz Betriebsrat Kurzarbeit

Isabel Meyer-Michaelis