8. Januar 2020
AÜG Abweichungen Gleichstellungsgrundsatz
Arbeitsrecht

AÜG-Reform 2017: Der Gleichstellungsgrundsatz (Teil 2 von 3)

Das AÜG wurde 2017 erneut reformiert. Im zweiten von drei Blogbeiträgen wird die Möglichkeit von Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz des AÜG vorgestellt.

Im ersten Beitrag aus dieser Serie wurden die wesentlichen Elemente des Gleichstellungsgrundsatzes und sich abzeichnende Entwicklungen zusammengefasst. Nachfolgend wird auf einen weiteren Kernaspekt der AÜG-Reform eingegangen, nämlich die nur noch zeitlich beschränkt mögliche Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts (equal pay).

Abweichung durch Tarifvertrag möglich

Von dem Gleichstellungsgebot kann durch einen Tarifvertrag abgewichen werden, soweit die nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte für Beschäftigte* nicht unterschritten werden (§ 8 Abs. 2 S. 1 AÜG). Dafür ist eine beiderseitige, übereinstimmende Tarifbindung von Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer erforderlich. Es reicht nicht aus, dass der Personaldienstleister, insbesondere aufgrund der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband, den Tarifvertrag zu beachten hat.

Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis über Jahre nach den Regeln dieses Tarifvertrags abgewickelt wurde (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 22. Dezember 2015 – 2 Sa 105/15; zu erwägen wäre hierbei aber eine konkludente individualvertragliche Abrede über die Anwendung der Tarifverträge). Soweit der Gleichstellungsgrundsatz durch einem solchen Tarifvertrag abbedungen wird, hat der Personaldienstleister die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren (§ 8 Abs. 2 S. 2 AÜG).

Abweichung kann auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber und -nehmer gelten

In der Praxis sind dies in der Regel die Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB. Im räumlichen, zeitlichen und fachlichen Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags können nach § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser Möglichkeit wird aufgrund des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades in der Zeitarbeitsbranche in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht.

Soweit ein solcher Tarifvertrag die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet, hat der Personaldienstleister dem Zeitarbeitnehmer für jede Arbeitsstunde das im jeweiligen Einsatzbetrieb für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Kunden für eine Arbeitsstunde zu zahlende Entgelt zu gewähren (§ 8 Abs. 2 S. 4 AÜG).

Dynamische Inbezugnahme auf nachwirkenden Tarifvertrag möglich

Im Rahmen des § 8 Abs. 2 S. 1 AÜG kommt einem Tarifvertrag eine andere Bedeutung zu, als er im Regelfall hat. Die gesetzliche Bestimmung lässt nämlich einen Tarifvertrag zur Verschlechterung, nämlich zur Abbedingung des gesetzlich an sich geltenden Gleichstellungsgrundsatzes, zu. Eine arbeitsvertragliche Bezugnahme eines nachwirkenden Tarifvertrags ist nach umstrittener Auffassung auch bei der Einstellung von Zeitarbeitnehmern im Nachwirkungszeitraum zum Ausschluss des equal treatment-Grundsatzes wirksam, wenn die Verweisung dynamisch ausgestaltet ist (Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 8 AÜG Rn. 82; Thüsing/Mengel, § 9 AÜG Rn. 47).

Allerdings scheidet eine Nachwirkung und damit ein hinreichendes tarifliches Substrat für eine entsprechende arbeitsvertragliche Verweisung aus, wenn die bisherigen Tarifvertragspartner keinen Anschlusstarifvertrag mehr anstreben (Bayreuther, BB 2010, 314; Kocher, DB 2010, 903; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 8 AÜG Rn. 83). Mischbetriebe können die Anwendung des Grundsatzes von equal pay/equal treatment durch die Inbezugnahme von einschlägigen Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche vermeiden. Dies gilt selbst dann, wenn diese nicht überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben (BSG, Urteil v. 12. Oktober 2016 – B 11 AL 6/15 R; LSG Hamburg, Urteil v. 23. September 2015 – L 2 AL 64/13; Bissels/Khalil, BB 2013, 315; Lembke/Distler, NZA 2006, 952; inzwischen auch: FW AÜG zu § 8 Nr. 8.5 Abs. 5; a.A. Ulrici, jurisPR-ArbR 9/2017 Anm. 4: ausdrücklich auch gegen BSG, Urteil v. 12. Oktober 2016 – B 11 AL 6/15 R).

Möglichkeit einer befristeten Inbezugnahme ist streitig

Dabei ist es auch nicht zu beanstanden, wenn und soweit diese nur befristet für die Zeit der Arbeitnehmerüberlassung, z.B. in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, für anwendbar erklärt werden (Bissels/Khalil, BB 2013, 318; a.A. Schüren/Hamann, § 8 AÜG Rn. 121; Ulber, § 1 AÜG Rn. 133). Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht dies freilich anders: Die Tarifpartner der Zeitarbeit hätten nach Ansicht der Behörde in den Flächentarifverträgen Leistungen für Einsatzzeiten und Zeiten des Nichtverleihs in einem Gesamtkonzept geregelt.

Die tariflichen Regelungen müssten folglich sowohl für Einsatzzeiten als auch für Nichteinsatzzeiten in Bezug genommen werden. Eine auf die Dauer der Überlassung beschränkte Inbezugnahme befreie – so die BA – den Verleiher nicht von der Anwendung des Gleichstellungsgrundsatzes (vgl. FW AÜG zu § 8 Nr. 8.5 Abs. 5). Erst recht können Zeitarbeitstarifverträge angewendet werden, wenn die Bereiche der Zeitarbeit und des sonstigen Betriebszwecks getrennt und als jeweils selbständige Organisation (Betrieb oder Betriebsabteilung) geführt werden (vgl. Nebeling/Gründel, BB 2009, 2370 f.; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 8 AÜG Rn. 174).

Inbezugnahme des gesamten Tarifvertrags: ganz oder auch teilweise möglich?

Unklar ist, ob es sich im Rahmen von § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG um eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag im Ganzen handeln muss oder auch ein Verweis auf tarifliche Einzelregelungen in Betracht kommt. Nicht ausreichend ist zumindest die Verweisung auf einzelne Tarifnormen. Hinreichend ist allerdings im Übrigen, dass die Bezugnahmeklausel auf sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungskomplexe verweist. Es muss daher nicht der gesamte Tarifvertrag in Bezug genommen werden (vgl. Thüsing, DB 2003, 449). Soweit nicht entsprechend verwiesen wird, verbleibt es bei der gesetzlich an sich vorgesehenen Gleichstellungspflicht ab dem ersten Tag der Überlassung.

Das BAG scheint mit Blick auf die inhaltliche Reichweite der Verweisung eine abweichende Auffassung zu vertreten (Urteil v. 16. Oktober 2019 – 4 AZR 66/18). In einer aktuellen Entscheidung, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, heißt es, dass Arbeitgeber, die als Verleiher Zeitarbeitnehmer an einen Dritten überlassen, vom Grundsatz der Gleichstellung kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung nur dann abweichen können, wenn für den Entleihzeitraum das einschlägige Tarifwerk für die Arbeitnehmerüberlassung aufgrund dieser Bezugnahme vollständig und nicht nur teilweise anwendbar ist. Dies setze insbesondere nach Systematik und Zweck der Bestimmungen des AÜG eine vollständige Anwendung eines für die Arbeitnehmerüberlassung einschlägigen Tarifwerks voraus.

Im konkreten Fall enthalte der Arbeitsvertrag der Parteien hingegen Abweichungen von den tariflichen Bestimmungen, die nicht ausschließlich zugunsten des Arbeitnehmers wirkten, so dass der Gleichstellungsgrundsatz nicht wirksam abbedungen worden sei.

Europarechtswidrigkeit der Abweichungsmöglichkeit vom Gleichstellungsgrundsatz?

Teilweise wird die Abweichungsmöglichkeit vom Gleichstellungsgrundsatz durch einen Tarifvertrag oder eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf diesen als europarechtswidrig angesehen (Wank, BB 2018, 1915; Ulber, RdA 2018, 50 f.; a.A. Schüren/Hamann, § 8 AÜG Rn. 138; Thüsing/Greiner, § 8 AÜG Rn. 45 f., 106 f.; Ulrici, § 8 AÜG Rn. 16).

Es wird dabei argumentiert, dass die Tariföffnungsklausel gem. § 8 Abs. 2 AÜG – unter Berücksichtigung der Tarifwerke der Zeitarbeit (hier: BAP/DGB und iGZ/DGB) – den europarechtlich durch Art. 5 Abs. 3 ZeitarbeitsRL vermittedlten erforderlichen Gesamtschutz der Zeitarbeitnehmer nicht beachte. Die entsprechenden Argumente haben sich auch die Vertreter der sog. „Däubler-Kampagne″ fruchtbar gemacht, über die wir in der jüngeren Vergangenheit mehrfach berichtet haben.

Instanzgerichte verneinen bislang eine Europarechtswidrigkeit

Dieser Ansicht ist das ArbG Gießen mit überzeugenden Erwägungen nicht gefolgt (Urt. v. 14. Februar 2018 – 7 Ca 246/17, BB 2018, 691; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 16/2018 Anm. 3; Motz, AIP 2/2018, 12 ff.). Das Gericht hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass § 8 AÜG den von der Richtlinie geforderten Gesamtschutz der Zeitarbeitnehmer in ausreichendem Maße beachtet, indem das Gesetz die Tarifvertragsparteien jedenfalls auf die Einhaltung der Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit verpflichtet und ihnen gleichzeitig eine zeitliche Grenze für eine Abweichung vom equal pay-Grundsatz vorgibt sowie einen Anreiz zur zeitnahen Heranführung der Löhne an diejenigen der Stammarbeitnehmer setzt.

Unter Berücksichtigung der auch den Tarifverträgen in der Zeitarbeitsbranche zukommenden Richtigkeitsvermutung sind nähere Vorgaben hinsichtlich der Entgelthöhe nicht geboten. Dieser Auffassung sind überzeugend das ArbG Karlsruhe (Urteil v. 10. April 2018 – 7 Ca 284/17) und nachfolgend das LAG Baden-Württemberg (Urteil v. 6. Dezember 2018 – 14 Sa 27/18; dazu: Motz, AIP 2/2019, 3 ff.) gefolgt. Inzwischen hat auch das LAG Nürnberg in zwei Urteilen gegen die sog. „Däubler-Kampagne″ entschieden (vgl. Urteil v. 20. Februar 2019 – 2 Sa 402/18; Urt. v. 3. März 2019 – 5 Sa 230/18).

Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung durch das BAG besteht aber nach wie vor eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Europarechtskonformität von § 8 Abs. 2, 4 AÜG und der in diesen Vorschriften angelegten Abweichungsmöglichkeit von dem Gleichstellungsgebot (Revisionen anhängig unter den Az. 5 AZR 22/19, 5 AZR 131/19 und 5 AZR 143/19).

Abweichung von equal pay nur noch für maximal neun Monate

Von den Bestimmungen des equal pay bzw. equal treatment konnte bis zum 31. März 2017 zeitlich unbegrenzt durch einen wirksamen Tarifvertrag oder eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf diesen zu Lasten des Zeitarbeitnehmers abgewichen werden. Dies war in der Praxis die Regel. Die gesetzlichen Vorschriften waren verfassungsgemäß (BVerfG v. 29. Dezember 2004 – 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03, 1 BvR 2582/03; BAG v. 13. März 2013 – 5 AZR 954/11).

Seit dem 1. April 2017 ist eine Abbedingung von equal pay grundsätzlich nur noch für die ersten neun Monate des Einsatzes des Zeitarbeitnehmers bei einem Kunden möglich (§ 8 Abs. 4 S. 1 AÜG). Im Übrigen ist nach der neuen Rechtslage eine zeitlich unbegrenzte Abweichung von equal treatment hingegen weiterhin statthaft. Der Entleiherbegriff ist – wie bei der Überlassungshöchstdauer – dabei rechtsträger-/unternehmens- und nicht betriebsbezogen zu verstehen (vgl. Thüsing/Greiner, § 8 AÜG Rn. 110; dazu auch: Bissels/Falter, MDR 2019, 198).

Einsatzbegriff: formal oder materiell? Höchstrichterliche Klärung fehlt bislang!

Der Einsatz ist materiell und nicht formal auszulegen. Die Bestimmung der Dauer der Überlassung von neun Monaten orientiert sich folglich – wie bei § 1 Abs. 1b AÜG – an den Zeiten der tatsächlichen Überlassung des konkreten Zeitarbeitnehmers (Nachweise bei: Bissels/Falter, MDR 2019, 199).

Die herrschende Meinung vertritt freilich einen formellen Einsatzbegriff, der auf die Dauer des zwischen dem Kunden und dem Personaldienstleister abgeschlossenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrages abstellt (vgl. die Nachweise bei: Bissels/Falter, MDR 2019, 198). Dieser Ansicht folgt auch die BA (FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 2). Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung dieser Frage sollte zur Vermeidung von Rechtsrisiken, die sich aus der Anwendung des weiteren materiellen Einsatzbegriffs ergeben können, zunächst dem engeren formellen Einsatzbegriff gefolgt werden.

Ab dem zehnten Einsatzmonat ist schrittweise Anpassung möglich

Eine über den vollendeten neunten Einsatzmonat bei dem Kunden hinaus andauernde Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz ist hinsichtlich des Arbeitsentgelts nur noch möglich, wenn für das Arbeitsverhältnis ein (Branchen-)Zuschlagstarifvertrag gilt. Dieser muss nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an das vergleichbare tarifvertragliche Arbeitsentgelt in der Einsatzbranche vorsehen (§ 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AÜG).

Ein Mindestmaß für die gesetzlich vorgesehene Erhöhung existiert nicht; ausreichend ist insoweit, dass sich die maßgebliche Vergütung spätestens ab der sechsten Einsatzwoche um 0,01 Euro pro Arbeitsstunde erhöht (vgl. Bissels/Falter, DB 2017, 1971 ff.; Ulrici, § 8 AÜG Rn. 78; Simon/Koschker, NZA 2018, 758; vgl. dazu LAG Hamm, Urteil v. 7. August 2019 – 3 Sa 404/19, das die Anwendung der ersten Zuschlagsstufe als „Mindestbranchenzuschlag″ bei einer Deckelung durch den Kunden ablehnt).

Anpassung muss nach dem 15. Monat abgeschlossen sein

Dabei haben die sachnahen Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit das gleichwertige tarifvertragliche Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festzulegen. Dieses müssen die Zeitarbeitskräfte spätestens nach 15 Monaten erreichen (§ 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 AÜG).

§ 8 Abs. 4 S. 2 AÜG ermöglicht es, bestehende Branchenzuschlagstarifverträge, die für den Einsatz von Zeitarbeitnehmern in bestimmten Industriesegmenten bereits vor der AÜG-Reform 2017 nach einer kurzen Einarbeitungszeit die Zahlung von Zuschlägen vorsahen, weiterzuentwickeln. Die Regelung betrifft auch künftige neue Tarifverträge, die die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen erfüllen müssen.

Daraus folgt ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum für die sachnahen Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit. Diese können in ihren Tarifverträgen differenziert ausgestalten, wie Zeitarbeitnehmer nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen in welcher Abstufung im Hinblick auf die Einsatzdauer und die Vergütung an das gleichwertige tarifvertragliche Arbeitsentgelt in der Einsatzbranche herangeführt werden. Hiermit sollen auch Anreize zum Abschluss weiterer (Branchen-)Zuschlagstarifverträge gesetzt werden. Diese kommen insbesondere Zeitarbeitnehmern mit kurzen Einsatzzeiten zugute (vgl. BT-Drucks. 18/9232, 24).

Tarifverträge können vertraglich auch bei Nicht-Tarifgebundenen einbezogen werden

Im Geltungsbereich eines Tarifvertrags nach § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich, insbesondere durch entsprechende Bezugnahmeklauseln auf diese, vereinbaren (§ 8 Abs. 4 S. 3 AÜG).

Derartige, von den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeit mit den DGB-Gewerkschaften geschlossene Branchenzuschlagstarifverträge gelten bereits jetzt in zahlreichen Bereichen, z.B. in der Metall- und Elektroindustrie und der Chemie. Diese sind inzwischen an die neuen gesetzlichen Erfordernisse angepasst worden, indem dort u.a. eine 6. Zuschlagsstufe nach dem vollendeten 15. Einsatzmonat vorgesehen ist (vgl. zu den Branchenzuschlagstarifverträgen 2017: Bissels/Falter, DB 2017, 1968 ff.; Simon/Koschker, NZA 2018, 755 ff.).

Gleichwertig ist nicht unbedingt gleich hoch

Dabei dürften es die gesetzlichen Vorschriften auch ermöglichen, dass durch die Anwendung der Branchenzuschläge in der letzten Stufe der tariflichen Näherung (also nach 15 Monaten) an das gesetzlich vorgesehene equal pay keine vollkommene Lohngleichheit eintreten muss. Den Tarifvertragsparteien bleibt es vorbehalten, eine Vergütung zu definieren, die mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche als „gleichwertig“ anzusehen ist.

Dabei haben diese einen weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum. Dieser kann dergestalt genutzt werden, einen Betrag festzulegen, der – wie in den gegenwärtig geltenden Branchenzuschlagstarifverträgen vorgesehen – unter 100 % des Vergleichsentgelts liegt (in der Regel bei maximal 90 %, vgl. nur § 2 Abs. 4 TV BZ ME i.V.m. Ziff. 2 des Verhandlungsergebnisses; § 2 Abs. 4 TV BZ Chemie; im Ergebnis auch: Thüsing, DB 2016, 2665, der allerdings eine Missbrauchskontrolle zulassen möchte; ähnlich Sprenger, ZTR 2016, 558: „Willkürkontrolle“; Greiner, RdA 2017, 160; Ulrici, § 8 AÜG Rn. 77; a.A. Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 8 AÜG Rn. 135; Schüren/Hamann, § 8 AÜG Rn. 177, 179).

Ob Gleichwertigkeit vorliegt, kann von Behörden und Gerichten geprüft werden

„Gleichwertig“ meint nämlich nicht zwingend objektiv „gleich hoch“ (Thüsing/Beden, NZA 2018, 406 f.). Die Festlegung darf dabei allerdings nicht offensichtlich und grob ungleich gewichtet sein. Dies kann von den Behörden und Gerichten im Rahmen einer Evidenzprüfung kontrolliert werden (Thüsing/Greiner, § 8 AÜG Rn. 121; BeckOK ArbR/Motz, § 8 AÜG Rn. 199; Thüsing/Beden, NZA 2018, 406 ff. mit dem Vorschlag eine Sicherheitsklausel in den Tarifvertrag aufzunehmen, nach der der Zeitarbeitnehmer einen Anspruch auf Ausgleich der Entgeltdifferenz hat, wenn er darlegt, dass das ihm gewährte Entgelt nicht gleichwertig ist).

Wesentlich ist, dass von den Tarifvertragsparteien das gleichwertige tarifvertragliche Arbeitsentgelt in dem jeweiligen Tarifvertrag formal als gleichwertig bezeichnet wird, ohne dass aber eine ausdrückliche und konkrete Bezifferung erfolgen muss (vgl. Ulrici, § 8 AÜG Rn. 76, der zu Recht davon ausgeht, dass sich durch eine Auslegung ergeben kann, dass ein bestimmtes Entgelt für eine bestimmte Laufzeit von den Tarifvertragsparteien als gleichwertig angesehen wird). Es bedarf jedoch des „Stempels“ der beteiligten Tarifvertragsparteien.

Vereinfachungen sind bei komplexen Sachverhalten möglich

Dabei ist es auch möglich, bei der Berechnung von equal pay gewisse Pauschalierungen vorzunehmen. Komplexe Entgeltstrukturen, wie ERA in der Metall- und Elektroindustrie als mögliche Einsatzbranche, müssen nicht 1:1 abgebildet werden. Vielmehr können die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit zu gewährende Zuschläge an den brancheneigenen Entgelttabellen festmachen und mit dem Abschluss entsprechender Branchenzuschlagstarifverträge die Festlegung und Abrechnung des zwingenden equal pay erheblich vereinfachen.

Zudem müssen außer- und übertarifliche Entgeltbestandteile der Zielbranche in den Zuschlagstarifverträgen nicht abgebildet werden. Erfüllt ein Branchenzuschlagstarifvertrag nicht die Erfordernisse des § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG, ist dieser zumindest als Tarifvertrag i.S.v. § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG zu qualifizieren. In letzter Konsequenz sind dem Zeitarbeitnehmer dann in den ersten neun Monaten des Kundeneinsatzes die vorgesehenen Branchenzuschläge zu gewähren. Danach gilt der zwingende gesetzliche Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts.

In diesem Zusammenhang dürfte sich allerdings die bislang in der Literatur nicht diskutierte Frage stellen, ob nicht doch ein Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist, bei dem das Vergleichsentgelt bei dem Kunden der tariflichen Vergütung des Zeitarbeitnehmers einschließlich der Branchenzuschläge gegenüber zu stellen ist.

Personaldienstleister werden vor erhebliche Herausforderungen gestellt

Kritisch ist anzumerken, dass durch die mit Wirkung zum 1. April 2017 erfolgte Anpassung von § 8 AÜG das in Zusammenhang mit einem zwingenden equal pay für die Praxis wesentliche Problem nicht gelöst wird: Die nach grundsätzlich neun Monaten Einsatzdauer erfolgende zwingende Gleichstellung von Zeitarbeitnehmern und Stammbeschäftigten bei der Vergütung wird für die Personaldienstleister erhebliche organisatorische und administrative Herausforderungen nach sich ziehen.

Diese beginnen mit der Frage, welche Entgeltbestandteile wie bei der Bestimmung von equal pay zu berücksichtigen sind (gerade bei variablen Vergütungsbestandteilen dürften erhebliche Schwierigkeiten entstehen, das equal pay objektiv richtig zu berechnen). Sie setzen sich fort bei der Beschaffung der maßgeblichen Informationen bei dem Kunden und der entsprechenden internen Dokumentation.

Das „Konzept“ der Reform geht nicht auf

Gerade bei der Bestimmung des „richtigen“ equal pay hätte der Gesetzgeber gut daran getan, klarere Vorgaben, ggf. im Sinne einer Pauschalisierung, zu machen, die für die Praxis eine taugliche Orientierung dargestellt hätte. Abgesehen davon wurde durch die AÜG-Reform 2017 eine Kombination von einer Überlassungshöchstdauer und einem zwingenden equal pay geschaffen, obwohl Erstgenannte für Zeitarbeitnehmer durchaus nachteilig wirken kann. Dies ist der Fall, wenn die Mitarbeiter nach neun Monaten monetär mit Stammbeschäftigten im Einsatzbetrieb gleichgestellt, aber nach 18 Monaten abgemeldet werden müssen, um sodann bei einem anderen Kunden für im Zweifel weniger Geld weiterbeschäftigt zu werden. Dass dieses „Konzept“ nicht sinnvoll sein kann, liegt auf der Hand und bedarf dringend einer Anpassung.

Zudem sieht § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG – wie bei der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG – eine Anrechnung vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Personaldienstleister an denselben Kunden vor, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. Um Umgehungsstrategien zu vermeiden, werden kurzfristige Unterbrechungen der Überlassungszeiten bei der Berechnung des Neun- bzw. Fünfzehn-Monats- bzw. des Sechs-Wochen-Zeitraums nicht berücksichtigt.

Auch in diesem Zusammenhang gilt der materielle Einsatzbegriff (Nachweise bei: Bissels/Falter, MDR 2019, 199), so dass sämtliche Zeiten, in denen der Zeitarbeitnehmer – unabhängig von dem Grund – nicht bei dem Kunden tätig wird bzw. werden kann, als Unterbrechung i.S.v. § 8 Abs. 4 S. 4 AÜG zu qualifizieren sind. Herrschend wird allerdings der formale Einsatzbegriff vertreten, der bis zu einer höchstrichterlichen Klärung als maßgeblich angesehen werden sollte (Nachweise bei: Bissels/Falter, MDR 2019, 198).

Auch Fristberechnung bereitet Probleme

Die für die Anwendung des zwingenden equal pay maßgeblichen Einsatzzeiten des Zeitarbeitnehmers sind auf Grundlage der Übergangsregelung in § 19 Abs. 2 AÜG erst ab dem 1. April 2017 zu berücksichtigen. Dies gilt selbst dann, wenn der Mitarbeiter an den konkreten Kunden schon vor diesem Zeitpunkt überlassen wurde. Die neunmonatige Einsatzzeit konnte – ausgehend von diesem Zeitpunkt – frühestens ab dem 1. Januar 2018 überschritten werden.

Nicht abschließend geklärt ist allerdings die in diesem Zusammenhang „richtige″ Fristberechnung nach § 8 Abs. 4 S. 1, 2 und 4 AÜG. Im Ergebnis ist die Anwendung von § 191 BGB abzulehnen (so: Bayreuther, NZA 2017, 19; Bauer, BD 11/2016, 8 f.; Bissels/Falter, ArbR 2017, 36; Lembke, NZA 2017, 4; differenzierend Thüsing/Greiner, § 8 AÜG Rn. 114, 122; im Grundsatz auch FW AÜG zu § 8 Nr. 8.4 Abs. 1, 5). Wäre § 191 BGB zu beachten, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die Berechnung der Frist für die Einschlägigkeit des zwingenden equal pay. Die Einsatzdauer von neun Monaten wäre nach Maßgabe von § 191 BGB – ausgehend vom 1. April 2017 – erstmals schon mit Ablauf des 26. Dezember 2017 erreicht worden.

Fortsetzung folgt

Im dritten und letzten Teil dieser Blogserie werden die Darlegungs- und Beweislast für Ansprüche aus dem Gleichstellungsgrundsatz und die Möglichkeit von Kündigungen wegen equal pay vorgestellt.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Abweichungen AÜG Gleichstellungsgrundsatz Reform