BAG hilft Arbeitgebern: Arbeitgeber haben gegen Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch über Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur und des Jobcenters.
Kündigungsschutzverfahren begründen für Arbeitgeber stets ein hohes Kostenrisiko: Stellt sich im Rahmen eines – häufig langwierigen – Prozesses eine Kündigung als unwirksam heraus, hat der Arbeitnehmer* grundsätzlich für die gesamte Zeit seit dem vermeintlichen Ende des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf seine vollständige, vertraglich vereinbarte Vergütung, und zwar inklusive Boni und Provisionen. Das kann teuer werden!
BAG schafft Handlungsoption
Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn wird unter anderem in den Fällen gekürzt, in denen es der Arbeitnehmer böswillig unterlässt, anderweitige Einkünfte zu erzielen (§ 615 S. 2 BGB und § 11 Nr. 2 KSchG). In der Praxis können Unternehmen aber nur schwer überprüfen und beweisen, ob anderweitige Arbeitsangebote bestanden. Insbesondere im Hinblick auf Arbeitsangebote der Agentur für Arbeit und der Jobcenter verbietet das Sozialdatengeheimnis aus § 35 Abs. 1 SGB I den Behörden, entsprechende Auskünfte zu erteilen, so dass auch der Weg über ein Auskunftsersuchen ausscheidet.
Das Bundesarbeitsgericht bringt nun „Licht ins Dunkel″ und gewährt Arbeitgebern gegen Arbeitnehmer, die Vergütung wegen Annahmeverzugs fordern, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge (Urteil v. 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19). Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 242 BGB. Inhaltlich muss der Arbeitnehmer die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung vorlegen.
Erleichterung für Arbeitgeber – trotz weiterer Hürden
Allerdings müssen Arbeitgeber weitere Hürden überspringen: Eine Anrechnung unterlassener Verdienstmöglichkeiten setzt nämlich voraus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein „böswilliges″ Unterlassen nachweist. Das Unterlassen des Arbeitnehmers ist aber nur dann „böswillig″, wenn die Arbeitsmöglichkeit dem Arbeitnehmer zumindest zumutbar war, was anhand diverser Kriterien zu beurteilen ist, etwa der Vergütungshöhe und -form, der Arbeitszeit, sowie des Orts der Tätigkeit oder deren Gefährlichkeit.
Auch Abweichungen zum bisherigen Arbeitsplatz begründen die Unzumutbarkeit unter Umständen; der Arbeitnehmer muss eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach bisheriger Rechtsprechung nicht hinnehmen. Zu dieser Fragestellung hat sich das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht weiter geäußert; die Hürden bleiben also hoch.
Risiken bestimmen – Schäden begrenzen
Dennoch bietet die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Arbeitgebern neue Chancen, das bisherige Risiko der Entgeltfortzahlung einzuschätzen und entsprechend zu agieren. Diese Handlungsoption sollten Unternehmen im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen, aber auch bereits in außergerichtlichen Verhandlungen einsetzen. Daher empfehlen wir,
- frühzeitig ausscheidende Mitarbeiter um eine Auskunft über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters zu bitten,
- im Falle eines Kündigungsschutzprozesses den Auskunftsanspruch per Widerklage einzubringen und
- sodann mit Hilfe der erlangten Informationen und im Lichte der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zur Zumutbarkeit anderweitiger Verdienstmöglichkeiten das Kostenrisiko einzugrenzen.
Auf diese Weise wird nicht nur das Kostenrisiko für Unternehmen näher bestimmt, sondern auch die Verhandlungsposition bei Vergleichsversuchen mit dem Arbeitnehmer verbessert. Das Risiko einer Anrechnung unterlassener Verdienstmöglichkeiten wiederum dürfte den positiven Nebeneffekt haben, Arbeitnehmer dazu zu bewegen, an der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit mitzuwirken. Insgesamt also eine begrüßenswerte Klarstellung und Stärkung der Arbeitgeberposition im Kündigungsschutzprozess.
* Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.