30. September 2020
Auskunftsanspruch Annahmeverzug Lohn
Arbeitsrecht

BAG erleichtert Abwehr von Annahmeverzugslohnansprüchen

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters.

Es handelt sich um eine geradezu typische Situation: Nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung wehrt sich der Arbeitnehmer* mit einer Kündigungsschutzklage. Es entsteht eine Schwebelage. Solange der Rechtsstreit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, besteht über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung keine Klarheit.

Der Arbeitgeber wird jedoch – überzeugt von der Wirksamkeit der von ihm ausgesprochenen Kündigung – die Zahlung des Entgelts einstellen. Im Fall einer ordentlichen Kündigung wird er dies nach Ablauf der Kündigungsfrist, im Fall einer außerordentlichen Kündigung sofort tun. Der Arbeitnehmer hingegen bietet – überzeugt von der Unwirksamkeit der Kündigung – seine Arbeitsleistung weiterhin an. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Kündigung unwirksam war, wird der Arbeitnehmer für die Zeit, in welcher der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen hat, Annahmeverzugslohn gemäß § 615 BGB geltend machen.

Genau dieses „Annahmeverzugslohnrisiko″ stellt eines der zentralen Risiken für den Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess dar. Je nach Dauer des Rechtsstreits können sich Annahmeverzugslohnansprüche in Höhe von mehreren Monats- oder sogar Jahresgehältern ansammeln. Die Möglichkeit des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer die Anrechnung eines anderweitigen Verdiensts oder das böswillige Unterlassen anderer zumutbarer Arbeit entgegenzuhalten, war bisher eher theoretischer Natur. Denn der Arbeitgeber hat regelmäßig keine Kenntnis über die etwaigen Verdienstmöglichkeiten der Arbeitnehmer.

Auskunftsanspruch über Vermittlungsvorschläge

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun die Abwehr von Annahmeverzugslohnansprüchen erleichtert, indem es dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters zuspricht, die diese Behörden dem gekündigten Arbeitnehmer unterbreitet haben. Voraussetzung ist eine bestehende Wahrscheinlichkeit für das tatsächliche böswillige Unterlassen anderweitigen Erwerbs (BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19). Diese Wahrscheinlichkeit folgerte das BAG im Streitfall aus dem Umstand, dass sich der Arbeitnehmer nach der arbeitgeberseitigen Kündigung arbeitssuchend gemeldet hatte und sowohl die Agentur für Arbeit als auch das Jobcenter verpflichtet seien, dem Arbeitnehmer eine Arbeitsvermittlung anzubieten und Jobvorschläge zu unterbreiten.

Der dem Arbeitgeber gegen den gekündigten Arbeitnehmer zustehende Auskunftsanspruch über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters folgt nach dem BAG aus einer Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 242 BGB. Der Arbeitgeber habe regelmäßig keine Kenntnis über einen anderweitigen Verdienst oder das böswillige Unterlassen anderer zumutbarer Arbeit des Arbeitnehmers.

Es bestehe auch keine anderweitige, leichtere Möglichkeit des Arbeitgebers, an diese Informationen zu gelangen. Denn aufgrund des Sozialgeheimnisses nach § 35 SGB I habe der Arbeitgeber keinen Anspruch gegen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter selbst, die gewünschte Auskunft zu erhalten. Der Arbeitnehmer hingegen könne unproblematisch Auskunft über die ihm unterbreiteten Vermittlungsvorschläge erteilen.

Ein solcher Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer sei auch nicht unbillig, da der Arbeitgeber sonst die ihm gesetzlich zustehenden Einwendungen wegen der Erzielung anderweitigen Verdienstes bzw. des böswilligen Unterlassens eines solchen (vgl. § 615 Satz 2 BGB, § 11 Nr. 1 und 2 KSchG) tatsächlich nicht verwirklichen könne.

Inhalt der zu erteilenden Auskunft

Auch zum Inhalt der vom Arbeitnehmer zu erteilenden Auskunft macht das BAG klare Vorgaben: Die Auskunft des Arbeitnehmers muss die Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung des Vermittlungsvorschlags enthalten. Zudem muss sie in Textform (§ 126b Satz 1 BGB) erfolgen (z.B. E-Mail, Telefax).

Prozessuales Vorgehen für Arbeitgeber

In dem vom BAG entschiedenen Streitfall hat die beklagte Arbeitgeberin den Auskunftsanspruch im Rahmen der Widerklage geltend gemacht. Der Anspruch auf Auskunftserteilung wurde durch Teilurteil festgestellt.

Das BAG erklärt jedoch ausdrücklich, dass eine Widerklage nicht notwendig und die Auskunft stattdessen im Prozess des Arbeitnehmers auf Zahlung des Annahmeverzugslohns bei der Verteilung der Darlegungslast zu integrieren sei. Dies widerspreche auch nicht den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast, nach denen grundsätzlich derjenige eine Tatsache zu beweisen habe, die für ihn günstig sei. Denn den Arbeitnehmer treffe im Rahmen der Einwendung des Arbeitgebers lediglich eine sekundäre Darlegungslast. Nach Erteilung der Auskunft durch den Arbeitnehmer habe der Arbeitgeber weiterhin darzulegen und zu beweisen, dass sich der Arbeitnehmer böswillig einer Verdienstmöglichkeit entzogen hat und dass die angebotene Arbeitsstelle zumutbar war.

Vermindertes Annahmeverzugslohnrisiko für Arbeitgeber

Aus Arbeitgebersicht ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu begrüßen. Der dem Arbeitgeber zur Seite gestellte Auskunftsanspruch macht es deutlich wahrscheinlicher, anderweitige Verdienstmöglichkeiten des gekündigten Arbeitnehmers zu erkennen und – gestützt hierauf – die von ihm geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüche abzuwehren.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Annahmeverzug Auskunftsanspruch Kündigungsschutzklage Lohn