Nach einer neueren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts können auch Fremdgeschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes sein.
Wer als „Arbeitnehmer*“ anzusehen ist, beurteilt sich nach europäischem Recht nicht deckungsgleich mit dem nationalen (deutschen) Recht. Welcher Arbeitnehmerbegriff im Einzelfall maßgeblich ist, hängt von dem anzuwendenden Gesetz und der Beantwortung der Frage ab, ob dieses Gesetz eine unionsrechtliche Regelung umsetzt oder jedenfalls in deren Sinne ausgelegt werden muss. Da dies jedoch nicht offensichtlich ist, ist die Bestimmung des „richtigen“ Arbeitnehmerbegriffs dann problematisch, wenn ein Beschäftigter zwar nach dem engeren nationalen Verständnis nicht als Arbeitnehmer anzusehen ist, jedoch unter den weiteren unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu fassen wäre. Diese Frage stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit Fremdgeschäftsführern einer GmbH, d.h. Geschäftsführern, die nicht zugleich Mehrheitsgesellschafter einer GmbH sind oder über eine Sperrminorität verfügen.
Fremdgeschäftsführer sind nach nationalem Recht grundsätzlich keine Arbeitnehmer
Arbeitnehmer nach nationalem Recht ist, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) fehlt es bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH in der Regel an der für den Arbeitnehmerstatus erforderlichen Weisungsgebundenheit (vgl. BAG, Urteil v. 24. November 2004 – 2 AZR 614/04). Der BGH positioniert sich zu dieser Frage hingegen strikter und spricht Organmitgliedern einer juristischen Person wie z.B. einer GmbH rigoros die Arbeitnehmereigenschaft ab (vgl. etwa BGH, Urteil v. 26. März 2019 – II ZR 244/17).
Arbeitnehmereigenschaft für Fremdgeschäftsführer nach europäischem Recht durchaus möglich
Nach europäischem Recht ist „Arbeitnehmer“ hingegen jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. EuGH, Urteil v. 26. März 2015 – C-316/13). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen, dass ein Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft wie z.B. einer GmbH „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne des deutschen Rechts (vgl. EuGH, Urteil v. 8. Juli 2015 – C-229/14).
BAG: Für Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff maßgeblich
In dem vom BAG entschiedenen Fall war die Klägerin bei der Beklagten, einer GmbH, als Geschäftsführerin angestellt und auch im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen. Die Beklagte übernahm im Jahr 2018 für ein anderes Gruppenunternehmen bestimmte entgeltliche Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten und setzte hierfür u.a. die Klägerin ein. Diese hatte nach Anweisung der Geschäftsführung (Anm. der Verf.: wohl des Gruppenunternehmens) eine Arbeitszeit von 07:00 bis 18:00 Uhr einzuhalten. Vormittags musste sie am Telefon eine sog. „Kaltakquise“ durchführen, am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten und wurde im Außendienst, zu Kundenbesuchen und für Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Sie hatte wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachzuweisen. Außerdem führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Der Geschäftsführerdienstvertrag sah für den in Streit stehenden Zeitraum einen Jahresurlaub von 33 Tagen pro Kalenderjahr vor, den die Klägerin bei der Beklagten beantragen musste.
Ende August 2019 erkrankte die Klägerin und legte Anfang September zunächst ihr Amt als Geschäftsführerin nieder. In der Folge kündigte sie das Vertragsverhältnis mit Wirkung zum Ablauf des 30. Juni 2020. Bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses am 30. Juni 2020 erbrachte sie keine Leistungen mehr und legte der Beklagten entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Im Jahr 2019 nahm die Klägerin elf Tage und im Jahr 2020 (logischerweise) keinen Urlaub in Anspruch.
Im Rahmen eines von der Beklagten angestrengten Rechtsstreits machte die Klägerin im Rahmen der Widerklage, die abgetrennt und an das Arbeitsgericht verwiesen wurde, aufgrund der bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage u.a. einen Urlaubsabgeltungsanspruch gem. § 7 Abs. 4 BUrlG geltend.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in erster Instanz überwiegend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht wies die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück. Die Revision der Beklagten zum BAG hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das BAG sprach der Klägerin den geltend gemachten Urlaubsabgeltungsanspruch in einem Umfang von 22 Urlaubstagen für das Jahr 2019 und 16,5 Urlaubstagen für das Jahr 2020 zu. Nach Auffassung des BAG waren die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG erfüllt. Dies folgt nach dem BAG – unabhängig davon, ob die Klägerin nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen ist – aus einer mit Art. 7 der Arbeitszeit-Richtlinie (RL 2003/88/EF) konformen Auslegung des § 7 Abs. 4 BUrlG. Danach ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich.
Klägerin war weisungsgebunden tätig
Lege man den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff hier zugrunde, sei die Klägerin als Arbeitnehmerin im unionsrechtlichen Sinne zu qualifizieren. So sei sie weisungsgebunden tätig gewesen, da sie auf Anweisung eine Arbeitszeit von 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzuhalten gehabt habe. Auch spreche die Art der ihr übertragenen Aufgaben für die Arbeitnehmereigenschaft. Diese hätten im Wesentlichen aus typischen Aufgaben eines Angestellten bestanden, wie z.B. die Durchführung einer „Kaltakquise“, dem Tätigwerden im Außendienst oder der Erledigung von Kontroll- und Überwachungsaufgaben. Ferner habe die Vorgabe bestanden, wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche durchzuführen und nachzuweisen.
Keine zeitabschnittsbezogene Berechnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs
Das BAG warf im Rahmen der Prüfung der Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs die Frage auf, ob dieser zeitabschnittsbezogen zu berechnen sei, weil die Klägerin ihr Amt als Geschäftsführerin bereits vor der Beendigung des Geschäftsführerdienstvertrages niederlegte. In diesem Fall könne erwogen werden, dass ein GmbH-Geschäftsführer aufgrund der Amtsniederlegung außerstande sei, seine Funktion als Geschäftsführer zu erfüllen, und insoweit auch keinen Urlaubsanspruch erwerbe. Diese Frage ließ das Gericht im Ergebnis jedoch offen, weil aus seiner Sicht der Klägerin in dem vorliegenden Fall durch die Amtsniederlegung die Erfüllung ihrer Pflichten nicht unmöglich geworden sei. Zwar sehe der Dienstvertrag nur die Beschäftigung als Geschäftsführerin vor, weshalb eine Tätigkeit unterhalb der Organebene typischerweise nicht aus dem Anstellungsvertrag hergeleitet werden könne. Dieser Grundsatz gelte jedoch nicht, wenn die Parteien – wie in dem vorliegenden Fall – abweichend vom Normalfall auch Tätigkeiten unterhalb der Geschäftsführertätigkeit zum Gegenstand des Vertragsverhältnisses gemacht haben. Diese Aufgaben hätte die Klägerin auch nach der Amtsniederlegung weiter erfüllen können (wenn sie nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen wäre).
Entscheidung des BAG hat Bedeutung über den Einzelfall hinaus
Die erläuterte Entscheidung des BAG zeigt, dass auch Fremdgeschäftsführer einer GmbH grundsätzlich Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG sein können. Bei einer Bewertung der Entscheidung muss jedoch betont werden, dass dem Urteil ein Sachverhalt zugrunde liegt, der nicht den „typischen“ Fall einer Geschäftsführertätigkeit abbildet, sondern einen Ausnahmefall darstellt. Die Klägerin war – wie auch das Gericht zu Recht feststellte – zum einen weisungsgebunden tätig und zum anderen mit Aufgaben betraut, die nicht in den typischen Tätigkeitsbereich eines Geschäftsführers fallen. Insoweit liegt es nahe, dass ein Arbeitsgericht die Klägerin auch unter Zugrundelegung des nationalen Arbeitnehmerbegriffs als Arbeitnehmerin qualifiziert hätte.
Nichtsdestotrotz hat die Entscheidung Bedeutung über den Einzelfall hinaus. So macht das BAG (wenn auch nicht zum ersten Mal) klar, dass allein die formelle Organstellung eines Fremdgeschäftsführers nicht dazu führt, dass dieser nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Unternehmen sollten daher bei der Anstellung von Geschäftsführern und deren Beschäftigung darauf achten, so wenig Anhaltspunkte wie möglich für das Vorliegen einer weisungsgebundenen Tätigkeit schaffen, wenn sie vermeiden möchten, dass jedenfalls europäisch geprägte Arbeitnehmerschutzvorschriften wie etwa das BUrlG auf die bei Ihnen angestellten Fremdgeschäftsführer Anwendung finden.
Folgeprobleme der Einordnung eines Fremdgeschäftsführers als „Arbeitnehmer“ im unionsrechtlichen Sinne
Dabei sollte insbesondere dem Umstand Beachtung geschenkt werden, dass es bei konsequenter Anwendung des BUrlG auf Fremdgeschäftsführer, die im Sinne dieses Gesetzes als Arbeitnehmer anzusehen sind, nicht nur bei dem Anspruch auf Urlaubsabgeltung gem. § 7 Abs. 4 BUrlG wie in dem von dem BAG entschiedenen Fall verbleibt. Vielmehr stünde solchen Fremdgeschäftsführern auch der gesetzliche Anspruch auf Mindesturlaub (§ 3 Abs. 1 BUrlG) zu. Daneben wären wohl auch die vom EuGH entwickelte Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Urlaubsgewährung zu berücksichtigen mit der Folge, dass nicht genommene Urlaubsansprüche solcher Fremdgeschäftsführer nur dann verfallen, wenn diese von dem Unternehmen ordnungsgemäß über das Bestehen ihres Urlaubsanspruchs informiert und aufgefordert wurden, diesen grundsätzlich innerhalb des Urlaubsjahres zu nehmen, verbunden mit dem Hinweis, dass im Falle der Nichtinanspruchnahme der Urlaubsanspruch verfällt (siehe zu den Mitwirkungsobliegenheiten unser Blog). Da Unternehmen dieser Mitwirkungsobliegenheit gegenüber Fremdgeschäftsführern üblicherweise nicht nachkommen und im Falle der Qualifizierung des betreffenden Fremdgeschäftsführers als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne nicht genommene Urlaubstage daher grundsätzlich nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen, besteht – abhängig vom Einzelfall – die Gefahr, dass sich Unternehmen entweder einer Vielzahl von Urlaubsansprüchen, die in natura während des Anstellungsverhältnisses gewährt werden müssten, oder entsprechend hoher Abgeltungsforderungen nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses ausgesetzt sehen.
Fazit: BAG-Entscheidung ist zwar beachtenswert, dürfte jedoch für „normale“ Fremdgeschäftsführer in der Praxis nichts ändern
Festzuhalten ist, dass die Entscheidung des BAG zwar Beachtung verdient und insbesondere die Wichtigkeit der tatsächlichen Handhabung von Geschäftsführeranstellungsverhältnissen betont. Gleichwohl darf diese nicht so verstanden werden, dass sich diese auf den „Normalfall“ des Fremdgeschäftsführers bezieht. Vielmehr betrifft die Entscheidung eher als Ausnahme zu bezeichnende Fälle, in denen Fremdgeschäftsführer weisungsgebunden agieren. Keine Aussage hat das BAG jedoch dazu getroffen, wo die Grenze zwischen „noch“ hinreichender Weisungsfreiheit und „schon“ vorliegender Weisungsgebundenheit im unionsrechtlichen Sinne zu ziehen ist. Da der entschiedene Fall eindeutig war, bedurfte es einer solchen Abgrenzung vorliegend nicht. Ansonsten wird es bei einer solchen Abgrenzung immer auf die Umstände des konkreten Einzelfalls ankommen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.