20. September 2023
Arbeitsrecht

BAG: Beleidigungen in Chatgruppen können fristlose Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen

Das BAG zieht Grenzen für den Schutz vertraulicher Kommunikation: wenn Arbeitnehmer in privaten Chatgruppen beleidigen, droht eine fristlose Kündigung.

Beleidigungen, üble Nachrede und rassistische Hetze sind im Arbeitsverhältnis ein No-Go. Wenn sich ein Mitarbeiter* mit beleidigenden, verleumderischen oder hetzerischen Aussagen über Vorgesetzte und Kollegen auslässt, kann dies die fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen – regelmäßig sofort und ohne vorangehende Abmahnung.

Allerdings kennt die Rechtsprechung eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz: Führt ein Arbeitnehmer ein Vertrauensgespräch, muss er – auch unter Arbeitskollegen – „kein Blatt vor den Mund″ nehmen und darf sich regelmäßig darauf verlassen, dass seine Gesprächspartner seine Aussagen nicht nach außen tragen. In solchen Vertrauensgesprächen soll jeder Mitarbeiter die Möglichkeit haben, offen zu sagen, was er denkt, selbst wenn es beleidigend und hetzerisch ist. Aus Sicht der Rechtsprechung sei es Teil des Grundrechts auf Persönlichkeitsentfaltung und Schutz der Privatsphäre, in vertraulichem Kreis vulgär zu werden und Aussagen zu treffen, die die Grenze des guten Geschmacks deutlich überschreiten.

Vertrauensgespräche mögen hilfreich sein, um unbeschwert „Dampf abzulassen″. Für viele Hetzer ist es jedoch gerade Teil ihrer Strategie, ihre Verleumdungen und Beleidigungen gezielt hinter dem Rücken der Betroffenen in einem vertrauten Kreis zu verbreiten. Nicht selten ist WhatsApp die Plattform solcher Lästerrunden. Was aber, wenn man diese heimlichen Hetzer dann doch erwischt? Dürfen sie arbeitsrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden? Oder kann sich ein Arbeitnehmer, der sich hinter dem Rücken der betroffenen Kollegen beleidigend über sie äußert, auch noch auf Vertrauensschutz berufen?

Mit dieser Frage musste sich das BAG in seinem Urteil vom 24. August 2023 (Az. 2 AZR 17/23) auseinandersetzen. Ein Mitarbeiter hatte eine WhatsApp-Gruppe jahrelang genutzt und in diesem Rahmen Kollegen beleidigt, zur Gewalt aufgerufen und gegen ethnische Minderheiten gehetzt. Irgendwann kam das raus.

Der Ausgangsfall: WhatsApp-Gruppenchat und Kündigung wegen privater Kommunikation

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger war seit 2014 Mitglied einer Chatgruppe auf WhatsApp, der auch fünf, zwischenzeitlich sechs, andere Arbeitnehmer der Beklagten angehörten. Bei den Gruppenmitgliedern handelte es sich um langjährige Freunde, zwei Mitglieder waren zudem miteinander verwandt.

In der Gruppe wurde über rein private Themen wie familiäre Belange, aber auch über die Arbeit geschrieben. Der Kläger brachte sich auf seine ganz eigene Art ein: Er nutze die WhatsApp-Gruppe als Plattform für die Beleidigung von Arbeitskollegen („Gesichtsfo***″, „Verräterfo***″, „dreckige Wi*****″). Wiederholt rief er zu Gewalt gegen selbige auf („aufknüpfen″, „zusammenschlagen lassen″, ″ muss man in die Fresse hauen″, „Einer muss von denen in die Fresse kriegen″). Zudem hetzte er laufend gegen ethnische Minderheiten („zionistische Herrscherlobby″, „die Moslems sind dem gemeinen Juden recht ähnlich″).

Als ein Mitglied der WhatsApp-Gruppe den Chatverlauf einem außenstehenden Arbeitskollegen offenbarte, meldete dieser den Inhalt dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Das Arbeitsgericht Hannover (Urteil vom 24. Februar 2022, Az. 10 Ca 147/21) und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 19. Dezember 2022, Az. 15 Sa 284/22) gaben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage statt. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Kündigung unwirksam sei, da es sich bei dem Gruppen-Chat um eine vertrauliche Kommunikation in einer geschützten Privatsphäre handele. Der Arbeitnehmer habe darauf vertrauen können, dass die Inhalte nicht an Dritte gelangen.

Die Entscheidung: BAG zur Vertraulichkeit in Chatgruppen

Dies sah das BAG anders. Die Revision der Beklagten vor dem BAG hatte Erfolg. Die Entscheidungsgründe wurden noch nicht veröffentlicht. Der Presseerklärung des BAG lässt sich aber bereits entnehmen, dass das BAG engere Grenzen für den Schutz vertraulicher Kommunikation zieht:

Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe dem besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer vertraulichen Kommunikation unterliegen. Dies sei wiederum abhängig vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Enthalten die Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Mitarbeiter, könne der Arbeitnehmer sich nicht einfach darauf berufen, er sei davon ausgegangen, der Inhalt würde von Gruppenmitgliedern nicht an Dritte weitergegeben. Schon die Verwendung einer auf schnelle Weiterleitung von Nachrichten ausgerichteten Technik spreche gegen eine etwaige Vertraulichkeitserwartung.

Bedeutung des Urteils

Wo darf der Arbeitnehmer lästern und wo nicht? Wo wird eine rote Linie überschritten? Wann darf und muss der Arbeitgeber eingreifen? Sind WhatsApp-Gruppen vertrauliche Räume? Die Entscheidungsgründe des 2. Senats sind mit Spannung zu erwarten.

Generell gilt: Auch im Arbeitsverhältnis kann sich der Arbeitnehmer auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. Er darf Kollegen, Vorgesetzte und seinen Arbeitgeber kritisieren. Dieses Recht reicht sehr weit. Auch Polemik ist zulässig. Die Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen werden allerdings verletzt, wenn sich Aussagen als Schmähkritik, Formalbeleidigungen oder einen Angriff auf die Menschenwürde darstellen.

Selbst dann gibt es aber noch eine wichtige Ausnahme: Diffamierende und ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen, die ein Arbeitnehmer in einem vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen tätigt, unterfallen nach ständiger Rechtsprechung des BAG dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Teil des Persönlichkeitsschutzes ist es, in besonderen Vertrauensverhältnissen seine Emotionen frei äußern zu können und das eigene Urteil über Personen frei zu offenbaren. Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts normalerweise nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz. Dieser geht dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen ausnahmsweise vor (BVerfG, Beschluss vom 23. November 2006, Az. 1 BvR 285/06; BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009, Az. 2 AZR 534/08).

Das gilt auch für Chatgruppen wie WhatsApp. Sie können vertrauliche Räume sein. Sie sind dies aber nicht immer. Bislang war in der Rechtsprechung ungeklärt und umstritten, unter welchen Voraussetzungen Chatgruppen Schutz als vertrauliche Räume genießen (vgl. z.B. ArbG Mainz, Urteil vom 15. November 2017, Az. 4 Ca 1240/17).

Für die Vertraulichkeitserwartung kommt es nach Auffassung des BAG auf die Art der Nachricht und die Größe der Gruppe im Einzelfall an. Folgende Indizien sprechen gegen die berechtigte Vertraulichkeitserwartung an die anderen Mitglieder der Chatgruppe:

  • eine Mitgliederzahl von sieben Personen und mehr,
  • eine sich ändernde Personenzusammensetzung,
  • ein auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegtes Medium wie WhatsApp,
  • besonderes Aufsehen erregende Aussagen, insbesondere schwere Beleidigungen und menschenverachtende Äußerungen.

Jedenfalls, wenn all dies zusammenkommt, ist nach Ansicht des BAG zu vermuten, dass eine Vertraulichkeitserwartung nicht gerechtfertigt war. Will der Arbeitnehmer diese Vermutung widerlegen, trägt er die Darlegungslast (wohl aber nicht die Beweislast).

Praktische Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber

Einerseits müssen Arbeitgeber vertrauliche Kommunikation respektieren. Andererseits haben sie eine Fürsorgepflicht und dürfen es nicht dulden, dass ihre Mitarbeiter im Arbeitsverhältnis diffamiert oder gemobbt werden. Insbesondere vor rassistischen Diskriminierungen muss ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter schützen (§ 12 Abs. 1 AGG). Für Arbeitgeber stellt es eine Herausforderung dar, in diesem Spannungsfeld fair und zugleich rechtlich korrekt zu agieren.

Um Mobbing und Diffamierungen am Arbeitsplatz zu verhindern, kann es sinnvoll sein, eine Null-Toleranz-Politik zu etablieren und Maßnahmen zur Prävention zu implementieren. Zur Prävention gegen unerlaubte Diskriminierungen, sind Arbeitgeber gesetzlich ausdrücklich gehalten, Schulungen durchzuführen (§ 12 Abs. 2 AGG) und Beschwerdestellen einzurichten (§§ 13, 12 Abs. 5 AGG); sowohl die Schulungen als auch die Beschwerdestellen können weitere Themen zum Gegenstand haben, z.B. Mobbing. Erlangt der Arbeitgeber über entsprechende Verstöße Kenntnis, muss er sofort tätig werden und die Vorwürfe überprüfen. Da der Arbeitgeber bei dieser Überprüfung häufig „Schiedsrichter″ in emotionalen und menschlich sensiblen Konflikten wird, empfiehlt es sich, ein möglichst objektives und transparentes Verfahren zu praktizieren; ergreift der Arbeitgeber dagegen voreilig Partei, erscheint er befangen und macht sich selbst angreifbar. Erweist sich der Vorwurf als begründet, sollte der Arbeitgeber disziplinarische Maßnahmen (Versetzung, Ermahnung, Abmahnung, Kündigung etc.) ergreifen. Den Betroffenen sollte Unterstützung angeboten werden.

Regelmäßige Überprüfungen der Präventionsmaßnahmen sind hilfreich, um sicherstellen zu können, dass diese ergiebig sind. So können etwa Mitarbeiterbefragungen helfen, um die Situation im Betrieb besser einschätzen zu können. Diese können z.B. als Teil einer Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen durchgeführt werden.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Kündigung WhatsApp