27. Mai 2022
krankheitsbedingte Kündigung bEM
Arbeitsrecht

Weitere Fallstricke einer krankheitsbedingten Kündigung – nach dem bEM ist vor dem bEM

Das BAG bringt mit einer neuen Entscheidung mehr Licht in die Voraussetzungen des sogenannten betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM).

Mit seiner Entscheidung erlegt das BAG den Arbeitgebern* ausdrücklich weitere Pflichten auf: Erkrankt ein Mitarbeitender nach Abschluss eines bEM abermals innerhalb eines Jahres wiederholt oder durchgängig für mehr als sechs Wochen, müssen Arbeitgeber grds. ein weiteres bEM durchführen. Dies gilt sogar dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.

Mit dieser neuen Entscheidung werden außerdem mittelbar die Anforderungen an die Begründungspflicht des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess erhöht. 

bEM – was ist das?

Ist ein Mitarbeitender innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt, schreibt das Gesetz in § 167 Abs. 2 SGB IX die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) vor. Als präventive Maßnahme soll das bEM dem Erhalt des Arbeitsplatzes dienen. Ziel ist es dabei, festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten existieren, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern.

In der Praxis wird das bEM i.d.R. durch den Arbeitgeber initiiert. Die Durchführung des bEM hängt von dem Einverständnis der betroffenen Person ab. Umgekehrt hat der oder die Mitarbeitende aber keinen Anspruch auf Durchführung oder Einleitung eines bEM – wie das BAG bereits im letzten Jahr entschieden hat (BAG, Urteil v. 7. September 2021 – 9 AZR 571/20).

Relevanz des bEM im Kündigungsschutzprozess 

Die Durchführung eines bEM ist keine Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Dennoch kann das bEM Dreh- und Angelpunkt eines Kündigungsschutzprozesses sein und sich erheblich auf dessen Ausgang auswirken:

Der Arbeitgeber hat in einem Kündigungsschutzprozess darzulegen und zu beweisen, dass die Kündigung verhältnismäßig ist. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, dass es als Reaktion des Arbeitgebers auf die langanhaltende oder wiederholte Arbeitsunfähigkeit kein milderes Mittel als die Kündigung gibt. 

War der Arbeitgeber gem. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, beeinflusst dies die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann sich dann nicht pauschal darauf berufen, es seien keine alternativen, dem Gesundheitszustand entsprechenden Einsatzmöglichkeiten vorhanden. Vielmehr muss er umfassend vortragen, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dazu muss er konkret dartun, weshalb weder der weitere Einsatz des Mitarbeitenden am bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Umgestaltung möglich war und der Mitarbeitende auch nicht an einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Außerdem muss er dazu vortragen, warum künftige Fehlzeiten auch nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. 

Die Nichtdurchführung eines bEM führt damit zu einer erhöhten prozessualen Hürde für den Arbeitgeber. Gelingt dem Arbeitgeber in diesem Fall die Darlegung der Aussichtslosigkeit eines bEM nicht, kann bereits dies zum Unterliegen im Kündigungsschutzprozess führen. 

BAG: Nach dem bEM ist vor dem bEM

Der aus § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX resultierenden Pflicht zur Durchführung eines bEM kamen Arbeitgeber in der Praxis bislang üblicherweise in der Weise nach, dass sie dem betroffenen Mitarbeitenden ein bEM pro Jahr anboten. 

Die bisher umstrittene Frage, ob innerhalb eines zwölfmonatigen Zeitraums bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechswöchiger Dauer ein weiteres bEM durchzuführen ist, hat das BAG in seiner neuen Entscheidung nunmehr geklärt und mit „Ja“ beantwortet (BAG, Urteil v. 18. November 2021 – 2 AZR 138/21). Erkrankt der Mitarbeitende nach Abschluss eines bEM abermals innerhalb eines Jahres wiederholt oder durchgängig für mehr als sechs Wochen, ist grds. ein weiteres bEM durchzuführen. Dies gilt dem Grunde nach sogar dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist und der Mitarbeitende wegen derselben Krankheitsursache durchgängig arbeitsunfähig ist. Nach Ansicht des Zweiten Senats des BAG kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich innerhalb von sechs Wochen die Sachlage verändert und ein neuerliches bEM anders verlaufen kann. Der Abschluss eines bEM markiert den Zeitpunkt „null“: Nicht auszuschließen ist daher, dass der Arbeitgeber im Verlaufe von zwölf Monaten nicht nur ein, sondern ggfs. zwei oder mehr bEM anzubieten hat. 

Echter Mehrwert oder Mittel zum Zweck?

Die Entscheidung des BAG ist von hoher praktischer Relevanz: Arbeitgeber müssen sich künftig darauf einstellen, nicht mehr wie bisher üblicherweise einmal pro Jahr ein bEM anzubieten, sondern ein solches immer wieder einzuleiten, sobald der Mitarbeitende mehr als sechs Wochen seit dem letzten abgeschlossenen bEM krankheitsbedingt fehlt.  

Ob die nunmehr durch das BAG konkretisierte Verpflichtung, insbesondere auch bei Langzeiterkrankten, stets aufs Neue ein bEM durchzuführen, tatsächlich zielführend ist, lässt sich in Zweifel ziehen. Das bislang – jedenfalls in der Theorie – als offener Suchprozess verstandene Verfahren, das durch einen konstruktiven Austausch zwischen Mitarbeitendem und Arbeitgeber geprägt war, könnte infolge der neuen Entscheidung des BAG künftig dem Formalismus verfallen. Den damit einhergehenden administrativen und wirtschaftlichen Mehraufwand müssen Arbeitgeber i.d.R. künftig jedoch mit einkalkulieren, wollen sie ihre Position in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht von vornherein schwächen. Durch die Implementierung eines strukturierten Ablaufplans lässt sich der Mehraufwand allerdings effizient bewältigen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht bEM betriebliches Eingliederungsmanagement krankheitsbedingte Kündigung personenbedingte Kündigung