21. August 2017
Brexit Arbeitnehmerentsendung
Arbeitsrecht

Brexit: Arbeitsrechtliche Implikationen bei Arbeitnehmerentsendung nach Deutschland

Die Brexit-Verhandlungen sind eingeleitet. Viele Unternehmen denken nun über eine Arbeitnehmerentsendung nach. Was bedeutet das fürs Arbeitsrecht?

Die britische Regierung hat die Austrittsverhandlungen offiziell eingeleitet; voraussichtlich im März 2019 wird das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausscheiden. Wird der von der britischen Regierung derzeit (noch) favorisierte „harte Brexit“ vollzogen, so hat dies umfangreiche arbeitsrechtliche Auswirkungen, da insbesondere die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Niederlassungsfreiheit als Eckpfeiler des europäischen Arbeitsmarktes für die Bürger des Vereinigten Königreichs entfallen.

Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich zahlreiche Unternehmen mit der Frage, ob sie ihre Standorte bzw. die beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die EU verlegen sollen, um so weiterhin die Vorteile des europäischen Binnenmarktes genießen zu können. Dieser Beitrag widmet sich dem „Schicksal″ der britischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Verlagerung des Standortes nach Deutschland.

Einreise bei Arbeitnehmerentsendung nach dem Brexit grundsätzlich nur mit Visum

Soll ein britischer Staatsbürger an einem Standort in Deutschland eingesetzt werden, so benötigt er als Angehöriger eines Drittstaates zur Einreise in das Bundesgebiet (in Ermangelung einer zwischenstaatlichen Vereinbarung) ein Visum, welches bereits in Großbritannien bei einer deutschen Auslandsvertretung zu beantragen ist. Dies ist für den Arbeitnehmer mit finanziellen sowie zeitlichen Belastungen verbunden, insbesondere ist bei einem Visum für einen längeren Aufenthalt mit mehrmonatigen Bearbeitungszeiten zu rechnen.

Bei längeren Arbeitseinsätzen ist zusätzlich ein Aufenthaltstitel erforderlich

Zusätzlich zu dem Visum benötigt der Arbeitnehmer, der in der Regel für einen längeren Zeitraum hier eingesetzt werden soll, einen Aufenthaltstitel in Form einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit oder einer sog. „Blauen Karte EU“. Welcher der möglichen Aufenthaltstitel vergeben wird hängt davon ab, ob es sich um einen Arbeitnehmer mit akademischer Ausbildung oder um einen Nicht-Akademiker handelt.

Bei nicht-akademischen Arbeitnehmern konkretisiert die Beschäftigungsverordnung (BeschV), dass die Erteilung des Aufenthaltstitels zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nur in sog. Mangelberufen auch ohne besondere Qualifikation zulässig ist. Hierdurch soll zum einen sichergestellt werden, dass bevorzugt qualifizierte Arbeitnehmer aus Drittstaaten in Deutschland eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Zum anderen zielt die Regelung darauf ab, den konkreten Bedarf auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen und die Zuwanderung solcher Arbeitnehmer zu gewährleisten, in deren Ausbildungsberuf ein Mangel besteht.

„Blaue Karte″ für Akademiker

Für Akademiker besteht hingegen die Möglichkeit eine sogenannte „Blaue Karte EU“ zu beantragen. Hierbei handelt es sich um eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, die maximal auf vier Jahre befristet werden kann. Voraussetzung für die Erteilung ist in aller Regel, dass der Arbeitnehmer einen deutschen oder vergleichbaren und anerkannten ausländischen Hochschulabschluss besitzt und der Arbeitnehmer ein Mindestgehalt bezieht, welches sich nach der Art seiner Beschäftigung richtet. Bereits nach 33 Monaten (bzw. nach 21 Monaten, wenn Sprachkenntnisse der Stufe B1 nachgewiesen werden) kann dem Arbeitnehmer eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt werden. Darüber hinaus können nach- oder mitziehende Ehegatten unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, ohne Deutschkenntnisse nachweisen zu müssen.

Das „Van-der-Elst-Visum“ für Kurzentschlossene (und –aufenthalte)

Soll der Arbeitnehmer lediglich für eine kurze Dauer in Deutschland eingesetzt werden, und gehört er zum Stammpersonal eines Unternehmens mit Sitz in einem Mitgliedsstaat der EU, so ist keiner der genannten Aufenthaltstitel erforderlich. In diesem Fall wird lediglich ein sog. „Van-der-Elst-Visum“ benötigt, welches regelmäßig zügig von der deutschen Auslandsvertretung erteilt wird. Hierbei ist die Rechtsposition des drittstaatsangehörigen Arbeitnehmers unmittelbar an die Dienstleistungsfreiheit des Unternehmens aus Art. 56 AEUV geknüpft. 

Das anzuwendende Recht bei einer Entsendung des Arbeitnehmers nach dem Brexit

Vielfach werden beide Arbeitsvertragsparteien ein Interesse daran haben, den Arbeitnehmer nicht dauerhaft in einem Standort in Deutschland einzusetzen, sondern ihn lediglich befristet dorthin zu entsenden. Arbeitsverträge mit Auslandsberührung unterliegen auch bei einer Entsendung der ROM-I-VO, die grundsätzlich eine Rechtswahl durch die beiden Vertragsparteien ermöglicht. Grenze der Rechtswahl ist, ob durch diese dem Arbeitnehmer ihn begünstigende Normen verwehrt bleiben, welche ohne Rechtswahl zwingend Anwendung finden würden. Bei diesen Normen handelt es sich insbesondere um solche des Kündigungsschutzrechts oder sonstige Normen des Arbeitsschutzes.

Die Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Arbeitsorts

Wird durch die Parteien keine wirksame Rechtswahl getroffen, so ist grundsätzlich der gewöhnliche Arbeitsort des Arbeitnehmers für das anzuwendende Recht maßgeblich, welcher sich unter anderem an der festen Eingliederung in den Betrieb orientiert: Eine bloß vorübergehende Entsendung (wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in seinem Herkunftsland wieder aufnehmen wird) ändert an der festen Eingliederung nichts. Ist der Arbeitnehmer über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren in Deutschland tätig, wird der gewöhnliche Arbeitsort dauerhaft verändert, so dass in aller Regel deutsches Recht Anwendung findet. In diesen Fällen kann die Anwendung deutschen Rechts nur durch eine anderweitige Rechtswahl verhindert werden. Doch auch durch diese kann, wie beschrieben, die Anwendung deutscher Arbeitsschutzvorschriften nicht umgangen werden.

Schutz des Arbeitnehmers durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz

Entsendet der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nach Deutschland, so ist der Arbeitgeber unter Beachtung des Arbeitnehmerentsendegesetztes (AentG) in den abschließend genannten Branchen an die Einhaltung zwingender Arbeitsbedingungen gebunden, sofern der jeweilige Tarifvertrag bundesweit gilt und hinsichtlich seines räumlichen Geltungsbereichs auf den Arbeitsort abstellt. Bei den einzuhaltenden Arbeitsbedingungen geht es vor allem um die Einhaltung des Mindestlohnniveaus sowie die Gewährung bezahlten Urlaubes, so dass die Anwendung sich ausschließlich um Arbeitnehmer in nicht-akademischen Berufen beschränken dürfte.

Nach Brexit: Auswirkungen der Arbeitnehmerentsendung auf die Sozialversicherung

Verlässt das Vereinigte Königreich die EU tritt das zwischen Deutschland und Großbritannien im Jahr 1960 geschlossene Abkommen über Soziale Sicherheit wieder in Kraft, dessen überholte Regelungen wohl neu verhandelt werden müssen: Demnach findet grundsätzlich das Recht des Staates Anwendung, in dem sich der Arbeitnehmer aufhält, auch wenn sein Arbeitgeber seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seinen Hauptbetriebssitz in dem anderen Vertragsstaat hat. Demnach fände für einen in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer deutsches Recht Anwendung.

Hat der Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt allerdings in Großbritannien und wird für seinen Arbeitgeber in Deutschland tätig, so ordnet das Abkommen an, dass für den Zeitraum von zwölf Monaten weiterhin britisches Recht Anwendung findet. Wird der Aufenthalt in Deutschland über diese 12 Monate hinaus ausgedehnt, so findet nur dann britisches Recht weiterhin Anwendung, wenn die zuständige deutsche Behörde oder eine von ihr bestimmte Stelle vor dem Ablauf der zwölf Monate ihre Zustimmung gegeben hat.

Gefahr der Doppelversteuerung

Wird ein Arbeitnehmer aus dem Vereinigten Königreich aufgrund einer Entsendung in Deutschland tätig und erzielt dort ein zu versteuerndes Einkommen, besteht das Risiko einer sog. Doppelversteuerung. Deutschland und Großbritannien haben zu diesem Zweck ein Doppelversteuerungsabkommen (DBA) geschlossen, das regelt, dass Einkünfte grundsätzlich in dem Staat zu versteuern sind, in dem sie verdient wurden. Wird ein Arbeitnehmer aufgrund der Entsendung in Deutschland tätig, so hat er seine Einkünfte demnach auch in Deutschland zu versteuern.

Eine sog. Zurückverweisung der Versteuerung an den Staat, in dem der Arbeitnehmer ansässig ist, ist jedoch möglich, sofern der Arbeitnehmer nicht länger als 183 Tage innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten in dem Tätigkeitsstaat aufgehalten hat, die Vergütung von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt wird, der nicht in dem Tätigkeitsstaat ansässig ist und nicht von einer Betriebsstätte getragen wird, die der Arbeitgeber in dem Tätigkeitsstaat hat. Liegt jedoch nur eine dieser drei Voraussetzungen nicht vor, so findet die Versteuerung in dem Staat statt, in dem die Tätigkeit ausgeübt wurde, mithin in Deutschland. Ist der Arbeitnehmer in Großbritannien ansässig, so wird die Doppelversteuerung regelmäßig dadurch vermieden, dass die in Deutschland gegebenenfalls gezahlte Steuer auf die britische Einkommenssteuer angerechnet wird.

Bei Arbeitnehmerentsendung nach Brexit: Umfangreicher Verhandlungs- und Handlungsbedarf

Es wird somit deutlich, dass zum einen ein erheblicher Verhandlungsbedarf auf bilateraler und multilateraler Ebene besteht, um die aufgezeigten Unsicherheiten zu beheben. Zum anderen ist aber auch auf Seiten der Arbeitgeber, die eine Standortverlagerung von Großbritannien nach Deutschland in Betracht ziehen, Handlungsbedarf erkennbar, um den Arbeitseinsatz britischer Staatsbürger in Deutschland rechtlich abzusichern. Hierbei stellen die dargestellten arbeitsrechtlichen Aspekte nur einen Teil dessen dar, was in rechtlicher Hinsicht bei einer solchen Standortverlegung zu beachten ist.

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