12. April 2019
Streikbrecherverbot
Arbeitsrecht

BVerfG zum „Streikbrecherverbot“ gem. § 11 Abs. 5 AÜG

BVerfG hat Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Streikbrecherverbot abgelehnt – aber noch keine Entscheidung über dessen Verfassungskonformität getroffen.

Die AÜG-Reform 2017 ist beim BVerfG angekommen. Am 25. Februar 2018 hat das Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Verbot, Zeitarbeitnehmer* während eines Arbeitskampfes beim Kunden als „Streikbrecher“ einzusetzen (vgl. § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG), abgelehnt (Az. 1 BvR 842/17).

§ 11Abs. 5 S. 1 AÜG enthält in seiner neuen Fassung das Verbot, Zeitarbeitnehmer zu beschäftigen, wenn der Entleiherbetrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Eine Ausnahme gilt nach § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG, wenn Zeitarbeitskräfte keine Tätigkeiten übernehmen, die bisher von Streikenden übernommen wurden. Die Verletzung der angegriffenen Regelungen ist zusätzlich bußgeldbewehrt (§ 16 Abs. 1 Nr. 8a, Abs. 2 AÜG: bis zu EUR 500.000 für den Kunden).

Bei einem Verstoß von Personaldienstleistern gegen das Verbot drohen erlaubnisrechtliche Konsequenzen (z.B. Auflagen, Widerruf der Erlaubnis mangels Zuverlässigkeit gem. § 5 AÜG). Zeitarbeitskräfte dürfen also nicht auf mittelbar oder unmittelbar streikbetroffenen Arbeitsplätzen tätig werden, während der Betrieb des Kunden bestreikt wird. Der Gesetzgeber will mit der Bestimmung die Position von Zeitarbeitskräften stärken und eine missbräuchliche Einwirkung auf Arbeitskämpfe unterbinden (BT-Drucksache 18/9232, S. 27 f.).

Arbeitgeberin sieht Streikbrecherverbot als Eingriff in Unternehmerfreiheit

Die Beschwerdeführerin ist Arbeitgeberin in der Unterhaltungsindustrie. Sie betreibt bundesweit Filmtheater. Im Jahr 2012 schlossen die Beschwerdeführerin und weitere Unternehmen der Unternehmensgruppe erstmals Mantel- und Entgeltfirmentarifverträge ab, die von der Gewerkschaft zum Ende des Jahres 2016 gekündigt wurden. Der im Januar 2017 geschlossene Entgelttarifvertrag wurde seitens der Gewerkschaft fristgemäß zum 28. Februar 2019 gekündigt. Während der Arbeitskämpfe in den Jahren 2012 und 2017 setzte die Beschwerdeführerin auf den streikbetroffenen Arbeitsplätzen Leiharbeitskräfte ein.

Die Beschwerdeführerin hat Verfassungsbeschwerde erhoben und diese sodann mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung verbunden. Sie rügt eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Sie sei von der angegriffenen Norm unmittelbar und gegenwärtig betroffen, da Arbeitskämpfe zu erwarten seien, für die sie disponieren müsse. Ihr sei kein anderer Rechtsweg eröffnet, um sich zumutbar gegen das Verbot in § 11 Abs. 5 AÜG zur Wehr zu setzen. Die Regelung verletze sie in ihren Grundrechten. Das Verbot, auf Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Einsatz von Zeitarbeitskräften zu reagieren, schränke sie in der Wahl der Kampfmittel und damit in der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit als Koalition in unverhältnismäßiger Weise ein. Es handele sich um einen Eingriff in die Unternehmerfreiheit, der nicht durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt sei.

BVerfG: Streikbrecherverbot bleibt vorerst bestehen

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde vom BVerfG abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG lägen nicht vor. Aufgrund der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung sei ein strenger Maßstab anzusetzen.

Der Eilantrag sei jedenfalls unbegründet, da keine erheblichen Nachteile erkennbar seien. Die Richter verweisen unter anderem auf die Möglichkeit, eigene arbeitswillige Arbeitskräfte oder zu diesem Zweck befristet eingestellte Kräfte oder aber Drittpersonal im Rahmen eines Werkvertrags mit anderen Unternehmen („Outsourcing“) einzusetzen.

Entscheidung über Verfassungskonformität des Streikbrecherverbot aufgeschoben, noch nicht aufgehoben

Das BVerfG hat mit der Entscheidung allerdings nicht die Verfassungskonformität von § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG bestätigt (oder negiert), sondern aufgrund der im Rahmen der einstweiligen Anordnung zu treffenden Abwägung lediglich festgestellt, dass die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Erwägungen nicht hinreichend waren, um das Pendel eindeutig zu deren Gunsten und damit zu Gunsten des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung ausschlagen zu lassen, nach der § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG zunächst hätte unangewendet bleiben müssen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Anforderungen an eine einstweilige Anordnung, die zur Aussetzung eines Gesetzes führen kann, außerordentlich hoch sind und das Gericht sehr streng prüft.

Das BVerfG hat jedoch klar eine Grundrechtsbetroffenheit der Beschwerdeführerin bestätigt und ergänzend formuliert, dass die Verfassungsbeschwerde

weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Eine Verletzung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit sowie der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Beschwerdeführerin ist jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen.

Es bleibt also das Hauptsacheverfahren, nämlich die eingelegte Verfassungsbeschwerde, und dessen Ergebnis abzuwarten, ob der Gesetzgeber durch die in der Tat eingriffsintensive Regelung in § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG seine Kompetenzen überdehnt und damit in nicht gerechtfertigter Art und Weise grundrechtlich geschützte Positionen verletzt hat. Karlsruhe dürfte sich die Entscheidung nicht leicht machen – dies ist aus dem vorliegenden Beschluss bereits ersichtlich.

Die unmittelbare Konsequenz des Beschlusses des BVerfG ist, dass § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG weiter anzuwenden ist. Das strenge „Streikbrecherverbot“ von Zeitarbeitnehmern bei einem Arbeitskampf im Betrieb des Kunden gilt also (zunächst) uneingeschränkt weiter.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der März-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Streikbrecherverbot Unternehmerfreiheit Zeitarbeitnehmer