24. Juni 2021
Personalgestellung
Arbeitsrecht

Das AÜG und Europa – die Personalgestellung liegt nun dem EuGH vor!

Die im öffentlichen Dienst verbreitete Personalgestellung unterliegt nicht den einschränkenden Vorschriften des AÜG. Ob die gesetzliche Bereichsausnahme europarechtlichen Vorgaben entspricht, wird nun der EuGH klären müssen.

Wieder hat eine Frage in Zusammenhang mit dem AÜG den Weg nach Luxemburg gefunden – diesmal im Zusammenhang mit der Bereichsausnahme nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b) AÜG. Nach dieser Vorschrift finden die wesentlichen Bestimmungen des AÜG keine Anwendung auf eine Arbeitnehmerüberlassung zwischen Arbeitgebern, wenn 

  1. Aufgaben eines Arbeitnehmers* von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden und
  2. auf Grund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber weiter besteht und
  3. die Arbeitsleistung zukünftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird. 

Betroffen ist damit im Wesentlichen die gerade im öffentlichen Dienst auf Grundlage der dort anwendbaren Tarifverträge weit verbreitete Personalgestellung.

Arbeitnehmer sieht Personalgestellung nach der Zeitarbeitsrichtlinie als rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung an

Der Vorlage an den EuGH liegt nach der Pressemitteilung des BAG vom 16. Juni 2021 – 6 AZR 390/20 (A) folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des klagenden Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Ar­beitsleistung dauerhaft im Wege der Personalgestellung bei einem Drittunternehmen zu er­bringen, nachdem sein Aufgabenbereich zu diesem verlagert worden ist. Der Kläger ist bei der beklagten GmbH seit April 2000 beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus, deren Trägerin und einzige Gesellschafterin eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist. Sie besitzt keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für kommunale Arbeitgeber geltenden Fassung (TVöD-VKA) Anwendung.

Im Juni 2018 gliederte die Beklagte verschiedene Aufgabenbereiche, zu denen auch der Ar­beitsplatz des Klägers gehört, auf eine neu gegründete Service GmbH aus. Die Ausgliederung führte zu einem Betriebsteilübergang. Der Kläger widersprach nach § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Service GmbH. Seit Juni 2018 erbringt er aller­dings auf Verlangen der Beklagten seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Wege der Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD bei dieser GmbH. Sein dortiger Arbeitseinsatz ist auf Dauer angelegt. Das zwischen ihm und der Beklagten vereinbarte Arbeitsverhältnis besteht mit dem bisherigen Inhalt fort. Der Service GmbH obliegt das fachliche und organisatorische Weisungsrecht gegenüber dem Kläger. Inhaltsgleiche Regelungen be­stehen in den Tarifverträgen für die Tarifbereiche des Bundes und der Länder.

Der Kläger macht geltend, dass sein Einsatz bei der Service GmbH gegen Unionsrecht verstoße. Bei der Personalgestellung i.S.v. § 4 Abs. 3 TVöD handele es sich um eine dauerhafte und damit nach der Zeitarbeitsrichtlinie rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung. Die Beklagte meint demgegenüber, die Personalgestellung sei bereits aufgrund der Be­reichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b) AÜG keine unzuläs­sige Arbeitnehmerüberlassung. 

Vorlage an den EuGH: Fällt Personalgestellung i.S.v. § 4 Abs. 3 TVöD in den Anwendungsbereich der Zeitarbeitsrichtlinie?

Inhaltlich konnte das BAG den Rechtsstreit wegen der europarechtlichen Bezüge und der Notwendigkeit der Auslegung der Zeitarbeitsrichtlinie in der Sache nicht abschließend beurteilen. Der 6. Senat des BAG rief daher den nach Art. 267 AEUV zur Beantwortung zweier Fragen zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Zeitarbeitsrichtlinie zuständigen EuGH an. 

Das zu erwartende Urteil des EuGH birgt insbesondere für den öffentlichen Dienst eine enorme Sprengkraft. Stellt der EuGH nämlich fest, dass die Personalgestellung vom Anwendungsbereich der Zeitarbeitsrichtlinie erfasst wird und – wenn ja – dass der Gesetzgeber diese weitergehend durch die gesetzliche Bereichsausnahme nicht von der Anwendung der wesentlichen Vorschriften des AÜG hätte ausnehmen können (beide Fragen werden insbesondere im Schrifttum höchst kontrovers diskutiert), wäre § 1 Abs. 3 Nr. 2b) AÜG europarechtswidrig und könnte, da eine europarechtskonforme und damit geltungserhaltende Auslegung wohl nicht möglich wäre, nicht angewendet werden. 

Spannend sind sodann die Rechtsfolgen für das nationale Recht: es könnte argumentiert werden, dass – da eine Privilegierung der Personalgestellung aus europarechtlichen Erwägungen nicht in Betracht kommt – die gesetzlichen Bestimmungen des AÜG uneingeschränkt zur Anwendung kommen, so dass zumindest eine verdeckte, wenn nicht sogar eine illegale, weil ohne eine Erlaubnis durchgeführte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt. Dabei könnte es zu einer Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Einsatzunternehmen kommen. Damit würde den betroffenen Mitarbeitern jedoch Steine statt Brot gegeben, da die Personalgestellung im öffentlichen Dienst gerade im Fall eines Betriebsübergangs, z.B. bei der Ausgliederung von Bereichen im Rahmen von Privatisierungen, betrieben wird, um die einem solchen widersprechenden Arbeitnehmer de facto dem übernehmenden Unternehmen zur Arbeitsleistung „zuweisen″ zu können. Durch die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses würde gerade ein Zustand geschaffen, den die Arbeitnehmer durch den Widerspruch gegen den Betriebsübergang zu vermeiden suchten. Ob die Rechtsprechung soweit gehen würde, dürfte vor diesem Hintergrund mit einem Fragezeichen versehen werden. 

Fraglich ist auch, ob der equal pay-Grundsatz zur Anwendung kommen dürfte (wenn die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht kommen sollte) oder ob dieser durch die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes, die für die Arbeitsverhältnisses der betroffenen Arbeitnehmer in der Regel über eine Bezugnahmeklausel gelten, wirksam abbedungen worden ist. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob es sich bei diesen um solche i.S.v. § 8 Abs. 2 AÜG handelt (in diese Richtung wohl: BAG, Urteil v. 14. Oktober 2020 – 7 AZR 286/18) und – wenn ja – ob diese den geforderten „Gesamtschutz der Zeitarbeitnehmer″ sicherstellen (vgl. dazu ein weiteres Vorlageverfahren beim EuGH, BAG v. 16. Dezember 2020 – 5 AZR 143/19 (A). 

Der öffentliche Dienst blickt gespannt zum EuGH! 

So oder so – das Vorlageverfahren beim EuGH hat es für den öffentlichen Dienst in sich, könnte eine Entscheidung das bislang praktizierte Modell der Personalgestellung, das bislang über die gesetzliche Bereichsausnahme ohne die Beachtung der wesentlichen Bestimmungen des AÜG praktiziert werden konnte, aus rechtlichen oder zumindest aus wirtschaftlichen Erwägungen in Gefahr bringen.

Nicht nur die Augen der Personaldienstleister richten sich aufgrund der Vorlage zu den Tarifverträgen der Zeitarbeit (vgl. BAG, Urteil v. 16. Dezember 2020 – 5 AZR 143/19 (A) gespannt und gebannt nach Luxemburg – spätestens seit der Entscheidung des BAG vom 16. Juni 2021 geht es dem öffentlichen Dienst genauso. Etwas pathetisch gesprochen entscheidet sich das Schicksal der Zeitarbeit im Allgemeinen und der Personalgestellung im Besonderen nunmehr beim EuGH.

Die weitere Entwicklung muss genau beobachtet werden, zumal sich aus der erwarteten Entscheidung aus Luxemburg ggf. auch Ableitungen ergeben können, ob die weiteren, vom Gesetzgeber vorgesehenen Tatbestände der Bereichsausnahme nach § 1 Abs. 3 AÜG rechtlich belastbar sind. Dies gilt insbesondere für das Konzernprivileg nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, das in der Praxis – trotz erheblicher Vorbehalte gegen die Europarechtskonformität – ebenfalls verbreitete Anwendung findet, um ohne die Beachtung der wesentlichen Vorschriften des AÜG innerhalb einer Unternehmensgruppe Arbeitnehmer zu überlassen.

Neben einer Betroffenheit der „klassischen″ Personaldienstleister und des öffentlichen Dienstes könnten die Urteile des EuGH damit eine „flächendeckende″ und eingriffsintensive Auswirkung für bislang gelebte Arbeits- und Beschäftigungsmodelle des Fremdpersonaleinsatzes in allen Branchen des Wirtschaftslebens in Deutschland haben. Man kann nur hoffen, dass die Gerichte die zu klärenden maßgeblichen Fragen mit Augenmaß beantworten werden. 

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitnehmerüberlassung Personalgestellung Zeitarbeitsrichtlinie