31. Juli 2019
Sozialversicherung Nachzahlung Insolvenz
Arbeitsrecht

Drohende Insolvenz wegen nachzuzahlender SV-Beiträge

Eine Betriebsprüfung beim Arbeitgeber kann dazu führen, dass Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. Die Folge kann eine drohende Insolvenz sein.

Die Träger der Rentenversicherung müssen bei jedem Arbeitgeber mindestens alle vier Jahre eine Betriebsprüfung durchführen (§ 28p SGB IV). Das Ergebnis einer solchen kann sein, dass Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. Ob diese Nachforderung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt, lässt sich oft nur in einem langwierigen Klageverfahren vor den Sozialgerichten klären, insbesondere dann, wenn der Rentenversicherungsträger die Beiträge geschätzt hat.

Beitragsbescheid ist sofort vollziehbar

Was Arbeitgeber wissen müssen: Der Bescheid über die Anforderung von Sozialversicherungsbeiträgen ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Der Arbeitgeber kann gegen den Bescheid zwar Widerspruch und Anfechtungsklage erheben. Diese Rechtsbehelfe haben aber keine aufschiebende Wirkung. Deshalb ist die Beitragsforderung sofort zahlbar, auch wenn unklar ist, ob sie überhaupt besteht.

Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung

Um die Härten, die sich daraus ergeben, abzumildern, hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass der Arbeitgeber bei der Stelle, die die Beiträge anfordert, beantragen kann, die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheids ganz oder teilweise auszusetzen (§ 86a Abs. 3 SGG). Dies ist in der Praxis aber nur eine theoretische Möglichkeit, weil die Sozialversicherungsträger einen solchen Antrag in aller Regel ablehnen. Arbeitgeber sollten sich gut überlegen, ob sie hierfür überhaupt Zeit und Geld (z. B. Anwaltskosten) aufwenden.

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung

Der Gesetzgeber hat aber noch einen Schritt weiter gedacht: Der Arbeitgeber kann bei dem Sozialgericht den Antrag stellen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid ganz oder teilweise anzuordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitgeber gegen den Bescheid Widerspruch erhoben hat. Lässt er die Widerspruchsfrist ungenutzt verstreichen, wird der Beitragsbescheid bestandskräftig, so dass gegen seine Vollziehbarkeit nichts mehr unternommen werden kann.

Ermessensentscheidung des Sozialgerichts

Das Sozialgericht entscheidet über den Antrag in einem beschleunigten Verfahren. Es handelt sich um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Dabei trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung, ob aus seiner Sicht in dem konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der Beitreibung der Beiträge oder das private Interesse des Arbeitgebers, zunächst die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids im Hauptsacheverfahren klären zu lassen, überwiegt.

Keine einheitliche Handhabung der Sozialgerichte

Dabei muss man Folgendes wissen: Der Gesetzgeber hat in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den Instanzenzug beschränkt, um sicherzustellen, dass die Verfahren zügig abgeschlossen werden. Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts kann nur Beschwerde zum Landessozialgericht eingelegt werden. Eine anschließende Anrufung des Bundessozialgerichts ist – anders als gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren – nicht möglich. Da das Bundesozialgericht somit mit Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nie befasst wird, kann es für diese Streitigkeiten keine allgemeinen Leitlinien aufstellen. Dies hat zur Folge, dass die 14 Landessozialgerichte in Deutschland (Niedersachsen und Bremen sowie Berlin und Brandenburg haben jeweils ein gemeinsames) unterschiedliche Maßstäbe anlegen.

Insolvenzrisiko als unbillige Härte?

Einig sind sich die Gerichte noch darin, dass die Vollziehung eines Beitragsbescheids einstweilen ausgesetzt wird, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids bestehen oder die Vollziehung des Bescheids für den Arbeitgeber eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Der erste Fall (ernsthafte Zweifel) liegt selten vor. Denn oft sind die rechtlichen Fragen kompliziert, so dass das richtige Ergebnis nicht auf der Hand liegt. Arbeitgeber können sich alternativ aber auf den zweiten Fall stützen, also darlegen, dass ihre sofortige Zahlungspflicht eine unbillige Härte darstellt.

Immerhin können die Beitragsforderungen, die die Sozialversicherungsträger nach einer Betriebsprüfung erheben, bei einer großen Belegschaft schnell in die Millionen gehen. Für viele Unternehmen können solche Beträge ein Insolvenzrisiko bedeuten. Die interessante Frage ist daher, ob eine drohende Insolvenz eine unbillige Härte für den Arbeitgeber ist, die es rechtfertigt, die Vollziehung des Beitragsbescheids auszusetzen. Genau in dieser Frage sind sich die Landessozialgerichte uneinig. Dies wurde jüngst wieder einmal deutlich, als zwei Landessozialgerichte diese Frage gegensätzlich entschieden.

So sah das Bayerische LSG (Beschluss v. 11. März 2019 – L 16 BA 174/18 B ER) in dem Umstand, dass der Arbeitgeber im Falle der sofortigen Begleichung der Beitragsforderung zahlungsunfähig geworden wäre und einen Insolvenzeröffnungsantrag hätte stellen müssen, eine unbillige Härte. Zur Begründung wies es unter anderem darauf hin, dass eine solche Insolvenz zum Wegfall der Arbeitsplätze führen würde. Im Gegensatz hierzu meinte das LSG Schleswig-Holstein (Beschluss v. 2. Mai 2019 – L 5 BA 37/19 B ER), dass selbst eine drohende Insolvenz nicht die Aussetzung der Vollziehung gebiete, weil die Beitragslast jeden Beitragspflichtigen unabhängig von seinem Vermögen und seinen Einkommensverhältnissen treffe.

Praxistipp: Gründliche Darlegung und Ratenzahlungsangebot

Arbeitgeber, die mit existenzbedrohenden Beitragsnachforderungen konfrontiert sind, müssen das Insolvenzrisiko substantiiert und nachvollziehbar darlegen. Hierzu bedarf es, wie der Fall des Bayerischen LSG zeigt, einer Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse.

Daneben kann es – dies scheint im Fall des Bayerischen LSG Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts gehabt zu haben – sinnvoll sein, der Stelle, die die Sozialversicherungsbeiträge einzieht, eine Ratenzahlungsvereinbarung anzubieten. Denn wenn die Beiträge nach und nach gezahlt werden, vermindert sich das Risiko des Sozialversicherungsträgers, kein Geld zu erhalten. Bei einem Arbeitgeber, der sich von sich aus mit einer Ratenzahlung einverstanden erklärt, wird es dem Sozialversicherungsträger daher schwer fallen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die sofortige Begleichung der gesamten Beitragsschuld zur Verhinderung von Beitragsausfällen erforderlich ist.

Natürlich sollte bei Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung klargestellt werden, dass alle Zahlungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgen, wenn der Arbeitgeber der Ansicht ist, dass die Beiträge in Wirklichkeit nicht geschuldet sind, und dies in einem Hauptsacheverfahren vor den Sozialgerichten klären lassen möchte. Hebt das Sozialgericht später den Beitragsbescheid auf, erhält der Arbeitgeber die bereits geleisteten Zahlungen nebst 4 % Zinsen zurück (§ 27 Abs. 1 SGB IV).

Tags: aufschiebende Wirkung Insolvenz Nachzahlung Sozialversicherung