13. September 2011
Gegenverfügung, Compliance, Kartell
Arbeitsrecht

Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht noch was Besseres findet

Eine Scheidung ist in Deutschland schon lange kein Stigma mehr. Bei rund 187.000 Scheidungen, die im Jahr 2010 deutschlandweit registriert wurden, sind gescheiterte Ehen inzwischen gesellschaftsfähig. Gleiches gilt für die Zweit- oder Drittehen sowie die Familienform der „Patchworkfamilie“. Ernsthafte Probleme kann eine Zweitehe jedoch dann bereiten, wenn man in einer Einrichtung der katholischen Kirche arbeitet. Hier gelten besondere Regeln.

Spannend wird es dann, wenn solche Fälle vor den Arbeitsgerichten landen. So hat der 2. Senat des BAG hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass die Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes nicht in jedem Fall seine ordentliche Kündigung rechtfertigt.

Die Richter bestätigten zwar, dass Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen nach wie vor das verfassungsmäßig verbriefte Recht hätten, von ihren Mitarbeitern ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Der Loyalitätsverstoß müsse aber bei Abwägung der Interessen der Beteiligten ein hinreichend schweres Gewicht haben, um eine Kündigung rechtfertigen zu können.

Der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses hatte im Jahr 2000 seine Stelle dort angetreten. Sein Dienstvertrag wurde unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 geschlossen. Die Grundordnung schreibt den Mitarbeitern die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre vor. Bei schwerwiegenden Loyalitätsverstößen sieht die Grundordnung eine Kündigung aus „kirchenspezifischen Gründen“ vor. Als solch ein Verstoß wird der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe gewertet. Nachdem sich die erste Ehefrau des Chefarztes von ihm getrennt hatte, lebte er mit seiner jetzigen Frau in den Jahren 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen. Dieser Umstand war dem Krankenhaus bekannt. Nachdem die Scheidung von seiner ersten Frau abgewickelt war, heiratete der Arzt im Jahr 2008 seine zweite und jetzige Frau standesamtlich. Als das Krankhaus dies erfuhr, kündigte es das Arbeitsverhältnis fristgemäß. Bemerkenswert ist, dass das Krankenhaus auch nicht katholische wiederverheiratete Chefärzte beschäftigt.

Der Chefarzt klagte gegen die Kündigung und bekam in allen Instanzen Recht. Zuletzt bestätigte das BAG, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt war. Der Chefarzt habe sich zwar einen Loyalitätsverstoß zuschulden kommen lassen. Diesem komme mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht auch beträchtliches Gewicht zu. Insgesamt habe aber das Interesse des Arztes an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwogen. Folgende Aspekte wurden in diesem Zusammenhang hervorgehoben:

– Das Krankenhaus habe selbst sowohl in der Grundordnung als auch in der Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis der leitenden Mitarbeiter verzichtet. Das zeige sich sowohl an der Beschäftigung nicht katholischer, wiederverheirateter Ärzte als auch in der Hinnahme des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Lebensgemeinschaft während der Jahre 2006 bis 2008.

– Der Chefarzt stehe trotz seiner Wiederverheiratung zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre. Er sei an ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstands gescheitert. Bei dieser Lage sei auch der ebenfalls grundrechtlich geschützte Wunsch des Mannes und seiner jetzigen Ehefrau zu achten, in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben zu dürfen. (BAG vom 8. September 2011 – 2 AZR 543/10)

Tags: Bundesarbeitsgericht Kirche Kündigung Loyalitätsverstoß Rechtsprechung Scheidung Wiederverheiratung