17. Mai 2017
Dynamische Bezugnahmeklausel
Arbeitsrecht

Dynamische Bezugnahmeklauseln und der Betriebsübergang

Dynamische Bezugnahmeklauseln behalten ihre Dynamik auch nach dem Betriebsübergang; und dies selbst bei tarifungebundenen Arbeitgebern.

Der EuGH hat mit Entscheidung vom 27. April 2017 (Az.: C-680/15) bestätigt, dass einzelvertragliche Bezugnahmeklauseln auf zukünftige tarifliche Änderungen nach einem Betriebsübergang ihre Dynamik behalten. Diese Entscheidung entspricht auch der bisher ständigen Rechtsprechung des BAG.

Voraussetzung sei, dass das nationale Recht die einvernehmliche oder einseitige Änderungsmöglichkeit für den Erwerber biete. Das heißt, der Erwerber ist (einzelvertraglich) verpflichtet, bei Vorliegen einer solchen dynamischen Bezugnahmeklausel die nach dem Betriebsübergang eintretende Tarifvertragsänderungen (insbesondere tarifliche Vergütungserhöhungen) an die übernommenen Arbeitnehmer weiterzugeben. Dies auch unabhängig davon, ob der Erwerber an deren tariflicher Ausgestaltung hat mitwirken können oder nicht.

Entgegen der Schlussanträge des Generalanwalts und der bisherigen Üblichkeit, diesen Anträgen zu folgen, belässt das Urteil des EuGH dynamischen Bezugnahmeklauseln auch bei tarifungebundenen Arbeitgebern ihre Dynamik.

Arbeitnehmer werden von nicht tarifgebundenem Erwerber übernommen

Der Entscheidung lagen die Vorlagebeschlüsse des BAG zugrunde (BAG, Urteil v. 17.06.2015 – 4 AZR 61/14(A) und 4 AZR 95/14 (A) – EuGH Rs. C-680/15 (Asklepios Kliniken) und C-681/15 (Asklepios Dienstleistungsgesellschaft) gegen Ivan Felja / Vittoria Graf).

Die Arbeitsverhältnisse der ursprünglich bei einem kommunalen Krankenhaus beschäftigten Kläger waren auf eine nicht-tarifgebundene Gesellschaft übergegangen. Diese vereinbarte die Anwendung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in ihrer jeweils geltenden Fassung. Von dieser Gesellschaft gingen die Arbeitsverhältnisse – im Wege eines weiteren Betriebsübergangs – auf eine ebenfalls nicht tarifgebundene Konzerngesellschaft über. Diese wiederum verweigerte die Weitergabe der nach dem Übergang erfolgten Tariflohnerhöhungen.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu dynamischen Bezugnahmeklauseln, die nach dem 01. Januar 2002 abgeschlossen wurden (beziehungsweise in nach dem 01. Januar 2002 geänderten Verträgen enthalten sind), bestand nach nationalem Verständnis kein Zweifel an der Fortgeltung der Dynamik. Das bedeutet, die zwischenzeitlich eingetretenen Vergütungserhöhungen müssen – trotz Fehlens eigener Tarifbindung – vom Erwerber verpflichtend an die (übernommenen) Arbeitnehmer weitergegeben werden.

Allerdings sah sich das BAG nach vorangegangenen Entscheidungen des EuGH in Sachen Werhof (EuGH, Urteil v. 09.03.2006 – C-499/04, DB 2006, 673) und Alemo-Herron (EuGH, Urteil v. 18.07.2013 – C-426/11, DB 2013, 1851) veranlasst, die Frage der dynamischen Fortgeltung dem EuGH zur Prüfung vorzulegen.

EuGH: Dynamische Bezugnahmeklausel geht als arbeitsvertragliche Pflicht über

Der EuGH zog zur Beantwortung der Vorlagefragen die bisherige Rechtsprechung in den vorgenannten Verfahren heran.

In der Rechtssache Werhof hatte der EuGH festgestellt, dass eine arbeitsvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahmeklausel bei einem Betriebsübergang grundsätzlich als arbeitsvertragliche Pflicht auf den Erwerber übergeht. Gegenstand der Entscheidung war eine statische Bezugnahmeklausel – also die Vereinbarung der Geltung bestimmter Tarifverträge in einer bestimmten Fassung. Die statische Geltung entspreche – so der EuGH – Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG (nachfolgend Übergangsrichtlinie).

In der Rechtssache Alemo-Herron führte der EuGH aus, dass die Übergangsrichtlinie – in Verbindung mit Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union („GRC″) – nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen, sondern zugleich auch dem gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer einerseits und denen des Erwerbers andererseits diene.

Daraus folgerte der EuGH, dass es dem Erwerber möglich sein müsse, nach dem Betriebsübergang die für die Fortsetzung der Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Bestehe diese Möglichkeit nicht, verliere die Bezugnahme ihre Dynamik und wirke lediglich statisch fort.

Maßgeblich ist einvernehmliche oder einseitige Änderungsmöglichkeit des Erwerbers

Anders als Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen kam der EuGH zu dem Schluss, dass der Erwerber nicht die Möglichkeit haben müsse, an den Abschlüssen der in Bezug genommenen Kollektivverträge teilzunehmen. Vielmehr lässt es der EuGH in seiner Entscheidung vom 27. April 2017 zur Wahrung des Interessenausgleichs ausreichen, dass der Erwerber nach nationalem Recht die Möglichkeit hat, einvernehmlich oder auch einseitig Änderungen (der Bezugnahmeklausel) herbeizuführen.

Ob dies im konkreten Fall nach deutschem Recht möglich ist, hat der EuGH nicht geprüft. Die im Vorlageverfahren Beklagten hatten vorgetragen, dass diese Anpassungsmöglichkeiten gerade nicht bestünden, beziehungsweise nicht wirksam (genug) seien. Die Beurteilung dieser Frage obliege hingegen nach Ansicht des EuGH den nationalen Gerichten.

Für die Praxis: Erwerber ist grundsätzlich zur Weitergabe der Lohnerhöhung verpflichtet

In seiner Vorlageentscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht mitgeteilt, dass sowohl die einvernehmliche, als auch die einseitige Änderungsmöglichkeit für den Erwerber nach nationalem Recht bestehe.

Mit Blick auf die hohen Anforderungen an die Wirksamkeit einer Änderungskündigung zur Anpassung von Vertragsbedingungen – insbesondere im Hinblick auf die Vergütungshöhe – scheidet in der Praxis eine einseitige Änderungsmöglichkeit der Bezugnahmeklausel nach deutschem Recht jedoch regelmäßig aus.

Bleibt einzig die einvernehmliche Vertragsanpassung zur Beseitigung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln. Diese wird sich in der Praxis nur dann nutzen lassen, wenn den Arbeitnehmern im Gegenzug für den Verzicht auf die Dynamik ein entsprechender erheblicher Wertausgleich geboten wird.

Kaufmännisch stellt dies in der Regel keine Option für den Erwerber dar. Im Ergebnis muss der Erwerber also (weiterhin) davon ausgehen, dass er gegenüber den übernommenen Mitarbeitern (mit entsprechender dynamischer Verweisungsklausel) auch weiterhin zur Weitergabe der entsprechenden Lohn- und Gehaltserhöhungen verpflichtet ist.

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