Die Bedeutung von Carve-Outs nimmt branchenübergreifend zu. Das gilt auch für die Energiewirtschaft, für die dabei aus arbeitsrechtlicher Sicht zahlreiche Besonderheiten gelten.
Treiber für Carve-Outs in der Energiewirtschaft ist nicht nur die ohnehin starke gesetzliche Regulierung (z.B. Trennung des Netz- und Vertriebsgeschäfts), sondern aktuell insbesondere die Energiewende. Denn diese verlangt von den Unternehmen die Einhaltung der ESG-Kriterien sowie einen Weg zum Ausstieg aus der Kohleverstromung, was u.a. durch Carve-Outs umgesetzt werden kann. Hinzukommt die aktuelle Krise am Gas- und Strommarkt, die gerade bei Energieversorgern die Überprüfung ihrer Geschäftsmodelle sowie deren Profitabilität und Risiken verlangt und zu Carve-Out Entscheidungen führt.
Dieser Beitrag greift einzelne, aber aus unserer Sicht wesentliche arbeitsrechtliche Besonderheiten bei Carve-Outs in der Energiebranche heraus.
Gestaltung von Carve-Outs
Mit einem Carve-Out spalten Unternehmen einen Geschäftsbereich ab und übertragen ihn auf einen (externen) Erwerber
Ein von einem Carve-Out betroffener Geschäftsbereich wird entweder direkt durch einen Kauf- und Übertragungsvertrag auf eine neu gegründete oder, was seltener ist, auf eine bereits operativ tätige Gesellschaft des Erwerbers übertragen (Asset-Deal). Alternativ wird der Geschäftsbereich zunächst auf eine konzerninterne Gesellschaft übertragen, die in einem zweiten Schritt im Wege eines Anteilsverkaufs (Share-Deal) an den Erwerber veräußert wird.
Auch umwandlungsrechtliche Vorgänge wie z.B. die Ausgliederung oder Abspaltung eines Geschäftsbereichs können im Rahmen von Carve-Outs zum Tragen kommen, müssen aber wegen der langen Nachhaftung des veräußernden Unternehmens nach § 133 UmwG sorgfältig abgewogen werden.
Sollen Gegenstand eines Carve-Outs auch Verbindlichkeiten aufgrund von Versorgungszusagen gegenüber ausgeschiedenen Mitarbeitern sein, kann dies mittels der gesetzlich angeordneten Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungsmaßnahmen erfolgen und die Nachteile der Nachhaftung ggf. aufwiegen. Diese Regelungen gelten auch für Carve-Outs bei Energieunternehmen, insoweit bestehen keine besonderen Übertragungswege.
Betriebsspaltungen und organisatorische Anpassungen
Der Carve-Out eines Geschäftsbereichs bedingt regelmäßig die Spaltung eines oder mehrerer Betriebe, über die gem. § 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG mit den zuständigen Betriebsräten Interessenausgleichsverhandlungen zu führen sind. In der Regel ist der zu veräußernde Geschäftsbereich auch nicht bereits organisatorisch von anderen Geschäftsbereichen getrennt und muss zunächst als eigene organisatorische Einheit gestaltet werden, bevor er auf einen Erwerber übertragen werden kann. Geht damit eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation einher, muss hierzu nach § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG ebenfalls ein Interessenausgleich versucht werden. Um zu klaren Mitarbeiterzuordnungen zu gelangen, die vor allem auch von den Beschäftigten akzeptiert werden, ist eine Namensliste zu empfehlen, die mit dem Interessenausgleich verbunden sein muss.
Die bloß organisatorische Trennung und Betriebsspaltung sind nicht mit Nachteilen für die Beschäftigten verbunden, weshalb die Verhandlung eines Sozialplans bei Carve-Outs meist nicht erforderlich ist. Anders kann dies sein, wenn anlässlich des Carve-Outs Personalanpassungen, Stellenverlagerungen oder andere Maßnahmen erfolgen sollen, die zu wirtschaftlichen Nachteilen für die betroffenen Mitarbeiter führen. Da die Zeitpläne für Carve-Outs oft knapp sind, die Zielorganisation schnell erreicht werden muss und keine Zeit für Einigungsstellen besteht, kommen in solchen Fällen Freiwilligenprogramme zum Tragen. Hier können Energieversorger oft auf Programme zurückgreifen, die bei vorangegangenen Maßnahmen angewandt oder ohnehin als Rahmenprogramm aufgesetzt wurden.
Betriebsübergänge mit Überleitungsvereinbarungen
Carve-Outs sind regelmäßig mit einem Betriebsübergang gem. § 613a BGB verbunden, entweder bei der konzerninternen Separierung des Geschäftsbereichs in eine eigenständige Gesellschaft als Vorbereitungsschritt für die anschließende Übertragung auf einen Erwerber oder unmittelbar bei der Übertragung des Geschäftsbereichs auf den Erwerber. In allen Fällen spielt die Sicherung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, Betriebsräte und Gewerkschaften eine große Rolle, weil § 613a BGB bei kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen keinen absoluten Bestandsschutz gewährt. Zwar werden kollektivrechtliche Arbeitsbedingungen grundsätzlich zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber und können vor Ablauf eines Jahres nach dem Übergang nur unter engen Voraussetzungen zum Nachteil der Beschäftigten geändert werden (§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB). Unter den Voraussetzungen und Grenzen von § 613a Abs. 1 S. 3 BGB werden die aus Arbeitnehmersicht günstigeren Arbeitsbedingungen des bisherigen Arbeitgebers jedoch von Gesetzes wegen und damit automatisch von den ungünstigeren Arbeitsbedingungen des Erwerbers abgelöst. In der Energiewirtschaft ist die Absicherung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen in so genannten Überleitungsvereinbarungen deshalb von besonderer Relevanz.
In der Energiewirtschaft sind die Arbeitsbedingungen im Vergleich zu anderen Branchen auf einem sehr hohen Niveau und überwiegend kollektivrechtlich, d.h. mit Gewerkschaften und Betriebsräten vereinbart. Das liegt nicht nur daran, dass die Unternehmen tarifgebunden sind und gefestigte Betriebsratsstrukturen haben, sondern auch an der langen Betriebszugehörigkeit vieler Beschäftigter sowie am hohen Bedarf nach (qualifizierten) Fachkräften bei einem angespannten Arbeitsmarkt.
Nicht selten wird der Bestandsschutz des § 613a BGB von den Arbeitnehmervertretern daher als eine Art „Basisschutz“ für die Beschäftigten verstanden, der hinsichtlich der potentiellen Ablösungen durch die kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen des Erwerbers anzupassen ist. Die Interessenausgleichsverhandlungen werden an diesem Punkt vor allem dann zu einer Herausforderung, wenn der Erwerber zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht bzw. nicht bekannt ist. In solchen Fällen wird häufig über ein Veränderungsverbot verhandelt, das die Absenkung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen für einen bestimmten Zeitraum nach dem Betriebsübergang ausschließt. Die veräußernden Unternehmen stehen dabei vor der Herausforderung, den Erwerbern größtmögliche Flexibilität zu gewähren, ohne Widersprüche der Beschäftigten gegen den Betriebsübergang in größerem Umfang auszulösen. Denn wenn die hohen Arbeitsbedingungen abgelöst bzw. beim Erwerber nicht (dauerhaft) erhalten bleiben, müssen die Beschäftigten im Rahmen des Informationsschreibens über diese Folgen des Betriebsübergangs (§ 613a Abs. 5 BGB) informiert werden. Wenn die Beschäftigten den Übergang für nachteilig halten, kann sie das zu einem Widerspruch gegen den Betriebsübergang veranlassen, sodass ihr Arbeitsverhältnis bei dem bisherigen Arbeitgeber verbleibt. Da der Carve-Out damit scheitern kann, muss sich das Unternehmen bei der Vorbereitung des Carve-Outs sowie im Rahmen der Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern damit befassen, wie Widersprüche verhindert und dennoch dem Erwerber ausreichende Flexibilität gewährt werden kann. In der Praxis erfolgt dieser Ausgleich häufig in tariflichen und betrieblichen Überleitungsvereinbarungen.
Versorgungsansprüche und Insolvenzsicherung
Gegenstand solcher Überleitungsvereinbarungen sind regelmäßig auch die in der Energiewirtschaft oft erheblichen Versorgungsansprüche der Beschäftigten, insbesondere bei den großen Versorgern mit teuren Direktzusagen durch das Unternehmen. Die Beschäftigten und Arbeitnehmervertreter haben oftmals die Sorge, dass der Erwerber die hohen Anwartschaften nicht erfüllen kann oder will und stellen daher die Forderung nach einer (besonderen) insolvenzrechtlichen Absicherung der Versorgungsansprüche beim Erwerber (z.B. durch eine Treuhandlösung/CTA).
Aus rechtlicher Sicht sind solche Vereinbarungen nicht zwingend, wenn man sich vor Augen führt, dass die Versorgungsansprüche auch bei dem Erwerber gesetzlich durch den Pensions-Sicherungs-Verein a.G. (PSV) vor Insolvenz geschützt sind. Dass dieser gesetzliche Insolvenzschutz nicht für die Anpassung laufender Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gem. § 16 BetrAVG gilt, ist hinnehmbar, weil Anpassungen von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens abhängen und deshalb ohnehin nicht vorhersehbar sind. In der Praxis kann dieses Thema in der Regel durch gute und frühe Kommunikation aller Beteiligten aufgefangen werden.
Sofern sich der Erwerber auf die Übernahme der Versorgungsansprüche der übergehenden aktiven Mitarbeiter beschränken möchte und nicht auch die (oft zahlreichen und hohen) Versorgungsansprüche der bereits ausgeschiedenen Beschäftigten übernehmen möchte, muss dies vorab bei der rechtlichen Ausgestaltung des Carve-Outs, d.h. bei der Festlegung des Transferwegs berücksichtigt werden. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, wenn das veräußernde Unternehmen sicherstellen möchte, dass die Versorgungsverbindlichkeiten gegenüber ausgeschiedenen Mitarbeitern nicht zurückbleiben. In beiden Fällen ist entscheidend, welcher Transferweg (Asset Deal, Share Deal und/oder umwandlungsrechtliche Maßnahme) gewählt wird.
Starker Kündigungsschutz
Aus Erwerbersicht ist zwingend, bei der Due Diligence ein besonderes Augenmerk auf die anwendbaren Kündigungsschutzregelungen zu legen. Denn sowohl Verbands- als auch Firmentarifverträge, aber auch Betriebsvereinbarungen enthalten im Bereich der Energieversorgung häufig Regelungen zum Kündigungsschutz, die weit über das gesetzliche Maß hinausgehen. Das betrifft u.a. ältere Beschäftigte, für die ab einem bestimmten Lebensjahr bestimmte Arten der ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung (verhaltens-, personen- oder betriebsbedingt) ausgeschlossen oder eingeschränkt sein können.
Wichtig ist daneben, dass betriebsbedingte Kündigungen – altersunabhängig – teilweise nur zulässig sind (ultima ratio), wenn die Beschäftigten zuvor ein zumutbares Weiterbeschäftigungsangebot oder eine zumutbare einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses (z.B. gegen Zahlung einer Abfindung oder Vorruhestand) abgelehnt haben. Die Zumutbarkeit wird dabei von den Tarif- bzw. Betriebsparteien definiert. Oft finden sich solche Regelungen in konzernweiten Rahmenregelwerken (z.B. Sozialtarifvertrag oder Konzernsozialplan) oder werden aus Anlass konkreter Personalabbaumaßnahmen vereinbart, die im Zusammenhang mit einem Carve-Out erforderlich werden.
Sofern Erwerber Personalanpassungsmaßnahmen planen, kann es daher geboten sein, bestehende Sonderkündigungsschutzregelungen im Zuge des Carve-Outs zu lockern. Das Momentum des Carve-Outs und das Angebot von Kompensationsleistungen können dabei behilflich sein, insbesondere wenn die Alternative die Stilllegung des betroffenen Geschäftsbereichs zur Folge hätte.
Energiewirtschaftliche Mitarbeitervorteile
Eine weitere Herausforderung bei Carve-Outs in der Energiebranche sind steuerbegünstigte Strom- bzw. Gasdeputate, die die Versorger ihren Mitarbeitern seit Jahrzehnten gewähren. Sie haben gerade in Zeiten rasant und erheblich gestiegener Strom- und Gaspreise für die Mitarbeiter eine erhebliche finanzielle Bedeutung. Hinzukommt, dass solche Kontingente oder Preisnachlässe auf vom Arbeitgeber produzierte oder vertriebene Energie nicht nur während der Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern auch nach Renteneintritt als Bestandteil der betrieblichen Altersversorgung gewährt werden. Geht das Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Carve-Out auf einen neuen Arbeitgeber über, können bei diesem die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung entfallen, wenn dieser selbst kein Energieversorger im Sinne der einschlägigen Steuergesetze ist. Da auch das ein Grund für Widersprüche der Beschäftigten sein kann, muss – insbesondere in Zeiten hoher Energiepreise – geprüft werden, ob und wie die Steuerbegünstigung bei dem Erwerber aufrechterhalten oder – falls das nicht der Fall ist – der Wegfall finanziell ausgeglichen oder gemindert werden soll.
Gewillkürte Arbeitnehmervertretungsstrukturen
Schließlich gelten für Unternehmen der Energiewirtschaft abweichend von der gesetzlichen Betriebsstruktur (§ 1 BetrVG) häufig Betriebs- oder Betriebsratsstrukturen, die durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung implementiert wurden, sog. gewillkürte Arbeitnehmervertretungsstrukturen (§ 3 BetrVG).
Wenn ein Betrieb oder Betriebsteil im Rahmen eines Carve-Outs auf einen Erwerber übertragen wird, kann es daher erforderlich werden, die Strukturvereinbarung des bisherigen Arbeitgebers sowie die des Erwerbers anzupassen und hierzu Verhandlungen mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung aufzunehmen. Hintergrund für die gewillkürte Betriebs(rats)struktur ist in der Regel die Aufstellung der Unternehmen, z.B. nach Sparten, Regionen oder unternehmensübergreifend/standortbezogen.
Eine Anpassung der bisherigen Strukturvereinbarung des Veräußerers wird insbesondere dann erfolgen, wenn einzelne Betriebe nach dem Carve-Out nicht mehr betriebsratsfähig sind oder viele kleine Betriebsräte bestehen, deren Stimme im Gesamtbetriebsrat gegenüber größeren Betrieben kein Gewicht mehr hätten. In den meisten Fällen geht es darum, für den auszugliedernden Geschäftsbereich eine neue, eigenständige Betriebsstruktur zu finden, da die Ausgliederung meist auf eine neue oder bislang nicht operative Gesellschaft ohne eigene Betriebsstruktur erfolgt. Dabei sind in den Verhandlungen mit der jeweiligen Gewerkschaft oder den Betriebsräten auch Regelungen zu Übergangsmandaten (§ 21a BetrVG), Anzahl der Betriebsratsmitglieder (§ 9 BetrVG) sowie Freistellungen (§ 38 BetrVG) üblich.
Fazit
Diese, nicht abschließenden Herausforderungen zeigen, dass Carve-Outs generell arbeitsrechtlich komplexe Projekte sind, die zusätzlich branchenbezogene Besonderheiten aufweisen. Für die Beschäftigten und Arbeitnehmervertreter sind sie oft mit Sorgen über eine ungewisse Zukunft verbunden, insbesondere wenn der Erwerber während der Verhandlungen mit dem Unternehmen nicht bekannt ist und ggf. auch nicht der Energiebranche angehört. Umgekehrt steht das veräußernde Unternehmen meist unter wirtschaftlichem Druck, den Carve-Out innerhalb eines engen Zeitplans umzusetzen. Diese verschiedenen Stränge gilt es seitens des Unternehmens unter der Mitwirkung von HR, den jeweiligen Fachbereichen, der Kommunikations- und Rechtsabteilung gut zu planen, vorzubereiten und zu organisieren, um einen Carve-Out erfolgreich umzusetzen.