31. Juli 2015
Massenentlassungsrichtlinie, Arbeitsrecht
Arbeitsrecht

EU-Arbeitnehmerbegriff gilt auch für Massenentlassungsrichtlinie 

Der EuGH hat klargestellt, dass der unionsrechtliche Begriff des Arbeitnehmers auch für die Massenentlassungsrichtlinie gilt.

Bereits mit der „Danosa″-Entscheidung (Urteil vom 11. November 2010 – C-232/09) hatte sich gezeigt, dass der EuGH sich nicht davor scheut, Geschäftsführer als „Arbeitnehmer″ einzuordnen, sofern diese – wie regelmäßig – gegen Entgelt tätig werden, in die Gesellschaft eingegliedert sind und ihre Tätigkeit weisungsabhängig oder zumindest unter gewisser Aufsicht eines anderen Organs der Gesellschaft erbringen. Diese Sichtweise hat der EuGH in seiner Entscheidung in der Sache „Balkaya″ (Urteil vom 9. Juli 2015 – C-229/14) nun auf ein weiteres und höchst praxisrelevantes Themenfeld übertragen: Auch der Massenentlassungsrichtlinie (RL 98/59/EG) ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen.

Die Vorlagefragen des ArbG Verden

Ausgangspunkt der Entscheidung des EuGH war eine entsprechende Vorlage des ArbG Verden (wir berichteten bereits; Vorlage vom 6. Mai 2014 – 1 Ca 35/13). Im dortigen Verfahren kam es für das Erreichen der Schwellenwerte des § 17 KSchG entscheidend darauf an, ob zum einen ein Fremdgeschäftsführer (erste Vorlagefrage) und zum anderen eine sich in einer Umschulungsmaßnahme befindliche Bürokauffrau (zweite Vorlagefrage; die damit verbundenen Rechtsfragen können hier nicht weiter vertieft werden) im Rahmen der Schwellenwerte mit zu berücksichtigen sind.

EuGH konkretisiert den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff weiter

Schon in früheren Entscheidungen hatte der EuGH darauf verwiesen, dass eine unionsrechtsautonome Begriffsbestimmung des „Arbeitnehmers″ immer dann zwingend ist, wenn die betreffende Richtlinie – wie hier die Massenentlassungsrichtlinie – insoweit nicht auf das nationale Recht zurück verweist (vgl. etwa Urteil vom 12.Oktober 2004 – C-55/02) und der europäische Gesetzgeber insoweit gerade eine Harmonisierung und Angleichung anstrebte. Daher war es wenig überraschend, dass der EuGH auch hinsichtlich des Arbeitnehmerbegriffs in der Massenentlassungsrichtlinie eine autonome und einheitliche Auslegung vornimmt und den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff in Anlehnung an seine bisherige Rechtsprechung (vgl. etwa Urteil vom 8. Juni 1999 – C-337/97) weit auslegt.

So stellt der EuGH in seiner Begründung fest, dass es zunächst keine Rolle spiele, ob der zugrunde liegende Geschäftsführer-Anstellungsvertrag nach nationalem Recht kein Arbeitsvertrag sei. Entscheidend sei alleine eine Betrachtung der Arbeitnehmereigenschaft anhand „objektiver Kriterien″, wobei eine Leistungserbringung nach Weisung ein wesentliches Merkmal des Arbeitsverhältnisses sei (Rn. 34 f.).

Für Organmitglieder seien daher konkret die Bedingungen zu prüfen,

unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, die Art der ihm übertragenen Aufgaben, der Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, der Umfang der Befugnisse des Mitglieds und die Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie die Umstände, unter denen es abberufen werden kann (Rn. 38).

Der EuGH kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass Fremdgeschäftsführer grundsätzlich als Arbeitnehmer im Sinne des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs zu qualifizieren sind, da sie gegen ihren Willen abberufen werden können und ihre Tätigkeit nach Weisung ausüben bzw. unter der Aufsicht eines anderen Organs stehen. Zudem verweist der EuGH darauf, dass Fremdgeschäftsführer keine Anteile an der Gesellschaft besitzen, woraus der EuGH bereits eine für den Arbeitnehmerstatus sprechende Abhängigkeit erkennt. Auch wenn der EuGH klarstellt, dass dies alleine nicht ausreichend ist, muss doch anerkannt werden, dass Fremdgeschäftsführer und auch minderheitsbeteiligte Geschäftsführer ohne Sperrminorität als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren sind. Dies bereits aufgrund der Tatsache, dass sie ihre (entgeltliche) Tätigkeit nach Weisung ausüben oder unter der Aufsicht eines anderen Organs stehen.

Zweck der Massenentlassungsrichtlinie steht einer Einbeziehung nicht entgegen 

Nach Auffassung des EuGH steht diesem Ergebnis auch nicht Sinn und Zweck der Massenentlassungsrichtlinie entgegen. Es gäbe für den EuGH keine Anhaltspunkte dafür, weshalb Organmitglieder generell aus der Massenentlassungsrichtlinie herauszunehmen seien. Auch gegenüber Organmitgliedern könne der Zweck erfüllt werden, nämlich das in Kenntnis setzen der zuständigen Behörden, damit diese nach Lösungen für die Probleme suchen können, die durch die Entlassungen aufgeworfen werden. Zudem würde durch eine andere Sichtweise die praktische Wirksamkeit der Massenentlassungsrichtlinie beeinträchtigt werden, da den anderen Arbeitnehmern sonst ihre Rechte vorenthalten würden.

Diese Sichtweise überzeugt nicht. Sinn und Zweck der Massenentlassungsrichtlinie sprechen deutlich gegen die Einbeziehung von Organmitgliedern in die Massenentlassungsrichtlinie. Diese dient in erster Linie dem Schutz der Konsultation der Arbeitnehmervertretungen vor Umsetzung der Massenentlassungen und der Anzeige der Massenentlassungen bei der zuständigen Behörde, damit diese arbeitsmarktpolitisch reagieren kann. Geschäftsführer werden aber zum einen nicht durch die Arbeitnehmervertretung repräsentiert, zum anderen ist es gerade die Geschäftsleitung selbst, die die Entscheidung über die Massenentlassungen trifft bzw. umsetzt. Sofern der EuGH damit argumentiert, dass bei Nichterreichen der Schwellenwerte den Arbeitnehmern die Ausübung ihrer Rechte vorenthalten wird, so ist dies gerade eine zwingende Folge von Schwellenwerten und kann nicht als Argument für eine entsprechende Qualifizierung herangezogen werden.

Erhebliche Folgen der Entscheidung

Die Entscheidung des EuGH hat weitreichende Folgen. Auch im Rahmen der Massenentlassungsrichtlinie muss der Begriff des „Arbeitnehmers″ autonom und einheitlich definiert werden. Dadurch sind zukünftig auch Fremdgeschäftsführer und Minderheitsgeschäftsführer in der Regel als Arbeitnehmer im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie und damit auch im Rahmen des § 17 KSchG zu qualifizieren. Auch bei Vorständen wird zu überlegen sein, ob diese nicht vorsorglich im Rahmen von § 17 KSchG Berücksichtigung finden sollten. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung „Balkaya″ die Büchse der Pandora weiter geöffnet. Die Auswirkungen der Entscheidung werden nicht auf die Massenentlassungsrichtlinie beschränkt bleiben, sondern sind überall dort zu spüren, wo deutsches Gesetzesrecht auf Unionsrecht basiert. So ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff etwa auch dem AGG zugrunde zu legen, so dass Organmitglieder ggf. auch entgegen § 6 Abs. 3 AGG hinsichtlich der Ausübungsbedingungen geschützt sind.

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