9. Februar 2024
Massenentlassungsverfahren Kündigung
Arbeitsrecht

Fehler in Massenentlassungsverfahren – die nächste Schleife 

Und es geht weiter: Erneute Vorlage durch das BAG an den EuGH (dieses Mal durch den 2. Senat) zu Massenentlassungsverfahren.

Der 2. Senat des BAG hat erneut die Frage nach den Folgen bei Fehlern im Massenentlassungsverfahren dem EuGH vorgelegt. Diesmal geht es darum, ob trotz Fehlern im Verfahren – insbesondere der fehlenden Anzeige gegenüber der Arbeitsagentur – die Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG Anwendung findet. 

Nach § 18 Abs. 1 KSchG werden Entlassungen vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit nur mit deren Zustimmung wirksam. Damit geht die Thematik der Rechtsfolgen unvollständiger oder fehlender Anzeige einer Massenentlassung in die nächste Runde. 

Hintergrund ist folgender: Der 6. Senat des BAG hatte den 2. Senat im Divergenzverfahren angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalte, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung erklärte Kündigung nichtig sei, wenn im Zeitpunkt ihres Zugangs keine oder eine fehlerhafte Anzeige der Massenentlassung an die Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG vorläge.

Der Aussetzungsbeschluss des 2. Senats des BAG vom 1. Februar 2024 (2 AS 22/23 [A]) ist rechtlich korrekt, kommt aber dennoch überraschend, schien es doch wahrscheinlich, dass der 2. Senat vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH (2. Kammer, Urteil vom 13. Juli 2023 – C-134/22) den Weg für eine Rechtsprechungsänderung frei machen würde. Stattdessen ist das Divergenzanfrageverfahren ausgesetzt und erneut der EuGH angerufen. Damit bleiben die Folgen formaler Fehler im Massenentlassungsverfahren zunächst weiter ungeklärt. 

Fehler bei der Anzeige von Massenentlassungen führten früher zur Unwirksamkeit der Kündigungen

Das BAG hatte in mehreren Verfahren entschieden, dass Fehler bei der Anzeige von Massenentlassungen an die Agentur für Arbeit zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen (u.a. 6 AZR 235/19; 2 AZR 276/16). Seit 2021 zog das der 6. Senat des BAG diese Rechtsprechung jedoch in Zweifel (6 AZR 155/216 AZR 157/226 AZR 121/22) und legte beim EuGH die Frage vor, ob die Europäischen Vorgaben die Unwirksamkeit der Kündigung vorgeben. Der EuGH urteilte daraufhin, dass die Übermittlungspflicht des Arbeitgebers an die Agentur für Arbeit nicht dem Individualrechtsschutz diene (C-134/22). Folgerichtig wollte der 6. Senat des BAG die Fehlerfolge anpassen und damit von der bestehenden Rechtsprechung abweichen. 

Bevor es jedoch zu einer Rechtsprechungsänderung kommen kann, die mehrere Senate betrifft (hier also die bisherige Rechtsprechung des 2. Senats), muss im Rahmen einer sogenannten Divergenzanfrage geklärt werden, ob der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, an seiner Rechtsauffassung festhält. Der 2. Senat sah sich hierzu nicht ohne Klärung einer weiteren Rechtsfrage im Stande und hat erneut den EuGH angerufen: 

2. Senat legt sein Augenmerk auf § 18 KSchG und ruft den EuGH an

Nach nationaler Regelung in § 18 KSchG werden anzeigepflichtige Entlassungen frühestens nach Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit oder aber mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam; die Zustimmung kann auch rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden. Der 2. Senat legte dem EuGH daher folgende Fragen vor

  • Kann eine Kündigung das Arbeitsverhältnis erst beenden, wenn die Entlassungssperre abgelaufen ist? 
  • Läuft die Entlassungssperre nur ab, wenn die Anzeige auch die gesetzlichen Vorgaben erfüllt und kann ein Arbeitgeber, der anzeigepflichtige Kündigungen ohne (ordnungsgemäße) Massenentlassungsanzeige ausgesprochen hat, eine solche nachholen mit der Folge, dass nach Ablaufen der Entlassungssperre die Arbeitsverhältnisse der betreffenden Arbeitnehmer* durch die bereits zuvor erklärten Kündigungen beendet werden? 
  • Muss dem Arbeitnehmer zwingend ein gerichtliches Verfahren zur Überprüfung der Richtigkeit der behördlichen Feststellung offenstehen?

Während bisher für die Unwirksamkeit von Kündigungen im Rahmen von Massenentlassungen bei Verstößen gegen§ 17 Abs. 1 und 3 KSchG auf § 134 BGB abgestellt wurde, legt der 2. Senat nun sein Augenmerk auf § 18 KSchG: Denn, wenn nur eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige die Monatsfrist für die Entlassungssperre auslösen kann, würde die Frist bei einer unterbliebenen oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige nicht in Gang gesetzt. Mit der Folge, dass die Kündigung aufgrund der Entlassungssperre gehemmt bliebe.

Arbeitgeber sind weiterhin gut beraten, sowohl Konsultationsverfahren als auch Anzeigeverfahren korrekt durchzuführen. 

Es bleibt weiter spannend! Arbeitgeber sind weiterhin gut beraten, alle Vorgaben der §§ 17 ff. KSchG konsequent einzuhalten – einschließlich aller Formalien der Anzeige gegenüber der zuständigen Arbeitsagentur. Dass Fehler im Konsultationsverfahren – d.h. bei der rechtzeitigen und korrekten Einbeziehung der Arbeitnehmervertreter – zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, ist weiterhin unstreitig. Zunächst müssen aber auch Arbeitgeber weiterhin in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, die Pflichtangaben gegenüber der Arbeitsagentur leisten, um nicht mit dem Fortbestand der Arbeitsverhältnisse konfrontiert zu sein. Wir halten Sie weiter auf dem Laufenden.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitsrecht Kündigung Massenentlassungsverfahren