Die Änderungen traten zum 1. August in Kraft und enthalten Neuerungen, die Arbeitgeber* kennen müssen. Nicht alles, was man hört, entspricht der Realität.
Manchmal geht es ganz schnell: Der Bundestag hat am 23. Juni 2022 in zweiter und dritter Lesung Neuerungen im NachwG verabschiedet, die schon zum 1. August 2022 in Kraft getreten sind. Grund hierfür ist, dass die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen (2019/1152, sog. Arbeitsbedingungenrichtlinie) am 31. Juli 2022 ablief. Diese verfolgt das Ziel einer einheitlichen Unterrichtung der Arbeitnehmer über die wesentlichen Aspekte ihres Arbeitsverhältnisses, um Transparenz und Vorhersehbarkeit, insbesondere in atypischen Arbeitsverhältnissen, wie in der Gig Economy, zu schaffen.
Zwar wurden auch andere Gesetze, wie das TzBfG sowie das AÜG, partiell geändert. Im Wesentlichen wird die Arbeitsbedingungenrichtlinie aber durch eine Ausweitung der arbeitgeberseitigen Nachweispflichten nach dem NachwG umgesetzt. Letzteres war schon zuvor vielen Arbeitgebern ein Begriff, mangels einer „echten“ Sanktionierung von Verstößen gegen die Nachweispflichten wurde dem „zahnlosen Tiger“ aber vielerorts wenig Beachtung geschenkt. Dies soll und wird sich nun ändern: Nach § 4 NachwG sind Verstöße gegen die Pflichten des NachwG bußgeldbewehrt – ordnungswidrig handelt seit dem 1. August 2022, wer einen Nachweis über wesentliche Vertragsbedingungen nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt. Der Bußgeldrahmen beträgt dabei bis zu EUR 2.000.
Zudem wurde der Kreis der wesentlichen Vertragsbedingungen, die schriftlich niederzulegen sind (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG), insbesondere um folgende Informationen erweitert:
- (sofern vereinbart) die Dauer der vereinbarten Probezeit und Möglichkeit der Anordnung von Überstunden sowie deren Voraussetzungen
- die vereinbarten Ruhepausen und -zeiten sowie bei Vereinbarung von Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
- das beim Ausspruch einer Kündigung einzuhaltende Verfahren, inklusive des Schriftformerfordernisses der Kündigung
- die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts inklusive der Überstundenvergütung, Zuschlägen, Zulagen und Prämien sowie etwaiger Sonderzahlungen
Der Verabschiedung des Gesetzes ging eine mitunter heftige Debatte, insbesondere um die Frage der Form des Nachweises, voraus. Unter anderem gegen die Stimmen verschiedener Arbeitgeberverbände sieht das NachwG auch zukünftig die Schriftform für den zu erbringenden Nachweis vor. Eine Unterrichtung in der elektronischen Form ist – wie auch schon nach der alten Rechtslage – ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG). Damit macht der Gesetzgeber bewusst nicht von der in der Arbeitsbedingungenrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, den Nachweis in elektronischer Form zu erbringen. Die Schriftform war im Gesetzgebungsverfahren insbesondere vom DGB genau so gefordert worden, da – so zumindest die Behauptung – nur diese „die beste Beweiskraft in juristischen Auseinandersetzungen“ biete und sich vor allem prekär Beschäftigte Arbeitsbedingungen nicht in einer Datei herunterladen würden. Ganz überwiegend wurde das Erfordernis der Schriftform aber – und dies vollkommen zu Recht – als „Bürokratismus in Reinform“ (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) kritisiert. Wörtlich heißt es sehr trefflich in einer im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eingebrachten Stellungnahme von Gesamtmetall, dem Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie e.V.:
Besonders kritisch ist, dass der deutsche Gesetzgeber die wenigen sinnvollen Ausnahmemöglichkeiten der Richtlinie nicht nutzt, etwa Erleichterungen für KMU oder die Möglichkeit zu zeitgemäßer, d.h. digitaler Kommunikation auch im Arbeitsverhältnis. Hier soll der antiquierte Rechtszustand aus dem Jahr 1995 fortgeführt werden, insbesondere durch ein starres Festhalten an der sog. Schriftform bei der Erfüllung der umfangreichen Nachweispflichten. Auch dies führt im Ergebnis zu einem erheblichen Aufbau von Bürokratie und wirft die Digitalisierung im Arbeitsverhältnis um Jahrzehnte zurück.
So bedauernswert es ist, die grundsätzliche Frage der Form des Nachweises ist damit (zunächst) entschieden (siehe dazu aber auch noch unten zu Mythos 5). Offen bleibt für den Rechtsanwender hingegen eine Reihe anderer Fragen, die oftmals das Resultat einer nur mäßigen Umsetzung der Vorgaben der Arbeitsbedingungenrichtlinie durch den Gesetzgeber sind und bezüglich derer unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Wir räumen mit fünf Fehlvorstellungen auf!
1. Ab dem 1. August 2022 müssen wegen der Neufassung des NachwG alle fortan nachweisrelevanten Arbeitsbedingungen schriftlich niedergelegt werden. Das gilt sowohl für Neu- als auch für die Bestandsverträge von Alt-Arbeitnehmern.
Falsch: Die Pflicht zur Unterrichtung über den erweiterten Katalog der nachweispflichtigen Arbeitsbedingungen gilt ab dem 1. August 2022 nur für Neuverträge sowie nachweisrelevante Änderungen von Altverträgen. Konsequenz:
- Bezüglich Altverträgen von Bestandsarbeitnehmern können Sie als Arbeitgeber zunächst einmal aufatmen und abwarten. Erst wenn Sie vom Arbeitnehmer dazu aufgefordert werden, müssen Sie binnen sieben Tagen (bzw. für die übrigen Ziffern des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG innerhalb eines Monats – wir empfehlen allerdings eine einheitliche Unterrichtung zum früheren Zeitpunkt) eine Niederschrift beibringen, die die Angaben des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 NachwG enthält (§ 5 NachwG).
- Gleiches gilt unseres Erachtens für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverträge zwar vor dem 1. August 2022 abgeschlossen worden sind, die aber erst zum 1. August 2022 oder später in Kraft treten. Zwar ist strittig, auf welchen Zeitpunkt es im Rahmen von § 5 NachwG ankommt, unserer Auffassung nach sprechen aber die besseren Argumente dafür, dass diese Spezialfälle unter die Übergangsvorschrift des § 5 NachwG fallen und nur eine Nachweispflicht auf Anforderung besteht. Letztlich wird diese Frage von den Gerichten beantwortet werden. Ohnehin bleibt es aber risikoaversen Arbeitgebern unbenommen, vorsorglich in diesen Fällen auch ohne Aufforderung schriftlich zu unterrichten.
- Für einen unmittelbareren Handlungsbedarf ab dem 1. August 2022 sorgen die gesetzlichen Neuerungen daher zunächst nur bei Neuverträgen (vgl. § 2 NachwG) und Vertragsänderungen (vgl. § 3 NachwG). Ansonsten drohen Bußgelder: Wer nicht oder nicht richtig unterrichtet, handelt ordnungswidrig (vgl. § 4 NachwG).
2. Bußgeldbewehrt ist auch die Pflicht, dem Bestandsarbeitnehmer auf Verlangen spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung eine Niederschrift mit den Erfordernissen des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 NachwG auszuhändigen.
Falsch: Zwar ist richtig, dass eine solche Pflicht besteht (s.o.). Anders als bei der Nachweispflicht bei Neuabschluss ist der Verstoß gegen den Nachweis auf Verlangen des Bestandsarbeitnehmers aber unseres Erachtens nicht bußgeldbewehrt. Denn die Pflicht nach § 5 NachwG ist – anders als die Pflichten aus §§ 2, 3 NachwG – nicht ausdrücklich in den Bußgeldtatbeständen des § 4 NachwG genannt. Hier gilt der Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ (nulla poena sine lege).
3. Apropos Sanktionen: Ein fehlender Hinweis auf die Klagefrist für die Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) führt nicht nur zu einem Bußgeld. Folge ist zudem, dass Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist Kündigungsschutzklage erheben können.
Falsch: Zwar ist richtig, dass Arbeitgeber in Zukunft gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG u.a. auch über die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu unterrichten haben. Der Gesetzgeber stellt aber ausdrücklich klar, dass
§ 7 des Kündigungsschutzgesetzes … auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden
ist (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 a.E. NachwG). Dies bedeutet: Die Dreiwochenfrist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage aus § 4 KSchG ist für Arbeitnehmer auch dann zu beachten, wenn der Arbeitgeber nicht gem. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG darüber informiert hat. Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist, gilt die Kündigung daher auch bei dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises im schriftlichen Nachweis der Arbeitsbedingungen als wirksam (sog. Präklusionswirkung).
Zugegeben: Von der Frage der Wirksamkeit der Kündigung zu trennen ist, ob die Rechtsprechung im Fall fehlender oder auch fehlerhafter Unterrichtung über die Klagefrist nicht einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers annehmen wird. Dies kommt zumindest dann in Betracht, wenn dieser darlegen kann, dass er bei rechtzeitiger Klage einen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses durchgesetzt hätte. Diese Rechtsfolge entspräche der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu fehlenden Hinweisen auf die für ein Arbeitsverhältnis geltenden Ausschlussfristen, die unterstellt, dass bei pflichtgemäßer Unterrichtung des Arbeitgebers eine rechtzeitige Geltendmachung des (verfallenen) Anspruchs erfolgt wäre.
Allerdings stellt sich mit Blick auf die Änderung des NachwG die Frage, ob ein solcher Schadensersatzanspruch nicht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widersprechen würde: Wird der Arbeitnehmer nicht – jedenfalls finanziell – so gestellt, als würde § 7 KSchG keine Anwendung finden? Widerspricht das nicht gerade der im Gesetz explizit genannten Regelung, § 7 KSchG sei auch bei einem fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist anzuwenden? Im Ergebnis dürfte vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ein entsprechender Schadensersatzanspruch mit dem gesetzgeberischen Willen nicht im Einklang stehen – und ist folglich abzulehnen. Hierüber werden allerdings letztlich die Arbeitsgerichte zu entscheiden haben. Das gilt gleichermaßen für die Frage, ob der Arbeitnehmer im Fall des fehlerhaften bzw. fehlenden Nachweises über die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG eine nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG beantragen kann.
Da das Gesetz die Vorgaben der Arbeitsbedingungenrichtlinie anderer Sprachfassungen mit Blick auf andere Beendigungstatbestände wohl nur unvollständig umsetzt, sollten risikoaverse Arbeitgeber darüber hinaus in Erwägung ziehen, bei befristeten bzw. auflösend bedingt geschlossenen Arbeitsverträgen im Nachweis auch auf die dreiwöchige Frist nach §§ 17, 21 TzBfG hinzuweisen.
4. Statt die einzelnen Arbeitsbedingungen im Arbeitsvertrag bzw. Beipackzettel nachzuweisen, kann auch allgemein auf die „im Betrieb anwendbaren Tarifverträge bzw. Betriebsvereinbarungen“ verwiesen werden.
Falsch: Zwar ist es richtig, dass nach § 2 Abs. 4 NachwG ein Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge bzw. Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ausreichen kann. Der Verweis auf Kollektivvereinbarungen ist aber zum einen nur für einzelne, in § 2 Abs. 4 NachwG enumerativ genannte Arbeitsbedingungen (konkret: § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 bis 8 und 10 bis 14 NachwG) möglich. Zum anderen muss der Verweis im Zweifel die maßgebliche kollektivrechtliche Abrede, insbesondere eine Betriebsvereinbarung, konkret, d.h. namentlich, bezeichnen.
Jedenfalls für die gesetzliche Bestimmung im NachwG a.F. hielt das BAG (Urteil v. 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18) dies für notwendig; das Gericht forderte neben der Angabe der wesentlichen Vertragsbedingungen die genaue Bezeichnung der einschlägigen Kollektivvereinbarung und ggf. die Klarstellung ihrer dynamischen Anwendbarkeit. Ein allgemeiner Verweis reicht damit im Zweifel – gerade vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von Richtlinie und Gesetz, Transparenz zu schaffen – auch nach der neuen Rechtslage nicht aus.
Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass auf Regelungsabreden nicht in diesem Sinne verwiesen werden kann, da diese nicht in § 2 Abs. 4 S. 1 NachwG genannt sind. Die gesetzliche Bestimmung dürfte insoweit abschließend zu verstehen sein.
5. Aufgrund des neuen NachwG können Arbeitsverträge nicht länger mit digitaler Signatur erstellt werden.
Falsch: Zwar ist der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen nach § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG in elektronischer Form und damit per digitaler Signatur ausgeschlossen. Dies heißt aber nicht, dass Arbeitsverträge nicht länger per digitaler Signatur (oder gar mündlich) geschlossen werden können. Denn die Schriftform ist nur für den Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen zwingend vorgesehen. Sie können als Arbeitgeber den (ggf. äußerst schlanken) Arbeitsvertrag durchaus weiterhin mit digitaler Signatur signieren. Sie müssen dann aber neben dem eigentlichen digitalen Arbeitsvertrag zusätzlich einen eigenhändig unterzeichneten Nachweis („side letter“ oder „Beipackzettel“) über die wesentlichen Arbeitsbedingungen nach dem NachwG als Papierversion (mit „wet ink“) erstellen („Kombinationslösung“). Positiver Nebeneffekt dieses Vorgehens ist, dass der Beipackzettel mit den wesentlichen Arbeitsbedingungen (anders als der Arbeitsvertrag) jederzeit einseitig geändert werden kann, sodass Arbeitgeber flexibel auf Veränderungen reagieren können. Wichtig ist jedenfalls, dass Sie sich den fristgemäßen Empfang des Beipackzettels durch den Arbeitnehmer nach Möglichkeit bestätigen lassen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.