22. Dezember 2022
Gemba Walks Arbeitsschutz Gesundheitsschutz
Arbeitsrecht

Gemba Walks

„Gemba Walks“ können die Produktivität und Effizienz im Betrieb steigern. Doch es sind u.a. mitbestimmungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

Das Konzept des „Gemba Walk“ wurde von dem Begründer des Toyota Production System, Taiichi Ohno (1912–1990), entwickelt, um eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsprozesse zu erreichen.

Wörtlich setzt sich das Konzept aus dem japanischen Wort „Gemba (現場)“ zusammen, das mit „Ort des Geschehens“, „wahrer Ort“ oder „realer Ort“ übersetzt werden kann. Dabei wird der Begriff ,,Ort“ wortwörtlich verstanden – konkret sollen nämlich Führungskräfte regelmäßig Arbeitsplatzbegehungen an dem für die Wertschöpfung zentralen Ort durchführen, um dort Eindrücke zu sammeln, sich auszutauschen und nach Verbesserungsmöglichkeiten zu fragen, verbunden mit dem Ziel, die Produktivität im Betrieb langfristig zu steigern. Hervorzuheben ist, dass es nicht um die Leistungsbeurteilung von einzelnen Beschäftigten geht, sondern um die objektive Erfassung der Systemschritte.

Neben dem „klassischen“ Gemba Walk, der allgemein die betrieblichen Strukturen untersucht, ist auch die Durchführung eines „Safety Gemba Walk“ möglich. Bei dieser Gemba-Methode liegt der Schwerpunkt auf der kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz (siehe unten).

Gemba Walks können einen entscheidenden Baustein im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes darstellen

Ausgangspunkt im Arbeitsschutz ist zunächst § 618 Abs. 1 BGB, wonach der Dienstberechtigte* (der Arbeitgeber) die Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten hat, dass der Verpflichtete (der Beschäftigte) gegen Gefahr für Leben und Gesundheit geschützt ist.

Darüber hinaus sind das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) zu beachten, die die rechtliche Grundlage für die Arbeitssicherheit und damit für den Arbeitsschutz darstellen. § 3 Abs. 1 ArbSchG regelt insoweit die Grundpflichten des Arbeitgebers und sieht vor, dass er die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen hat, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und – sofern danach erforderlich – anpassen. Eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten ist dabei anzustreben. Im ArbSchG sind somit

  • die Verpflichtung zum effektiven Gesundheits- und Sicherheitsschutz,
  • ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess sowie
  • entsprechende Organisations- und Dokumentationspflichten

zentral verankert.

Herzstück des betrieblichen Schutzkonzepts nach dem Arbeitsschutzgesetz ist die Gefährdungsbeurteilung, also die Ermittlung und Bewertung möglicher Gesundheitsgefährdungen am betrieblichen Arbeitsplatz (§ 5 ArbSchG). Die dabei gewonnenen Ergebnisse dienen als Grundlage dafür, die für die Gewährleistung des Arbeitsschutzes erforderlichen Maßnahmen zu ermitteln.

Safety Gemba Walks als Werkzeug für die kontinuierliche Sicherheitsverbesserung

Sicherheitsbegehungen, Audits und Inspektionen sind dabei ein wesentlicher Bestandteil des Sicherheitsmanagements eines jeden Unternehmens. Der Fokus von traditionellen Sicherheitsbegehungen liegt üblicherweise auf der Überprüfung der Einhaltung von bestehenden Vorschriften. Überlegungen, wie z.B. bestehende Vorgänge und Prozesse effektiver oder angenehmer gestaltet werden können, spielen dabei i.d.R. nur eine untergeordnete Rolle.

Hier setzt ein Safety Gemba Walk an, verbunden mit dem Ziel, die Sicherheit im Betrieb nicht nur zu erhalten, sondern vielmehr einer Verbesserung zuzuführen – entsprechend dem Leitbild, wie es auch § 3 Abs. 1 S. 3 ArbSchG vorsieht, wonach der Arbeitgeber gerade eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz anzustreben hat. Und hierfür kann es entscheidend sein, Informationen dort einzuholen, wo die Arbeit stattfindet. Durch die hierdurch gewonnenen Erfahrungen vor Ort (etwa in der Werkhalle) werden theoretische Annahmen ersetzt und können konkrete Entscheidungsfindungen stattfinden, Ansatzpunkte für Optimierungsmaßnahmen geschaffen und Ursachen für Problemstellungen offenbart werden. Aus dieser Perspektive kann der Safety Gemba Walk als wichtiger Bestandteil des Sicherheitsmanagements gesehen werden. Der Austausch mit den Beschäftigten vor Ort ist dabei entscheidend, um von ihrem Wissen um die Arbeitsprozesse und Verbesserungsmöglichkeiten zu profitieren.

Hinzu kommen die als Arbeitgeber nicht zu unterschätzende soziale Komponente und die hiermit verbundene Aufwertung jeder einzelnen Person im Betrieb. Beschäftigte können durch den Gemba Walk dazu angeregt werden, sich aktiv durch Vorschläge in die Optimierung der Prozessgestaltung einzubringen. Zentral ist also der Austausch mit den Beschäftigten über ihre Ansichten und ihre Gedanken zur Sicherheit am Arbeitsplatz.

Safety Gemba Walks können somit die Ausübung der gesetzlichen Schutzpflichten des Arbeitgebers unterstützen und dabei insbesondere traditionelle Sicherheitsbegehungen ergänzen. Die Vorteile dieser Arbeitsplatzbegehung liegen dabei auf der Hand:

  • Möglichkeit der gezielten Sicherheitsverbesserung
  • Eröffnung eines Dialogs mit den Beschäftigten
  • wertschätzende Einbeziehung der Beschäftigten
  • Unterstreichung der Fürsorge des Managements

Gemba Walks und betriebliche Mitbestimmung

Sofern in dem Betrieb, in dem Gemba Walks durchgeführt werden sollen, ein Betriebsrat vorhanden ist, sind insbesondere die folgenden Mitbestimmungsrechte zu beachten:

  • Falls zur Durchführung der Gemba Walks ein digitales Checklisten-Tool eingesetzt wird, das Auskunft darüber gibt, welcher Mitarbeiter wie viele Gemba Walks durchgeführt hat und/oder ob er die Checklisten vollständig abgearbeitet hat, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu.
  • Wenn Safety Gemba Walks eingesetzt werden, die darauf abzielen, die betriebliche Sicherheit zu verbessern, also insbesondere darauf ausgerichtet sind, Informationen einzuholen, um Optimierungsmaßnahmen zu treffen – geht der Arbeitgeber u.a. damit seiner Verpflichtung aus § 3 Abs. 1 ArbSchG nach, die statuiert, dass der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes vornehmen muss. Diese Vorschrift lässt dem Arbeitgeber durch den unbestimmten Rechtsbegriff „erforderliche Maßnahmen“ den nötigen Gestaltungsspielraum und begründet daher (weitere) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.

Mehrwert von Gemba Walks

Der Einsatz von Gemba Walks kann nicht nur Wertschöpfungsketten im Unternehmen optimieren, sondern auch einen wichtigen Beitrag im Zusammenhang mit Wertschätzung und arbeitgeberseitiger Fürsorge im Betrieb darstellen. In diesem Sinne: Walk the talk!

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*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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