Das Bundesarbeitsgericht hat zuletzt seine Rechtsprechung dahingehend entwickelt, Zeitarbeitnehmer bei Schwellenwerten wie Stammmitarbeiter des Einsatzbetriebs zu berücksichtigen: Eine Abkehr von dem bislang höchstrichterlich getragenen Grundsatz „Wählen, aber nicht zählen“. Dieser „Trend“ setzt sich in einer aktuellen Entscheidung des Hessischen LAG fort.
So entschieden die Frankfurter Richter am 11. April 2013, dass wahlberechtigte Zeitarbeitnehmer in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht bei der Berechnung der relevanten Mitarbeiterzahl ebenfalls zu berücksichtigen sind (Az. 9 TaBV 308/12). Dabei ging es um die Frage, ob die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in unmittelbarer Wahl oder Delegiertenwahl bei mehr als 8.000 Arbeitnehmern gewählt werden (§ 9 Abs. 1 MitbestG).
„Gewachsene Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung″
Das Gericht vertrat unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmung die Auffassung, dass es bei dieser Frage keinen Unterschied mache, ob die Arbeitsplätze mit eigenen Mitarbeitern oder Zeitarbeitnehmern besetzt seien, zumal es um das Wahlverfahren und nicht um die Größe des Aufsichtsrats gehe. Dies gelte umso mehr, als Zeitarbeitnehmer wahlberechtigt seien und dadurch die Möglichkeit haben sollten, auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats Einfluss zu nehmen.
Dieses Ergebnis entspreche einer inzwischen geänderten Auffassung des Gesetzgebers. So würden die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes im Rahmen der Betriebsverfassung als Arbeitnehmer gelten (§ 5 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Das Auslegungsergebnis, nämlich dass Zeitarbeitnehmer im Rahmen von § 9 MitbestG wie Stammbeschäftigte zu berücksichtigen seien, werde im Übrigen bekräftigt durch die gewachsene Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung im Arbeitsleben.
Künftig weitere Gleichstellung zu erwarten
Die „Gleichstellung“ von Zeitarbeitnehmern und Stammbeschäftigten ist nicht nur mit Blick auf die materiellen Arbeitsbedingungen (zum Beispiel Entgelt), sondern in der jüngeren Vergangenheit auch hinsichtlich der Bestimmung rein formaler Schwellenwerte in den Fokus geraten. Es ist dabei davon auszugehen, dass sich diese Bestrebung in der Rechtsprechung weiter fortsetzen wird und Zeitarbeitnehmer zunehmend wie „normale“ Beschäftigte mitgezählt werden. Dies gilt zumindest, wenn Stellen bei dem Kunden des Personaldienstleisters regelmäßig mit diesen besetzt werden.
Gerade bei Wahlvorschriften nach dem BetrVG, DrittelbG oder MitbestG kann die fehlerhafte Bestimmung der Schwellenwerte für die betroffenen Unternehmen unangenehme Folgen haben, ist diese Wahl gegebenenfalls anfechtbar. Im Zweifel müssen die Mitglieder des Betriebsrates oder die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des Unternehmens neu bestimmt werden – die Kosten dafür hat der Arbeitgeber zu tragen. Vor diesem Hintergrund ist in diesem Zusammenhang eine gewisse Sensibilität geboten.