LAG Thüringen: Ein Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber seine private Mobilfunknummer zur Absicherung eines Notfalldienstes herauszugeben.
Die Digitalisierung ist in vollem Gange und wirkt sich zunehmend auch auf die Arbeitswelt und den privaten Alltag aus. Für viele bedeutet die ständige Nutzung mobiler Geräte wie Smartphones vor allem mehr Flexibilität im Berufsalltag. Kritische Stimmen sehen dagegen die Gefahr einer „ständigen Erreichbarkeit″, die ein Leben ohne Feierabend zur Folge habe.
Das LAG Thüringen war nunmehr gehalten, zu der derzeit bestehenden Diskussion zur Flexibilisierung der Arbeitszeit Stellung zu nehmen. Mit Urteil vom 16. Mai 2018 (Az. 6 Sa 442/17, 6 Sa 444/17) hat es entschieden, dass ein Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern grundsätzlich nicht die Bekanntgabe ihrer privaten Mobilfunknummer verlangen kann, um sie außerhalb eines Bereitschaftsdienstes im Notfall erreichen zu können.
Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte gefordert
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein kommunaler Arbeitgeber das System seiner Rufbereitschaft zur Einrichtung eines Notfalldienstes geändert. Im Rahmen dieser Änderung verlangte er von seinen Arbeitnehmern die Bekanntgabe ihrer privaten Mobilfunknummer, um sie im Notfall auch außerhalb des Bereitschaftsdienstes erreichen zu können. Die Kläger verlangten in diesem Zusammenhang die Entfernung einer arbeitgeberseitigen Abmahnung aus der Personalakte, weil sie nur ihre private Festnetznummer, nicht aber ihre private Handynummer für Bereitschaftsdienste angegeben hatten.
Bereits das ArbG Gera als Vorinstanz (Az. 5 Ca 163/13, 5 Ca 125/17) hatte ein diesbezügliches Recht des Arbeitgebers auf Herausgabe der privaten Mobilfunknummer verneint. Dies hat das LAG Thüringen mit seiner Entscheidung bestätigt, so dass die arbeitgeberseitig ausgesprochene Abmahnung zu Unrecht erfolgte und somit aus der Personalakte zu nehmen ist.
Pflicht zur Herausgabe der privaten Mobilfunknummer ist erheblicher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Nach Auffassung des LAG Thüringen könne es zwar offen bleiben, ob überhaupt eine Anspruchsgrundlage für die Herausgabe der privaten Mobilfunknummer bestehe. Jedenfalls werde ein solcher Anspruch durch das Thüringer Landesdatenschutzgesetz (ThürDSG) begrenzt, da die Pflicht zur Herausgabe der privaten Mobilfunknummer erheblich in das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung eingreife und daher durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers gerechtfertigt sein müsse.
Einer Abwägung der beiderseitigen Interessen hielt der Eingriff jedoch nicht stand. Eine Pflicht zur Herausgabe der privaten Mobilfunknummer tangiere – nach Auffassung des LAG Thüringen – im besonderen Maße die persönliche Sphäre des Arbeitnehmers und sei deshalb unangemessen. Dies beruhe vor allem darauf, dass sich der Arbeitnehmer durch die „ständige Erreichbarkeit″ dem Arbeitgeber nicht mehr, jedenfalls nicht ohne Rechtfertigungsdruck, entziehen und damit nicht zur Ruhe kommen könne. Dabei sei – so das Gericht – auch unerheblich, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, tatsächlich vom Arbeitgeber kontaktiert zu werden. Gegen eine vorrangige Schutzwürdigkeit des Arbeitgebers spreche nach seiner Auffassung außerdem, dass dieser die Problemlage durch die Änderung des bestehenden Systems der Rufbereitschaft selbst herbeigeführt habe und zudem andere Möglichkeiten zur Absicherung bei Notfällen bestünden.
Die Zulassung der Revision wurde vom LAG Thüringen mit der Begründung abgelehnt, dass die grundlegende Rechtsfrage, dass ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer Rechtfertigung durch ein entgegenstehendes, überwiegendes berechtigtes Interesse bedürfe, bereits hinreichend geklärt sei.
Gericht setzt Diskussion um Flexibilisierung der Arbeitszeiten fort
Die Diskussion um eine mögliche Flexibilisierung des aktuellen Arbeitszeitrechts nimmt zu. Befürworter einer Reform argumentieren, das Arbeitszeitgesetz sei veraltet und zu starr. Die darin enthaltenen Regelungen seien nicht mehr mit dem zunehmenden Wunsch nach freien Gestaltungsräumen und der digitalen Welt vereinbar.
Andere hingegen – insbesondere Gewerkschaften und Betriebsräte – wollen an den bestehenden Regelungen im Arbeitszeitgesetz festhalten und fordern zudem eine Reduzierung der Erreichbarkeit – etwa durch eine Löschung von E-Mails nach Feierabend. Ihrer Auffassung zufolge führe die Nutzung digitaler Geräte zu einer ständigen Erreichbarkeit, die langfristig eine Belastung für das Privat- und Familienleben des Arbeitnehmers darstelle. Auch gesundheitliche Beeinträchtigungen wie etwa Burnout seien möglich, wenn der Arbeitnehmer nie abschalten könne. In diesem Sinne hat nunmehr auch das LAG Thüringen Position ergriffen, indem es dem Arbeitgeber – zugunsten des Arbeitnehmers – ein Recht auf Herausgabe der privaten Mobilfunknummer verwehrt.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Diskussion zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten weiter entwickeln wird.