27. April 2018
Kirche Arbeitgeber, Ungleichbehandlung
Arbeitsrecht

Kirchen sind nicht länger gleicher als andere Arbeitgeber

Der EuGH hat die Rechtfertigungsmöglichkeiten von Ungleichbehandlungen durch kirchliche Arbeitgeber aufgrund einer anderen bzw. fehlenden Konfessionszugehörigkeit eingeschränkt.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem wegweisenden Urteil (Rs. C-414/16) die Rechte von Stellenbewerberinnen und Stellenbewerbern¹ – und auch Stelleninhabern – im Rahmen von kirchlichen und kirchennahen Beschäftigungsverhältnissen erheblich gestärkt.

Der Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund der Religion und Weltanschauung (im positiven und negativen Schutzbereich) durch Kirchen oder andere Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen und Weltanschauungen beruht, unterliegt zukünftig in europarechtskonformer Auslegung merklich erhöhten Rechtfertigungsanforderungen: Erklärt ein Arbeitgeber kirchlicher Trägerschaft eine bestimmte Konfessionszugehörigkeit zur beruflichen Anforderung einer Stelle, ist gerichtlich voll überprüfbar, ob diese Zugehörigkeit aufgrund der beruflichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung objektiv geboten ist und in innerem Zusammenhang mit dem Ethos der Kirche oder der Organisation steht.

Konfessionslose Berliner Bewerberin von Evangelischem Werk abgelehnt

Geklagt hatte eine Person weiblichen Geschlechts, deren Bewerbung auf eine durch das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. ausgeschriebene Referentenstelle abgelehnt wurde. Gegenstand der Stelle war die Erstellung des Parallelberichts zum internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationalen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung. Als Aufgabengebiet umfasste die Stelle sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber Politik und der Öffentlichkeit als auch die Koordinierung des internen Meinungsbildungsprozesses.

Der zukünftige Stelleninhaber müsse Mitglied in der Evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland sein. So wurde die Stelle von einem laut eigener Angabe „in der Berliner Landeskirche sozialisierten evangelischen Christen″ besetzt. Die abgelehnte, weil konfessionslose, Klägerin machte in allen Instanzen und zuletzt vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) einen Anspruch auf Entschädigung aufgrund der Diskriminierung geltend. Die Berücksichtigung der Konfessionszugehörigkeit bei der Bewerbung sei nicht mit dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot vereinbar. § 9 Abs. 1 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) müsse richtlinienkonform ausgelegt werden. Dass die Ablehnung der Bewerbung auf der Konfessionslosigkeit der Klägerin beruhte, war zwischen den Parteien unstreitig.

Das BAG setzte das Revisionsverfahren, welches die Auslegung der entscheidenden Ausnahmeregelung nach § 9 Abs. 1 AGG zum Gegenstand hatte, aus und legte es dem EuGH vor. Dieser sollte die Frage nach der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und der Vereinbarkeit des § 9 AGG mit Art. 4 Abs. 2 der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG (Richtlinie) entscheiden.

Beachtung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 21 EU-Grundrechtecharta

Das Gericht stellte fest, dass eine Kirche oder eine ähnliche Organisation nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie eine mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängendes Einstellungskriterium aufstellen könne. Allerdings nur dann, wenn die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Kirche bzw. Organisation darstelle.

Dabei verwies es zuvorderst auf das Ziel und den Kontext der Vorschrift: Ausgangspunkt der Richtlinie sei die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgebots als Konkretisierung des in Art. 21 EU-Grundrechtecharta verankerten allgemeinen Diskriminierungsverbots. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie bezwecke also die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits dem Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, und andererseits dem Recht der Arbeitnehmer, insbesondere bei der Einstellung nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden.

Abwägung der Interessen müsse gerichtlich voll überprüfbar sein

Um diesen Schutz zu gewährleisten, müsse die Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall von einem unabhängigen innerstaatlichen Gericht vollumfänglich überprüft werden können. Einzig die Beurteilung der Legitimität des durch die Kirche oder Organisation aufgestellten Ethos als solchen sei keiner gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Vielmehr unterliege er der Autonomie der Kirchen und religiöser Vereinigungen bzw. Gemeinschaften.

Damit stellt sich der Gerichtshof gegen die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in solchen Fällen aufgrund des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen lediglich eine Plausibilitätsprüfung durch staatliche Gerichte zu zulassen. Eine solche Kontrolle würde, so der Gerichtshof, ins Leere laufen und biete keinen ausreichenden Schutz vor ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen durch die Kirche.

Kirchlicher Bezug der Tätigkeit müsse wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sein

In seiner weiteren Begründung legt das Gericht die Maßstäbe einer solchen Kontrolle fest:

Gegenstand der gerichtlichen Prüfung müsse sein, ob die von der betreffenden Kirche oder Organisation aufgestellte berufliche Anforderung im Hinblick auf ihr Ethos aufgrund der in Frage stehenden Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist. Bei der Auslegung des Begriffs „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung″ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie hänge es von den fraglichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung ab, ob die Religion oder die Weltanschauung eine solche berufliche Anforderung darstellen kann.

Strenge Anforderungen an eine religionsgebundene Stellenausschreibung

Wesentlich sei die Zugehörigkeit zu der Religion bzw. das Bekenntnis zu der Weltanschauung, auf der das Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation beruht, wenn die Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung dieses Ethos oder die Ausübung des Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie notwendig erscheinen muss. Zudem dürfe die Zugehörigkeit zu der Religion bzw. das Bekenntnis zu der Weltanschauung nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zu diesem Ethos oder zur Ausübung des Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie dienen und dadurch unrechtmäßig sein. Der Ausdruck „gerechtfertigt“ impliziere zum einen, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie genannten Kriterien durch ein innerstaatliches Gericht überprüfbar sein muss. Zum anderen impliziere er, dass es der Kirche oder Organisation obliege, im Licht der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls darzutun, dass die geltend gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist. Nur dann erweise sich eine solche Anforderung tatsächlich als notwendig. Darüber hinaus müsse sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

Mit seinem Urteil schränkt der EuGH den bisher geltenden Freifahrtschein der Kirchen erheblich ein. Deren Selbstbestimmungsrecht gilt es nun im Einzelfall mit den Interessen der betroffenen Person auf Gleichbehandlung abzuwägen. Einem Vorrang der kirchlichen Autonomie, so wie sie bisher in Deutschland gerichtlich anerkannt wurde, erteilte der Gerichtshof zu Recht eine Absage.

Konkretisierung folgt durch nationale Gerichte

An diese Entscheidung schließen sich erhebliche Praxisfragen an, die die nationalen Gerichte in Zukunft beschäftigen werden:

Zunächst ist zu klären, wo genau die Grenze von verkündigungsnahen und –fernen Tätigkeiten verläuft, um die Konfessionszugehörigkeit als berufliche Anforderung bei Kirchen oder anderen Organisation zu klassifizieren. Dies wird in vielen Fällen, beispielsweise bei Lehr-, Klinik- oder Verwaltungspersonal, erheblichen Diskussionsbedarf mit sich bringen. Auch ist fraglich, welche Auswirkungen das Urteil auf bereits bestehende Arbeitsverhältnisse haben wird: Kann einem Verwaltungsassistenten, der aus der Kirche austritt, wegen Loyalitätsverstoß rechtmäßig gekündigt werden?

Darüber hinaus muss abgegrenzt werden, wie lange eine „christlich geprägte Dienstgemeinschaft″ noch währt, wenn in Zukunft nun viele Einrichtungen der Kirche und anderen Organisationen konfessionslose Mitarbeiter einstellen (müssen). Genügt eine konfessionsgebundene Pfarrerin, um den Pflegestift als solchen zu einem christlich geprägten Umfeld zu deklarieren?

Schon der vorliegende Fall wird zeigen, wie viel Spielraum den Kirchen zukünftig bleibt, wenn das Bundesarbeitsgericht mithilfe dieser Maßstäbe das Erfordernis der Konfessionszugehörigkeit für die Ausübung einer Referentenstelle im Bereich Antirassismus mit Repräsentation der Diakonie nach Außen im Lichte des Unionsrechts für wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt beurteilen muss.


Gemeint sind stets Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig nur noch die männliche Form gewählt.

 

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