6. Juli 2021
Lohnfortzahlung Betriebsschließung
Arbeitsrecht

Corona-Pandemie: Lohnfortzahlungspflicht bei angeordneter Betriebsschließung verfestigt sich

Neben dem LAG Düsseldorf bejaht auch das ArbG Mannheim eine Lohnfortzahlungspflicht von Arbeitgebern bei pandemiebedingten Betriebsschließungen.

Bereits das LAG Düsseldorf hatte mit Urteil vom 30. März 2021 entschieden, dass es sich bei einer aufgrund behördlicher Allgemeinverfügung und anschließend durch eine Corona-Schutzverordnung angeordneten Schließung eines Betriebes um einen Fall höherer Gewalt und damit um das Betriebsrisiko des Arbeitgebers handelt. 

In diesem Sinne urteilte auch das ArbG Mannheim bei einer Betriebsschließung, die sich unmittelbar aus der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg ergab. In der Begründung stellte das Gericht hier allerdings weniger auf die Problematik der höheren Gewalt als auf die Eigenart des Betriebes ab (ArbG Mannheim, Urteil v. 25. März 2021 – 8 Ca 409/20).

In der Entscheidung des LAG Düsseldorf ging es um die Schließung einer Spielhalle, das ArbG Mannheim hatte sich mit der Schließung eines Tanzlokals zu befassen.

Schließung eines Tanzlokals mittels „Corona-Verordnung″

Die Parteien stritten im Wesentlichen um den Anspruch eines Arbeitnehmers* auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Zeit der mittels „Corona-Verordnung″ des Landes Baden-Württemberg angeordneten Schließung eines Tanzclubs. Der Arbeitnehmer war seit 2009 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung bei der Arbeitgeberin, die ein Tanzlokal betreibt, als Barkeeper auf Stundenlohnbasis beschäftigt. Das Tanzlokal verfügt über eine Tanzfläche von 20 qm, einen Gastraum von 48 qm sowie eine Bar. Beschäftigt waren regelmäßig neun Teilzeitkräfte auf Minijob-Basis und ein in Vollzeit angestellter Betriebsleiter. Der Einsatz des Arbeitnehmers erfolgte regelmäßig auf Grundlage eines Schichtplans. Seit der pandemiebedingten Schließung des Tanzclubs im März 2020 bis zum Ausspruch der Kündigung im September 2020 hatte der Arbeitnehmer nicht mehr gearbeitet und auch keine Entlohnung erhalten.

Der Arbeitnehmer forderte von seiner Arbeitgeberin insbesondere Annahmeverzugslohn, weil die Arbeitgeberin mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug gewesen sei bzw. das Betriebsrisiko für pandemiebedingte Betriebsausfälle zu tragen habe. Die Arbeitgeberin hingegen war der Ansicht, der Lohnanspruch des geringfügig beschäftigten Arbeitnehmers bestehe nicht, da es sich bei der Corona-Pandemie keineswegs um ein gelegentlich vorkommendes Ereignis, sondern um eine Jahrhundertkatastrophe von einzigartigem Ausmaß und damit um höhere Gewalt handele. Dieses Ereignis sprenge jede Form von Vorhersehbarkeit und stelle damit kein Betriebsrisiko des Arbeitgebers dar. Von den Betriebsschließungen seien nicht Betriebe betroffen, bei denen viele Menschen miteinander in Kontakt kämen, sondern solche, bei denen Menschen miteinander in Kontakt kämen und auf deren Öffnungen volkswirtschaftlich und aus Gründen der Notwendigkeit verzichtet werden könne.

Lohnfortzahlungspflicht: „Corona-Verordnung“ als Verwirklichung des Betriebsrisikos im Sinne von § 615 S. 3 BGB

Das ArbG Mannheim entschied im Sinne des Arbeitnehmers, dass die Arbeitgeberin das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen und damit Annahmeverzugslohn gem. § 615 S. 3 i.V.m. § 615 S. 1 BGB zu zahlen habe. Durch die aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vermittels „Corona-Verordnung″ angeordnete Schließung habe sich das Betriebsrisiko im Sinne von § 615 S. 3 BGB verwirklicht.

Die Zuweisung des Betriebsrisikos an den Arbeitgeber entspreche zunächst allgemeinen Prinzipien der Arbeitsrechtsordnung. Bei Verboten aus betriebsfremden Gründen komme es auf die Eigenart des Betriebs an, ob der Betrieb also eine besondere Risikosphäre darstellt. So liege es bei einem Tanzclub. Hier realisiere sich gerade das aufgrund des Geschäftsmodells bestehende besondere Infektionsrisiko. Denn Sinn und Zweck der Schließungsanordnungen habe in der Verhinderung sozialer Kontakte in Betrieben mit möglichst engem Kundenkontakt bestanden. Das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an möglichst hohem Kundenverkehr erhöhe zugleich das Risiko einer sich ausweitenden Epidemie. Die Zuweisung des Betriebsrisikos rechtfertige sich aus dem Umstand, dass das Geschäft „in guten wie in schlechten Tagen″ auf Kundenverkehr bzw. hohe Besucherzahlen ausgerichtet sei.

Eine Pandemie ist kein völlig unvorhersehbares Ereignis

Das ArbG Mannheim ist außerdem der Ansicht, dass es sich bei der Corona-Pandemie nicht um ein völlig unvorhersehbares Ereignis handele. Das verwirklichte Betriebsrisiko lasse sich durch Rücklagen oder den Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung theoretisch einkalkulieren.

Der Arbeitgeber könne zudem für seine Beschäftigten Kurzarbeitergeld beantragen (dies war im streitigen Fall aufgrund der nur geringfügigen Beschäftigung allerdings nicht möglich) oder betriebsbedingte Kündigungen aussprechen.

Pandemie als „Naturkatastrophe″ oder „höhere Gewalt″?

Während das LAG Düsseldorf maßgeblich darauf abstellte, dass es sich bei der aktuellen Pandemie um einen Fall höherer Gewalt handele, ließ das ArbG Mannheim diese Frage dahinstehen, weil auch dies nicht per se zu einem anderen Ergebnis führe.

Zwar trage der Arbeitgeber grundsätzlich auch für Naturkatastrophen das Lohnrisiko, denn auch insoweit realisiere sich typischerweise das Betriebsrisiko. Die Schließung des Tanzlokals der Arbeitgeberin sei jedoch nicht aufgrund der Pandemie per se erfolgt (im Gegenteil: Weite Teile der Wirtschaft und gerade der Gastronomie seien der Auffassung, eine Schließung sei bei Einhaltung eines Hygienekonzepts nicht notwendig), sondern aufgrund der Anordnungen der Exekutive. Nicht die Epidemie mache die Fortsetzung des Betriebes unmöglich, sondern die politische Entscheidung, Unternehmungen zu untersagen, deren wirtschaftliche Betätigung entweder auf viele Kunden zielt oder die so kundennah arbeiten, dass eine Infektionsgefahr besteht. Damit handele es sich um eine wertende, gesundheitspolitische, behördliche Entscheidung mit erheblichem Ermessensspielraum, die Epidemie nicht einfach „auszusitzen″ und zahlreiche Todesfälle in Kauf zu nehmen, sondern Betriebe mit einer bestimmten Struktur einzuschränken oder stillzulegen.

Ein Angebot der Arbeitsleistung war letztlich aufgrund der Betriebsschließung gem. § 296 BGB entbehrlich.

Differenzierung nach der Eigenart des Betriebes

Bereits das Bundesarbeitsgericht entschied 1963 unabhängig von der gegenwärtigen Pandemie für die Frage nach Lohnfortzahlung, dass es bei Verboten aus betriebsfremden Gründen auf die Eigenart des Betriebs ankomme, mithin auf die Frage, ob der Betrieb eine besondere Risikosphäre darstelle. 

Richtigerweise differenzierte das ArbG Mannheim unter Hinweis auf diese Entscheidung – anders als das LAG Düsseldorf, obwohl die Betriebsschließung auch hier auf eine Verordnung zurückzuführen war – nach dem Geschäftsmodell des Betriebes und dem daraus resultierenden Infektionsrisiko. In einem Tanzlokal sind die Menschen typischerweise eng aneinandergedrängt in Bewegung, sodass weder Abstände noch Hygienevorschriften eingehalten werden können. Weiterhin setzte das ArbG Mannheim zutreffend an dem Umstand an, dass die Betriebsschließung nur mittelbar aufgrund des Virus, aber unmittelbar durch eine behördliche Verfügung eintritt. Diesen Umstand erkannte das LAG Düsseldorf zwar, ging jedoch nicht näher darauf ein. Nur beiläufig stellte das LAG Düsseldorf fest, dass die durch die Verordnung bedingte staatliche Schließung nichts an der Einordnung der Pandemie als Fall höherer Gewalt ändere.

Dazu, wie sich die Risikobeurteilung bei großflächigeren Einrichtungen oder nicht geschlossenen Betrieben verhält, traf das ArbG Mannheim keine Aussage. Die Entscheidung dürfte hierauf jedoch nicht umfassend zu übertragen sein, sofern kein vergleichbares spezifisches Risiko engen Kundenkontakts bzw. einer Infektion besteht.

Theoretische Möglichkeiten zur Risikominimierung

Der Hinweis des ArbG Mannheim, Arbeitgeber könnten das verwirklichte Betriebsrisiko durch Rücklagen oder den Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung theoretisch einkalkulieren, wird in vielen Fällen theoretischer Natur bleiben. In kleineren Betrieben ist die Bildung (höherer) Rücklagen häufig keine Option. Gerade in einer Pandemie, in der zu Beginn der behördlichen Entscheidung, bestimmte Betriebe zu schließen, nicht absehbar ist, wie sich das Virus ausbreiten und wie lange die Schließung andauern wird, ist die Höhe der notwendigen Rücklagen nur schwer kalkulierbar.

Auch Betriebsschließungsversicherungen garantieren nicht zwingend eine Zahlung im Falle einer Pandemie. So scheiterten beispielsweise Gaststätten- und Hotelbetreiber bislang im Rahmen der Geltendmachung von Ansprüchen aus ihrer bestehenden Betriebsschließungsversicherung, weil diese den konkreten Krankheitserreger „SARS-CoV-2″ nicht explizit nannte (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 18. Februar 2021 – 7 U 351/20; OLG Oldenburg, Urteil v. 6. Mai 2021 – 1 U 10/21).

Fortbestehende Ungewissheit für Betriebe ohne Anspruch auf Kurzarbeitergeld

Im Ergebnis steht die Entscheidung des ArbG Mannheim im Einklang mit anderen im Zuge der Corona-Pandemie ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil v. 30. März 2021 – 8 Sa 674/20; ArbG Wuppertal, Urteil v. 23. September 2020 – 7 Ca 1468/20) und war daher zu erwarten. 

Soweit die rechtlichen Voraussetzungen der Kurzarbeit erfüllt sind, lassen sich die fortlaufenden Personalkosten während der Betriebsschließung durch Kurzarbeitergeld abmildern. Branchen, in denen vorwiegend Arbeitnehmer mit einem „450-Euro-Job″ beschäftigt werden, können von dieser Möglichkeit jedoch nicht profitieren. Dasselbe gilt für Arbeitnehmer, bei denen die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld im Hinblick auf das Überschreiten des Rentenalters nicht gegeben sind. Bis zu einer anderslautenden höchstrichterlichen Entscheidung müssen Arbeitgeber jedoch aktuell mit Lohnfortzahlungsansprüchen ihrer Arbeitnehmer im Falle einer behördlichen oder gesetzgeberischen Schließungsanordnung leben.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Betriebsrisiko Betriebsschließung Kurzarbeitergeld Lohnfortzahlungspflicht Pandemie