7. Januar 2019
Gesetzesänderung Mini-Job
Arbeitsrecht

Vorsicht bei „Mini-Jobs″ zum Jahreswechsel

Zum Jahreswechsel werden einige Gesetzesänderungen Auswirkungen auf "Mini-Jobs" haben, die Arbeitgeber unbedingt im Blick haben sollten.

Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB IV (sog. „Mini-Jobs″) erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit. Ausweislich der Stellungnahme der Minijob-Zentrale zum Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Dynamisierung der Verdienstgrenzen bei geringfügiger Beschäftigung (BT-Drs. 19/4764) gab es im vergangenen Jahr in Deutschland ungefähr 6,7 Millionen Mini-Jobs.

Das neue Jahr beginnt mit einigen Gesetzesänderungen, die sich zumindest mittelbar auch auf Mini-Jobs auswirken werden. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sollten verschiedene Punkte beachten, um insbesondere die sozialversicherungsrechtliche Privilegierung nicht zu verlieren.

Geringfügig Beschäftigte: Arbeitnehmer mit sozialversicherungsrechtlicher Privilegierung

In der Praxis ist vielen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen eines gemein: Die „Mini-Jobber″ werden häufig als Aushilfskräfte eingesetzt und sind sehr flexibel tätig. Dies mag auch der Grund dafür sein, warum geringfügige Beschäftigungsverhältnisse weiterhin häufig fälschlicherweise nicht als „echte Arbeitsverhältnisse″ angesehen werden.

Das ist rechtlich unzutreffend, denn auch geringfügig Beschäftigte sind grundsätzlich Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Sie haben einen Anspruch auf Urlaub, auf Entgeltfortzahlung usw. (vgl. dazu auch die ausführlicheren Ausführungen von Griese, in: Küttner, Personalbuch 2018, 25. Aufl. 2018, Geringfügige Beschäftigung Rn. 2 f. oder Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 44 Rn. 1). § 2 Abs. 2 TzBfG stellt auch ausdrücklich klar, dass geringfügig Beschäftigte als Teilzeitbeschäftigte anzusehen sind.

Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sind – solange die Geringfügigkeit vorliegt – im Vergleich zu nicht geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sozialversicherungsrechtlich privilegiert. Vor allem dort liegt damit die Besonderheit dieser Beschäftigungsverhältnisse. Die Privilegierung drückt sich insbesondere darin aus, dass in verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung (z. B. der Arbeitslosenversicherung) Versicherungsfreiheit besteht bzw. verringerte Beträge abgeführt werden. Welche Sozialabgaben genau abgeführt werden müssen, hängt vor allem davon ab, ob neben der geringfügigen Beschäftigung noch eine weitere Beschäftigung ausgeübt wird oder nicht. Die Darstellung der verschiedenen möglichen Konstellationen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen und ist an anderer Stelle bereits übersichtlich aufgearbeitet (vgl. dazu die sehr gute Übersicht von Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, § 8 SGB IV Rn. 25).

Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze und ihre Folgen

Die Handhabung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse war schon immer nicht ganz einfach. In § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ist vorgesehen, dass eine geringfügige Beschäftigung nur dann vorliegt, wenn

das Arbeitsentgelt […] regelmäßig im Monat 450 Euro nicht übersteigt.

Gerade bei der Zahlung weiterer Lohnbestandteile (z. B. Weihnachtsgeld) musste daher bereits bisher darauf geachtet werden, dass die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten eingehalten wird. Es war und ist eine Prognose notwendig, ob bei einer Jahresbetrachtung die Grenze von EUR 450,00 durchschnittlich überschritten wird oder nicht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1984 – 12 RK 21/83; BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 – B 12 R 15/09 R).

Die zum 1. Januar 2019 eigentlich geplante Verschärfung bei der Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze ist dabei nicht eingetreten: Ausweislich Ziff. 3.1 der Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen (sog. „Geringfügigkeits-Richtlinien„) u. a. des GKV-Spitzenverbandes und der DRV Bund vom 21. November 2018 ist ein unvorhersehbares und gelegentliches Überschreiten weiterhin bei einer Überschreitung in maximal drei Monaten im Jahr anzunehmen. In den Richtlinien aus dem Jahre 2014 war noch vorgesehen, dass dies ab 1. Januar 2019 wieder auf zwei Monate fällt. Die Grenzen wären also verschärft worden.

Der kritische und genaue Blick auf die Einhaltung der Geringfügigkeitsgrenze ist auch deswegen wichtig, weil sozialversicherungsrechtlich – abgesehen von den Ausnahmen in § 23a SGB IV für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt – grundsätzlich nicht das sog. „Zuflussprinzip″ gilt, sondern das sog. „Entstehungsprinzip″. Bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung kommt es also nicht darauf an, welche Beträge einem Arbeitnehmer tatsächlich zugeflossen sind, sondern darauf, welche ihm rechtlich zugestanden hätten (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R).

Es reicht also i. d. R. nicht aus, bestimmte Beträge einfach nicht auszuzahlen und so vermeintlich die Geringfügigkeit zu „retten″. Insbesondere bei Ansprüchen aus einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag hilft selbst ein mit dem Arbeitnehmer vereinbarter Verzicht nicht weiter, denn ein solcher ist dort nur mit Zustimmung des Betriebsrats (bei einer Betriebsvereinbarung; vgl. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG) bzw. der Tarifparteien (für entstandene tarifliche Rechte; vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG) zulässig.

Wird nachträglich festgestellt, dass die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wurde, kann dies dazu führen, dass die sozialversicherungsrechtliche Privilegierung entfällt und es zur Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen kommt (so beispielsweise in der Konstellation, die dem Urteil des BSG vom 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R zugrunde lag). Die konkrete Höhe der Nachforderung hängt vom Einzelfall und von der Höhe der Überschreitung ab.

Wie üblicherweise bei der nachträglichen Feststellung einer Sozialversicherungspflicht trifft das Risiko vor allem den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber ist Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§§ 28e Abs. 1, 28d SGB IV). Er hat zwar gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf den von diesem zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Dieser Anspruch kann aber nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden und ein unterbliebener Abzug in der Regel nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden (§ 28g Satz 1 bis 3 SGB IV). Weiter ist dies nur dann möglich, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist (§ 28g Satz 3 SGB IV). Das hilft dem Arbeitgeber meistens wenig, denn ein ein Rechtsirrtum (falsche Einstufung) wird ihm i. d. R. wegen der Möglichkeit, die Versicherungspflicht durch die Einzugsstelle beurteilen zu lassen (§ 28h Abs. 2 SGB IV), vorgeworfen werden.

Erhöhung des Mindestlohns führt zu verringerter Arbeitsmöglichkeit

Zum 1. Januar 2019 wurde der gesetzliche Mindestlohn (§ 1 Abs. 2 MiLoG) durch die Zweite Mindestlohnanpassungsverordnung vom 13. November 2018 von derzeit EUR 8,84 auf EUR 9,19 brutto pro Stunde angehoben. Ab 1. Januar 2020 wird er sogar bei EUR 9,39 brutto pro Stunde liegen.

Da auch geringfügig Beschäftigte Arbeitnehmer sind (s. o.), muss ihnen für jede Arbeitsstunde der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden, sofern keine Ausnahme vorliegt (z. B. ein Fall des § 22 Abs. 1 MiLoG). Das führt bereits seit Inkrafttreten des MiLoG im Jahre 2015 dazu, dass sich mit jeder Mindestlohnerhöhung die maximal mögliche Arbeitszeit verringert. Lag diese im Jahr 2015 noch bei 52,94 Stunden, liegt sie ab 1. Januar 2019 noch bei 48,97 Stunden. Im Jahre 2020 werden es 48,13 Stunden sein.

Auf diese unbefriedigende Situation wurde bereits hingewiesen und zwischenzeitlich liegt auch ein Entwurf zur Dynamisierung der Verdienstgrenzen der geringfügigen Beschäftigung vor, nach dem die Geringfügigkeitsgrenze auf das 60-fache des stündlichen Mindestlohns angepasst werden soll.

Die Stellungnahmen zu diesem Entwurf liegen mittlerweile vor und es wäre zu wünschen, dass dieser zeitnah umgesetzt wird. Bis dies der Fall ist, ist aus Arbeitgebersicht sicherzustellen, dass geringfügig Beschäftigte nicht über die o. g. Grenze hinaus beschäftigt werden. Sollten in Verträgen im Jahre 2015 ausdrückliche Arbeitszeitvorgaben (z. B. 52 Stunden) aufgenommen worden sein, sollten diese angepasst werden. Das ist i. d. R. auch im Interesse des geringfügig Beschäftigten.

Fiktion einer 20-Stunden-Woche bei Arbeit auf Abruf

Im Zusammenhang mit der sog. „Brückenteilzeit″ wurde auch eine Veränderung bei der Arbeit auf Abruf vorgenommen. Bei der Arbeit auf Abruf wird arbeitsvertraglich vereinbart, dass die Arbeit entsprechend dem tatsächlichen Arbeitsanfall erbracht wird und der Arbeitnehmer nur „auf Abruf″ tätig wird, wobei dieser Abruf gemäß § 12 Abs. 2 TzBfG vier Tage im Voraus mitgeteilt werden muss. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden aufgrund des flexiblen Einsatzes nicht selten (ob bewusst oder unbewusst) in Form der „Arbeit auf Abruf″ gemäß § 12 TzBfG praktiziert.

Wird dann (was nicht selten der Fall ist) weder eine wöchentliche noch eine tägliche Arbeitszeit vereinbart, wurde nach der bis 31. Dezember 2018 geltenden Fassung des § 12 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden fingiert (§ 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG). Praktisch spielte dies selten eine Rolle, denn in den meisten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen wurden ohnehin mehr als 10 Stunden pro Woche gearbeitet. Es bestand damit nur selten ein Bedürfnis, sich als Arbeitnehmer überhaupt auf diese Regelung zu berufen. Auch die Geringfügigkeitsgrenze wurde bei dieser Fiktion weiter eingehalten.

§ 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG hatte daneben auch aus einem anderen Grund bislang keine oder nur wenig Praxisrelevanz: Das BAG hat in seinem Urteil vom 7. Dezember 2005 (Az. 5 AZR 535/04) in einem Fall von Arbeit auf Abruf nicht die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG angewendet, sondern die wöchentliche Arbeitszeit anhand einer ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt, wobei es die Arbeitszeit in der Vergangenheit berücksichtigt hat. Ähnlich ging beispielsweise auch das LAG Düsseldorf im Urteil vom 29. Juli 2015 (Az. 7 Sa 313/15) vor.

In der arbeitsrechtlichen Literatur wurde daraus teilweise der Schluss gezogen, § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG sei praktisch ohne relevanten Anwendungsbereich (Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, § 12 TzBfG Rn. 16 m. w. N.; Heyn, in: Meinel/Heyn/Herms, Teilzeit- und Befristungsgesetz, 5. Aufl. 2015, § 12 TzBfG Rn. 36 m. w. N.).

In einer Vielzahl dieser Urteile ging es aber um eine ohnehin höhere Arbeitszeit. Nachdem die Erhöhung auf 20 Stunden im Gesetzesentwurf ausdrücklich damit begründet wurde, dass den betroffenen Arbeitnehmern mehr Planungs- und Einkommenssicherheit verschafft werden soll, darf man gespannt sein, ob die Gerichte in Fällen, in denen tatsächlich unter 20 Stunden gearbeitet wurde, ebenfalls eine ergänzende Auslegung vornehmen oder die Fiktion der 20 Stunden anwenden. Für letzteres sprechen u. a. mit der Gesetzesbegründung gute Argumente.

Arbeitgeber sollten diese Entwicklung jedenfalls genau im Auge behalten. Werden bei einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis 20 Stunden pro Woche fingiert, die mit dem Mindestlohn vergütet werden müssen, ist die Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze mit den o. g. Folgen evident.

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