Der selbständige Einsatz von Pflegekräften und Honorarärzten in Krankenhäusern wird durch das BSG eingeschränkt. Es empfiehlt sich die Arbeitnehmerüberlassung.
Schon lange wurde in der juristischen Fachliteratur kontrovers diskutiert und vor den Sozialgerichten gestritten, ob in stationären Pflegeeinrichtungen eingesetzte Pflegekräfte sowie sog. Honorarärzte* im Krankenhaus tatsächlich selbständig tätig werden können oder ob es sich bei diesen Beschäftigungsformen nicht um eine Scheinselbständigkeit handelt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30. Januar 2019 – L 9 KR 163/16; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16. Mai 2018 – L 8 R 233/15).
Mit beiden Konstellationen hat sich inzwischen das BSG in Kassel befassen müssen und sowohl bzgl. der Pflegekräfte als auch der Honorarärzte festgestellt, dass diese regelmäßig sozialversicherungspflichtig seien.
BSG: Honorarärzte und Pflegekräfte sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig tätig
In der Pressemitteilung vom 4. Juni 2019 (B 12 R 11/18 R) heißt es vom BSG zu Honorarärzten wie folgt:
Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. […]
Bei einer Tätigkeit als Arzt ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art″ ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. […] Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe ist nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend.
Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete″ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.
Zu Pflegekräften verhält sich das BSG in der Pressemitteilung vom 7. Juni 2019 (Az. B 12 R 6/18 R) wie folgt:
Pflegekräfte, die als Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht. […]
Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssen gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichen hierfür nicht. […]
An dieser Beurteilung ändert auch ein Mangel an Pflegefachkräften nichts: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht sind auch in Mangelberufen nicht zu suspendieren, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete″ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.
Selbständige Tätigkeit von Honorarärzten und Pflegekräften theoretisch möglich
Mit den Leitentscheidungen stellt das BSG fest, dass grundsätzlich eine abhängige und insoweit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Eine selbständige Tätigkeit ist regelmäßig ausgeschlossen, freilich aber nicht unmöglich. Damit setzt das BSG den dazu in der Instanzrechtsprechung und der Literatur geführten Streitigkeiten wohl ein Ende, indem es dem bislang von zahlreichen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern praktizierten Modell, Pfleger und Ärzte als (vermeintlich) selbständige Personen einzusetzen, eine grundsätzliche Absage erteilt. Ob und inwieweit die Entscheidungen des BSG überzeugend sind, soll an dieser Stelle nicht vertieft diskutiert werden; es müssen dazu zunächst noch die vollständig abgesetzten, bislang aber nicht vorliegenden Gründe der Urteile abgewartet werden.
Fest steht aber, dass die Entscheidungen des BSG und deren Umsetzung in der Praxis im ärztlich-pflegerischen Bereich für erhebliche Probleme sorgen werden, wurde dort das Modell der (vermeintlichen) Selbständigkeit von Pflegekräften und Ärzten doch regelmäßig im wechselseitigen und wohl verstandenen Einvernehmen gelebt. Auf Grundlage der Urteile des BSG ist ein „weiter so, wie bisher″ nicht mehr möglich; dies gilt insbesondere aufgrund der strafrechtlichen Risiken, die damit verbunden sind, wenn bedingt vorsätzlich Sozialversicherungsbeiträge bei scheinselbständig beschäftigten Personen nicht abgeführt werden (gem. § 266a StGB).
Arbeitnehmerüberlassung von Ärzten und Pflegekräften als mögliche Alternative
Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser müssen daher bzgl. der bislang gewählten (scheinselbständigen) Einsatzformen bei Pflegern und Ärzten umdenken, allein um eine mögliche Strafbarkeit der Entscheidungsträger der Einrichtungen zu vermeiden. In Betracht kommt auf der einen Seite eine Festanstellung der Pflegekräfte bzw. der Ärzte; dies dürfte aufgrund der damit verbundenen Erhöhung der Personalkosten und des Verlustes der Flexibilität bei der Personaldisposition insbesondere von den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, aber auch seitens der Pflegekräfte und Ärzte oftmals nicht gewünscht sein. Auf der anderen Seite kann sich eine Arbeitnehmerüberlassung als Alternative darstellen, um den Einsatz rechtssicher abzubilden.
Die Herausforderung wird darin bestehen, insbesondere die Pflegekräfte und Ärzte davon zu überzeugen, sich bei einem Personaldienstleister sozialversicherungspflichtig anstellen zu lassen und damit die bisher (vermeintlich) praktizierte Selbständigkeit – zumindest für entsprechende Einsätze – aufzugeben.
Die Arbeitnehmerüberlassung dürfte zumindest dem Bedürfnis der Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser entsprechen, den eigenen Mitarbeiterbestand und damit deren Personalkosten (dauerhaft) nicht zu erhöhen und die Flexibilität bei der Personaldisposition zu erhalten. Letztlich dürfte entsprechende Überzeugungsarbeit erforderlich werden, die bislang vermeintlich selbständig tätigen Pflegekräfte und Ärzte von den Vorzügen einer Arbeitnehmerüberlassung zu überzeugen. Die Entscheidungen des BSG – mögen diese für die betreffenden Einrichtungen und die betroffenen Personen auch noch so hart – stellen damit für die Zeitarbeit eine echte Chance dar, sich als Alternative für das höchstrichterlich nunmehr verworfene Modell der (vermeintlich) selbständigen Tätigkeit ins Spiel zu bringen. Diese gilt es nun zu nutzen.
Fazit: die Selbständigkeit von Ärzten und Pflegekräften dürfte zukünftig nur Theorie bleiben
Zwar wäre es im Ergebnis denkbar, dass die Einsatzumstände der Pflegekräfte und Honorarärzte dergestalt angepasst werden, dass die vom BSG für eine abhängige Beschäftigung als relevant angesehenen Kriterien ausgeschlossen werden und sich die Tätigkeit im Rechtssinne als selbständig darstellen würde. Diese theoretische Möglichkeit dürfte jedoch aufgrund der integrativen Abläufe in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, in die die Pflegekräfte und Ärzte zwingend einzubinden sind, schwerfallen bzw. sich – auch unter dem Gesichtspunkt, dass Rechtsrisiken, insbesondere aufgrund möglicher Verstöße gegen § 266a StGB, möglichst rechtssicher ausgeschlossen werden müssen – als unmöglich darstellen.
Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der Juli-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.