Das BVerwG bestätigt mit einer aktuellen Entscheidung vom 13. Oktober 2022 einmal mehr die Rechtsprechung des EuGHs zur Einordnung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit.
Die Entscheidung des BVerwG (Az.: 2 C 7.21) betrifft den Fall eines Bundespolizisten, dessen Bereitschaftsbedingungen während seiner Pausenzeiten letztlich zu einer „Daueralarmbereitschaft“ führten. Konsequenz ist die Einordnung als Arbeitszeit.
Der Arbeitszeitbegriff ist europarechtlich durch die Arbeitszeitrichtlinie geprägt
Die privat- sowie öffentlich-rechtlichen Vorgaben zur (Höchst-)Arbeitszeit haben ihren Ursprung in der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie). Der nationale Gesetzgeber hat die Arbeitszeitrichtlinie für den privaten Sektor durch das Arbeitszeitgesetz umgesetzt. Für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse gelten Arbeitszeitverordnungen.
Die Arbeitszeitrichtlinie sieht Legaldefinitionen für die – sich gegenseitig ausschließenden – Begriffe der „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ vor. Hiernach ist Arbeitszeit
jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer […] arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt.
Ruhezeit ist hingegen in negativer Abgrenzung jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit.
Entsprechend greifen auch das Arbeitszeitgesetz sowie die Arbeitszeitverordnung(en) diese Kernbegriffe auf. Keine weitere Differenzierung erfolgt dagegen für die verschiedenen Kategorien von Bereitschaftszeiten. Insoweit muss auf die von der EuGH-Rechtsprechung entwickelten Formen der Rufbereitschaft, des Bereitschaftsdiensts und der Arbeitsbereitschaft zurückgegriffen werden. Zuletzt ist jedoch stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Damit beschäftigte sich das BVerwG.
BVerwG: Eine Pause unter Bereithaltungspflicht stellt Arbeitszeit dar
Ein Bundespolizist beanspruchte einen finanziellen Ausgleich für Pausenzeiten, während derer er als Personenschützer verpflichtet war, im Bedarfsfall etwaige Pausen zu beenden und unverzüglich seinen Schutzauftrag wiederaufzunehmen. Diese Zeiten hatte die Arbeitgeberin unter Berufung auf die Arbeitszeitverordnung für Beamte* (AZV) und der dortigen Einordnung als Pause nicht auf die Arbeitszeit des Klägers angerechnet und entsprechend auch nicht vergütet. Das BVerwG trat dem, wie auch schon die Vorinstanzen, entgegen.
Die Pause unter Bereithaltungspflicht stelle Arbeitszeit dar; die Anrechnungsunterlassung in der Arbeitszeitverordnung sei unwirksam. Zwar führe die bloße Pflicht des Arbeitnehmers, sich während der Pause zur Wiederaufnahme der Arbeit bereitzuhalten, nicht automatisch dazu, dass die Pausenzeit als Arbeitszeit i.S.d. europarechtlichen Begriffs zu qualifizieren sei. Bereitschaftszeit sei grds. aber dann als Arbeitszeit einzuordnen, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und ihm zur Verfügung stehen müsse, um ggf. sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können.
Sofern es an einer Verpflichtung zum Ortsverbleib fehle, sei zur abschließenden Einordnung eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Maßgeblich sei dabei – der Rechtsprechung des EuGH folgend –, ob dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt würden, die für ihn die Möglichkeit, seine (arbeitsfreie) Bereitschaftszeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv erheblich beeinträchtigt.
Davon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer nur wenige Minuten zur Aufnahme seiner Arbeit abverlangt würden und er daher praktisch keiner auch nur kurzfristigen Freizeitaktivität nachgehen könne. Zu gewichten seien insoweit Kriterien wie die Reaktionsfrist, die Häufigkeit und die Unvorhersehbarkeit möglicher Unterbrechungen der Ruhepausen sowie die sich daraus ergebende Ungewissheit, die letztlich zu einer „Daueralarmbereitschaft“ des Arbeitnehmers führe.
Die Gesamtwürdigung ergab im Streitfall, dass der Kläger sich objektiv auf Grund der auferlegten Einschränkungen in seiner Pausenzeit nicht im Rahmen einer frei gewählten Tätigkeit entspannen konnte, mithin die Pause als Arbeitszeit einzuordnen war.
Es bleibt dabei: Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls
Die Entscheidung des BVerwG reiht sich in die Leitlinien der EuGH-Rechtsprechung (vgl. u.a. EuGH, Urteil v. 9. September 2021 – C-107/19) ein. Für die arbeitsrechtliche Praxis ist die Entscheidung daher als Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung zur Einordnung von Bereitschaftszeiten als Pausen- oder Arbeitszeit zu werten.
Wichtig ist hierbei, dass es neben den vom EuGH entwickelten Einordnungskriterien im Hinblick auf Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft auch immer einer darüberhinausgehenden umfassenden Einzelfallbewertung bedarf, um Sonderfälle wie den vorliegenden (dem ersten Anschein nach Rufbereitschaft, wegen der Daueralarmbereitschaft im Ergebnis aber Arbeitszeit) zu erfassen.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.