9. Januar 2023
Annahmeverzugslohn böswilliges Unterlassen
Arbeitsrecht

Risiko des Annahmeverzugslohns und dessen Begrenzung durch das böswillige Unterlassen anderweitigen Erwerbs aus Arbeitgebersicht

Das LAG Berlin-Brandenburg hat aufgezeigt, dass Arbeitgeber deren Risiken auf Zahlung von Annahmeverzugslohn nach einem Kündigungsschutzrechtsstreit wirksam begrenzen können.

Jeder Arbeitgeber kennt die Situation nur allzu gut: Nach dem Ausspruch eine Kündigung wird diese von dem betroffenen Arbeitnehmer* einer arbeitsgerichtlichen Prüfung zugeführt, indem eine Kündigungsschutzklage erhoben wird. Aufgrund der hohen Anforderungen an die (soziale) Rechtfertigung einer Kündigung ist der Arbeitgeber i.d.R. bestrebt, die Angelegenheit kurzfristig zu beenden, nämlich durch den Abschluss eines Vergleichs, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen die Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes des Arbeitnehmers vorsieht. Die Vergleichsbereitschaft des Arbeitgebers ist dabei auch maßgeblich geprägt von (erheblichen) Annahmeverzugslohnrisiken, die durch einen mehrjährigen Rechtsstreit über zwei und ggf. sogar drei Instanzen entstehen können.

Mit Blick auf diese Ausgangslage steigt oftmals die Bereitschaft des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer ein ggf. sehr großzügiges und oftmals auch überproportional gut dotiertes Angebot auf die Zahlung einer Abfindung zu unterbreiten, um sich aus den im Laufe des Verfahrens zu Lasten des Unternehmens steigenden wirtschaftlichen Risiken freizukaufen, wenn dafür der Kündigungsschutzrechtsstreit durch einen Vergleich, der im Gegenzug dann das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vorsieht, beendet wird. Die Alternative, nämlich die Fortführung des Rechtsstreits im Falle der Nichteinigung, ist für den Arbeitgeber oftmals – zumindest aus wirtschaftlicher Perspektive – wenig attraktiv, könnte der Arbeitnehmer doch den Ausgang des Rechtsstreits abwarten und sodann grds. den gesamten Annahmeverzugslohn (für den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens) fordern.

Arbeitgeber haben einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge

Das BAG hat diesem in der Praxis häufig auf Arbeitnehmerseite anzutreffenden Muster des schlichten „Aussitzens“ schon im Jahr 2020 Grenzen aufgezeigt (BAG, Urteil v. 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19). Nach der genannten Entscheidung kann der Arbeitgeber in Bezug auf einen Arbeitnehmer, der einen Anspruch auf die Zahlung des Annahmeverzugslohns geltend macht, Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge – unter konkreter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung – verlangen. Das BAG argumentiert, dass es dem Arbeitgeber nur bei Kenntnis dieser Umstände überhaupt möglich ist, Indizien vorzutragen, die auf eine Zumutbarkeit der Annahme von Arbeit und die Möglichkeit der böswilligen Unterlassung eines anderweitigen Erwerbs nach § 615 S. 2 BGB hindeuten. Nach den Grundsätzen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast wäre es sodann am Arbeitnehmer, seinerseits die maßgeblichen Indizien dafür zu entkräften und dazu vorzutragen, aus welchen Gründen und Erwägungen es nicht zum Vertragsschluss (als Voraussetzung für die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit) gekommen ist bzw. warum ein solche für den Arbeitnehmer nicht zumutbar gewesen sein soll. 

Böswilliges Unterlassen der Annahme zumutbarer Arbeit aufgrund mangelnder Erwerbsbemühungen kann Annahmeverzugslohn auf null reduzieren

Das LAG Berlin-Brandenburg hat dieses höchstrichterliche Urteil nun aufgenommen, im Einzelfall umgesetzt und den von dem gekündigten Arbeitnehmer im Nachgang zu einem von diesem gewonnenen Kündigungsschutzrechtsstreit geltend gemachten Anspruch auf die Zahlung von Annahmeverzugslohn wegen eines böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit der Höhe nach auf null reduziert (Urteil v. 30. September 2022 – 6 Sa 280/22; so auch die Vorinstanz: ArbG Berlin, Urteil v. 12. Januar 2022 – 20 Ca 3918/20). Der Kläger hat – wie vom BAG verlangt – die entsprechenden Auskünfte erteilt, jedoch hält das Gericht diesem nunmehr in einer anspruchsausschließenden Art und Weise u.a. vor, dass dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen sei, in welchem Umfang er selbst Erwerbsbemühungen entfaltet habe. Die Anzahl von 103 Bewerbungen verteile sich auf einen Zeitraum von rund 29 Monaten. Dies entspreche rechnerisch noch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche, obwohl der Kläger im fraglichen Zeitraum ohne Arbeit gewesen sei und also im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen hätte entfalten können und müssen. 

Schließlich ergebe sich ein weiteres Indiz für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs aus der Qualität der verfassten Bewerbungen. Seinen eingereichten Bewerbungsmails lasse sich weder ein Stellenkennzeichen, eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle, auf die er sich bewerbe, oder ein sonstiger Betreff entnehmen. Die Anrede sei grds. nicht individualisiert. Inhaltlich seien die Bewerbungen nicht an die zu besetzende Stelle und/oder den potenziellen Arbeitgeber angepasst; weiter weise der vergleichsweise kurze Text zwei Fehler auf. 

Der klagende Arbeitnehmer hat diese von dem Arbeitgeber vorgetragenen Indizien nicht bzw. nicht hinreichend entkräftet.

Annahmeverzugslohnansprüche können arbeitgeberseits abgewehrt werden

Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ist insbesondere für Unternehmen von besonderer Bedeutung, die sich im noch laufenden Kündigungsschutzprozess oder zumindest im Nachgang dazu mit Annahmeverzugslohnansprüchen des gekündigten Mitarbeiters konfrontiert sehen (dies gilt vor allem bei Sachverhalten, in denen Arbeitnehmer betroffen sind, mit denen eine hohe Vergütung vereinbart worden ist) und die beabsichtigen, sich gegen die Geltendmachung zu wehren, besonders wenn eine vergleichsweise Verständigung an den ggf. utopisch hohen Abfindungsforderungen des Arbeitnehmers scheitert. In diesem Fall dürfte der Arbeitgeber oftmals keine andere Wahl haben, um sich zur Reduzierung der eigenen wirtschaftlichen Risiken die vom BAG entwickelten Grundsätze zu § 615 S. 2 BGB und darauf nun aufsetzend das Urteil des LAG Berlin-Brandenburgs nutzbar zu machen.

Die Entscheidung aus Berlin verdeutlicht zwar, dass die erfolgreiche Abwehr der geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüche von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt, insbesondere auch auf das (prozessuale) Verhalten des Mitarbeiters mit Blick auf die vorgenommenen oder unterlassenen Bewerbungsbemühungen, um wieder in Lohn und Brot zu kommen. Möglicherweise handelt es sich bei dem Sachverhalt, über den das LAG Berlin-Brandenburg zu entscheiden hatte, um einen „Extremfall“, der sich nicht eignet, daraus eine „Blaupause“ zu fertigen, die es ermöglicht, die geltend gemachten Ansprüche auf Annahmeverzugslohn generalisierend erfolgreich abzuwehren bzw. überproportional teure Vergleiche ausschließen zu können. Die Entscheidung zeigt aber einerseits zumindest deutlich auf, dass es arbeitgeberseits die Möglichkeit gibt, sich erfolgreich gegen Annahmeverzugslohnansprüche in oder nach einem Kündigungsschutzverfahren zur Wehr zu setzen. Andererseits verdeutlicht die Entscheidung die Gefahr für Arbeitnehmer, die ein Verfahren schlichtweg nur „aussitzen“ möchten, um nach einem erfolgreichen Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens schlicht „on top“ noch den Annahmeverzugslohn zu fordern, ohne jedoch selbst die Arbeitsleistung erbracht zu haben oder sich zumindest um eine andere Tätigkeit (bei einem anderen Arbeitgeber) zu kümmern, was eingedenk der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage und des sich immer weiter zuspitzenden Fachkräftemangels möglich und zumutbar ist. Bleibt der Arbeitnehmer untätig, obwohl er sich in Vollzeit – wie das LAG Berlin-Brandenburg meint – um eine andere Stelle kümmern kann, kann ihm diese Passivität auf die Füße fallen. Dies gilt im Übrigen auch für nur halbherzige und im Wesentlichen pro forma veranlasste Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers, die im Kern nicht der ernsthaft intendierten beruflichen Neuorientierung, sondern lediglich als „Feigenblatt“ der Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Zahlung des Annahmeverzugslohns dienen.

In der Praxis wird der (schnelle) Vergleich weiterhin Bedeutung haben 

Ob die (möglicherweise erfolgreiche) Abwehr der Annahmeverzugslohnansprüche mittelfristig in der Sache zielführend ist, mag hingegen auf einem anderen Blatt stehen. Wir kennen es aus der Praxis nur allzu gut: Das Arbeitsverhältnis muss nach dem zugunsten des Arbeitnehmers mit Blick auf die (Un-)Wirksamkeit der Kündigung ausfallenden Urteil – im Zweifel ohne Zahlung des Annahmeverzugslohns – fortgeführt werden, beide Parteien sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden, die nächste Kündigung folgt, man streitet wieder vor dem Arbeitsgericht und irgendwann sind dann die (zermürbten) Parteien doch bereit, einen Vergleich zu schließen – ggf. aber dann doch zumindest aus Arbeitgebersicht zu günstigeren Konditionen. Hier stellt sich natürlich immer die Frage, ob aus Perspektive des kündigenden Unternehmens die Variante „Schrecken ohne Ende“ oder nicht doch von vornherein lieber „ein Ende mit Schrecken“ – dann ggf. jedoch mit einer wirtschaftlich geringeren Belastung mit Blick auf die sich nunmehr ergebenden Prozessrisiken des Arbeitnehmers bei der (nachträglichen) Geltendmachung von Annahmeverzugslohnansprüchen – gewählt wird.

Das LAG Berlin-Brandenburg hat im Übrigen die Revision zum BAG nicht zugelassen. Die Entscheidung betreffe – so das Gericht – einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung und bewege sich im Rahmen der Rechtsprechung des BAG. Ob eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, ist nicht bekannt.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Annahmeverzugslohn Arbeitsrecht böswilliges Unterlassen Erwerb