Müssen arbeitsvertragliche Ausschlussfristklauseln den Mindestlohnanspruch ausdrücklich ausnehmen, um wirksam zu sein? Ein BAG-Urteil bringt Klarheit.
Wieder einmal gibt das BAG Anlass, sich mit Ausschlussfristen vor dem Hintergrund des MiLoG zu beschäftigen. Die jüngst veröffentlichten Urteilsgründe einer BAG-Entscheidung aus September 2018 (BAG, Urteil v. 18. September 2018 – 9 AZR 162/18) bringen Licht in die Frage der Wirksamkeit von vorbehaltlosen Ausschlussfristklauseln.
Bisherige Rechtsprechung zu Ausschlussfristen
Aber der Reihe nach: Das BAG nahm in der Vergangenheit an, dass pauschale, also vorbehaltlose, Ausschlussklauseln wirksam sind, obwohl sie (automatisch) eine Vielzahl von unabdingbaren Ansprüchen vom Wortlaut her umfassen, z.B. Urlaubsansprüche, vorrangige Ansprüche aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen und Ansprüche aus deliktischer Haftung des Arbeitgebers.
Das BAG hielt solche Klauseln nur insoweit für unwirksam, als sie sich auf im konkreten Fall einschlägige unabdingbare Ansprüche des Arbeitnehmers bezogen, im Übrigen aber für bestandskräftig (so BAG ausdrücklich zu deliktischen Ansprüchen z.B. BAG, Urteil v. 20. Juni 2013 – 8 AZR 280/12). Sinngemäß begründete das BAG dies damit, dass Ausschlussklauseln nur für von den Parteien als regelungsbedürftig angesehene Fälle greifen sollten. Fallkonstellationen, die zwingend durch gesetzliche Ver- oder Gebote geregelt sind, seien aber gerade nicht regelungsbedürftig.
Neue Rechtsprechung zu Ausschlussfristen
Mit dieser Rechtsprechung bricht das BAG in der aktuellen Entscheidung. Es nimmt nunmehr an, dass vorbehaltlose Ausschlussklauseln insgesamt unwirksam sind, wenn sie gesetzliche Mindestentgeltansprüche – namentlich Mindestansprüche nach dem MiLoG – nicht ausdrücklich ausnehmen. Die Richter unterschieden dabei nach Verträgen, die nach dem 31. Dezember 2014 (Neuverträge) und die vor dem 1. Januar 2015 (Altverträge) geschlossen wurden.
Diese Verträge erleiden dann jeweils ein anderes Schicksal:
Neuverträge: Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen, die nach dem 31. Dezember 2014 abgeschlossen wurden und den Anspruch auf Mindestlohn nicht ausnehmen, sind aufgrund von Intransparenz, § 307 Abs. 1 S. 2 iVm S. 1 BGB insgesamt unwirksam. Die Intransparenz führt zum ersatzlosen Wegfall der Ausschlussfrist, falls sie nicht teilbar ist (blue pencil). An die Stelle der vertraglichen Ausschlussklausel tritt gemäß § 306 BGB die gesetzliche Regelung. § 3 S. 1 MiLoG („insoweit″) schränkt die §§ 305 ff. BGB nach Auffassung der Richter mithin nicht ein.
Altverträge: Bei Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen, die vor dem 1. Januar 2015 abgeschlossen wurden, ist die Ausschlussklausel nach § 3 Abs. 1 MiLoG teilunwirksam („insoweit″). Sie ist also nicht, wie bei Ausschlussklauseln, die ab dem 1. Januar 2015 vereinbart wurden, insgesamt unwirksam. Das BAG begründet diese Unterscheidung wie folgt: Maßgeblich sei die Rechtslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Liege dieser vor dem 1. Januar 2015, so müsse berücksichtigt werden, dass es damals noch kein MiLoG gab, folglich könne die Klausel damals auch nicht intransparent gewesen sein. Das LAG Berlin-Brandenburg hat dies in einem Urteil vom 4. Oktober 2018 – 14 Sa 552/18 jüngst genauso gesehen.
Altverträge, die nach dem 1. Januar 2015 geändert wurden: Vorsicht ist geboten, wenn ein Vertrag zwar ursprünglich vor dem 1. Januar 2015 geschlossen wurde, aber nach dem 1. Januar 2015 geändert oder einer neuen Vereinbarung zugeführt wurde. In seinem aktuellen Urteil entschied das BAG, dass bei einer Fortführung eines zuvor befristeten Arbeitsverhältnisses (Arbeitsvertragsschluss vor dem 1. Januar 2015) als unbefristetes Arbeitsverhältnis (Vereinbarung der Fortführung als unbefristetes Arbeitsverhältnis nach dem 1. Januar 2015) der Maßstab für Neuverträge anzuwenden sei, wenn die zuvor vereinbarte Verfallklausel erneut Gegenstand des neuen Vertrages wurde. Deutlicher Ausdruck für einen solchen Willen sei ein Verweis, dass
alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben
oder wenn die alte Ausschlussklausel in die neue Vertragsurkunde aufgenommen werde. Nach diesen Maßstäben dürfte kaum ein Fall denkbar sein, in dem die Ausschlussklausel nicht nach dem Maßstab für Neuverträge zu beurteilen wäre. Neben den vom BAG genannte Fällen, ist auch noch der Fall denkbar, dass eine Änderung der Ausschlussklausel vorgenommen wird. In diesem Fall ist die neue Klausel jedenfalls Gegenstand der neuen Willensbildung geworden. Findet sich also eine Ausschlussklausel in einem nach dem 1. Januar 2015 geänderten Vertrag, ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen; es dürfte allerdings Vieles dafür sprechen, dass sie nach dem Maßstab für Neuverträge zu beurteilen ist.
Hinweis des BAG zur Klauselgestaltung in Arbeitsverträgen
Das BAG weist in seinem Urteil vom 18. September 2018 ausdrücklich darauf hin, dass ein Hinweis in der entsprechenden Vertragsklausel, dass
die vertragliche Ausschlussfrist […] nicht für Ansprüche des Arbeitnehmers [gelte], die kraft Gesetzes der vereinbarten Ausschlussfrist entzogen sind.
ausreichend sei. Das Transparenzgebot erfordere keine Benennung aller möglichen Subsumtionsmöglichkeiten. Nicht einmal die Nennung des MiLoG sei notwendig.
Nach alledem erscheint in der Praxis eine kurze Klausel ratsam, die alle gesetzlich unverzichtbaren Ansprüche aus der Ausschlussklausel wieder ausnimmt. Klarstellend können auch einzelne Gesetze, namentlich das MiLoG, an dem sich der Streit entzündet hat, ausgenommen werden. Dann sollte allerdings deutlich gemacht werden, dass die Aufzählung beispielhaften Charakter hat.