30. Mai 2022
Unterrichtung Betriebsrat Zeitarbeitnehmer
Arbeitsrecht

Unterrichtung des beim Kunden gewählten Betriebsrates vor dem geplanten Einsatz von Zeitarbeitnehmern

Das Hess. LAG befasst sich in einem aktuellen Beschluss mit der arbeitgeberseitigen Unterrichtungspflicht bei dem Einsatz von Zeitarbeitnehmern.

Unklar war bisher, ob den Entleiher mit Blick auf einen bei diesem bestehenden Betriebsrat hinsichtlich der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG vor dem Einsatz eines Zeitarbeitnehmers* Pflichten treffen und, wenn ja, welche. 

Dies hat das Hess. LAG nunmehr – zumindest für die zweitgenannte Pflicht – erstmals geklärt (Beschluss v. 9. November 2021 – 15 TaBV 158/20) und damit die erstinstanzliche Entscheidung des ArbG Frankfurt a.M. bestätigt (Beschluss v. 30. Juni 2020 – 10 BV 9/20).

Betriebsrat verlangte Unterrichtung durch Arbeitgeber zur Überprüfung der Auswirkungen geplanter Einstellungen von Zeitarbeitnehmern

Der Betriebsrat vertrat in dem Verfahren die Auffassung, zur Überprüfung der Auswirkungen geplanter Einstellungen von Zeitarbeitnehmern benötige er von der Arbeitgeberin im Rahmen der Anhörungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG auch die Information, ob und, wenn ja, wie Konkretisierungen nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG vorgenommen worden seien. Er meint, § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG sei eine Verbotsnorm i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, die einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darstellen könne. 

Ohne eine Konkretisierung könne der Vertrag zwischen dem Personaldienstleister und der Arbeitgeberin unwirksam sein und ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Zeitarbeitnehmer und dem Einsatzunternehmen begründet werden. Eine solche Rechtsfolge könne auch bei Überschreitung der 18-monatigen Höchstüberlassungsdauer eintreten. Wegen der möglichen Auswirkungen auf die Stammbelegschaft benötige er die begehrten Informationen. Auf bereits überlassene Daten könne er zur eigenständigen Ermittlung der Überlassungsdauer aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht selbst zurückgreifen.

Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG schließt eine Beschäftigung im Kundenbetrieb nicht aus: Kein Widerspruchsrecht des Betriebsrates

Das Hess. LAG ist – soweit bekannt – das erste Landesarbeitsgericht, das sich mit den betriebsverfassungsrechtlichen Implikationen von § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG in Zusammenhang mit der Anwendung von § 99 BetrVG auseinandersetzt. Dabei klärt das Gericht eine für die Praxis bedeutsame Frage, nämlich dass das entleihende Kundenunternehmen nicht verpflichtet ist, den dort gewählten Betriebsrat darüber zu unterrichten, dass der Zeitarbeitnehmer nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG konkretisiert worden ist. 

Die Leitsätze der sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung überzeugenden Entscheidung des Hess. LAG lauten – aus praktischer Sicht höchst erfreulich – wörtlich wie folgt:

Der Arbeitgeber ist bei der Einstellung von Zeitarbeitnehmern nicht verpflichtet, dem Betriebsrat im Rahmen des Verfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitzuteilen, dass dieser Zeitarbeitnehmer unter Bezugnahme auf den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag konkretisiert wurde, § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG.

§ 1 Abs. 1 S. 6 AÜG ist keine Verbotsnorm i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG bei der Einstellung eines Zeitarbeitnehmers.

Der Arbeitgeber ist bei der Einstellung von Zeitarbeitnehmern nicht verpflichtet, dem Betriebsrat im Rahmen des Verfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitzuteilen, dass der betroffene Zeitarbeitnehmer für die Arbeitgeberin seit dem 1. April 2017, ggf. zusammen mit der geplanten Einstellung unter Außerachtlassung von Zeiten einer Unterbrechung von bis zu drei Monaten länger als 18 aufeinanderfolgende Monate tätig war.

Ob der im Kundenbetrieb gewählte Betriebsrat aufgrund eines Verstoßes gegen die Pflicht nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG berechtigt ist, dem Einsatz von Fremdpersonal gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu widersprechen, wenn – statt eines „echten“ Werk-/Dienstvertrages – eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt wird, war bislang nicht geklärt. Dies ist allerdings nicht der Fall, da § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG keine Verbotsnormen i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darstellt; durch die betreffenden Regelungen soll im Sinne einer „Absperrtechnik“ nicht verhindert werden, dass bestimmte Arbeitnehmer überhaupt in den Betrieb aufgenommen werden (vgl. Bissels, DB 2017, 249, 251; Greiner, NZA 2018, 750; offenlassend: Thüsing/Waas, AÜG, § 1 Rn. 124; a.A. Lembke, NZA 2017, 9; Ulrici, AÜG, § 14 Rn. 51; Schüren/Hamann/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 249 f.). 

Belange der Stammmitarbeiter, die bei einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG beeinträchtigt sein und den Betriebsrat zur Zustimmungsverweigerung berechtigen könnten, sind nicht betroffen. Diese Argumentation macht sich das Hess. LAG zu eigen, indem es ausführt, dass § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG bzw. ein Verstoß gegen die Vorschrift eine Beschäftigung im Kundenbetrieb gerade nicht ausschließen solle bzw. wolle, folglich auch kein Widerspruchsrecht des Betriebsrates nach § 99 Abs. 2 BetrVG existiere und – daraus abgeleitet – ein entsprechendes Unterrichtungsrecht des Betriebsrates im Rahmen des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 BetrVG nicht bestehen könne. 

Dem ist uneingeschränkt zu folgen: Wenn der Betriebsrat – mangels Vorliegens eines Verbotsgesetzes bzw. eines Verstoßes hiergegen – einem geplanten Einsatz eines Zeitarbeitnehmers im Kundenbetrieb nicht widersprechen kann (§ 99 Abs. 2 BetrVG), besteht (natürlich) auch kein Anspruch darauf, im Rahmen des Unterrichtungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG davon in Kenntnis gesetzt zu werden. 

Auch kein Unterrichtungsanspruch des Betriebsrates im Hinblick auf etwaige Vorüberlassungszeiten des Zeitarbeitnehmers

Die Überlegungen des Hess. LAG lassen sich im Übrigen 1:1 auch auf die Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG übertragen, wobei sich in diesem Zusammenhang wohl ein geringeres gerichtlich auszutragendes Konfliktpotenzial ergeben dürfte. Der Betriebsrat kann sich die erforderlichen Informationen anderweitig, nämlich über § 80 Abs. 2 S. 3 BetrVG, verschaffen. 

Geht es dem Betriebsrat jedoch nicht um die Information an sich, sondern um ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 BetrVG, dürfte – analog der Argumentation zu § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG – ein solches nicht bestehen, wenn der Kunde den Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nicht über die Offenlegung informiert bzw. entsprechende Informationen verweigert. Auch in diesem Fall liegt kein Verbotsgesetz vor, das die Beschäftigung des Zeitarbeitnehmers im Kundenbetrieb verhindern bzw. ausschließen soll. 

Letztlich kann ein Verstoß gegen diese Vorschriften allenfalls zu der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kunden führen. Diesen Gedanken überträgt das Hess. LAG auch auf die Anforderungen an die Form der Konkretisierung, bei deren Nichtbeachtung es ebenfalls „nur“ zur Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Zeitarbeitnehmer und dem Kunden kommen könne. Im Ergebnis konnte das Hess. LAG die Frage allerdings offenlassen.

Das Gericht hat sich jedoch eindeutig mit Blick auf die Unterrichtung des Betriebsrates über etwaige Vorüberlassungszeiten des Zeitarbeitnehmers positioniert, um feststellen zu können, ob die maßgebliche Überlassungshöchstdauer durch den neuerlichen Einsatz – auch unter Berücksichtigung etwaiger Unterbrechungen – beachtet wird. Ein entsprechender Unterrichtungsanspruch des Betriebsrates im Kundenbetrieb besteht – so die Ansicht des Hess. LAG – nicht. Auch dies ist überzeugend, wird durch einen Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer doch ebenfalls „nur“ ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und dem zu lange überlassenen Zeitarbeitnehmer begründet. Die Überlassungshöchstdauer stellt damit keine gesetzliche Regelung dar, die den Einsatz im Kundenbetrieb ausschließen oder verhindern soll. Diese Frage ist freilich nicht unumstritten. Das BAG hat nämlich noch zur Rechtslage vor dem 1. April 2017 entschieden, dass ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrates im Kundenbetrieb nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG bestehen soll, wenn der Einsatz des Zeitarbeitnehmers nicht mehr vorübergehend erfolge (vgl. BAG, Urteil v. 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11; BAG, Urteil v. 30. September 2014 – 1 ABR 79/12). 

Vorläufige personelle Maßnahme möglich

Die weitere Entwicklung bleibt folglich abzuwarten. Auf Grundlage der aktuellen Entscheidung des Hess. LAG besteht jedoch zunächst eine überzeugende, von einem Landesarbeitsgericht vertretene Argumentation, den Betriebsrat im Kundenbetrieb im Rahmen des geplanten Einsatzes eines Zeitarbeitnehmers weder über die nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG erforderliche Konkretisierung noch über etwaige Vorüberlassungszeiten, die auf die Überlassungshöchstdauer bei dem Kunden ggf. anzurechnen wären, im Rahmen der Unterrichtung nach § 99 Abs. 1 BetrVG in Kenntnis zu setzen. Ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 BetrVG besteht nicht. 

Sollte der Betriebsrat dem geplanten Einsatz des Zeitarbeitnehmers dennoch widersprechen (mit dem Hinweis auf die vorgeblich unzureichende Unterrichtung bzw. ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG), kann der Kunde zur Umsetzung des Einsatzes auch eine vorläufige personelle Maßnahme nach § 100 BetrVG durchsetzen. Endet der Einsatz, bevor das Arbeitsgericht entschieden hat, ist das Verfahren einzustellen. Eine Entscheidung in der Sache ergeht dann nicht mehr. 

Derartige Verfahren müssen jedoch sehr kurzfristig eingeleitet werden, sind mit nicht unerheblichen Kosten verbunden und dürften im Übrigen für das „Arbeitsklima“ zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat sicherlich nicht förderlich sein, sodass eine grundsätzliche Klärung der streitigen Fragen – entweder auf der „betrieblichen“ Arbeitsebene oder durch ein Feststellungsverfahren – zu empfehlen sein dürfte. 

Eine Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BAG mit Beschluss vom 1. März 2022 verworfen (Az. 1 ABN 59/21). Die Entscheidung des Hess. LAG ist folglich rechtskräftig geworden.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit“, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, ihn kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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