Fahrradkuriere können nach einem Urteil des LAG Hessen von ihrem Arbeitgeber ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Handy verlangen.
Flexible Arbeitszeiten, hippe Arbeitgeber und die fortschreitende Corona Pandemie locken immer mehr Beschäftigte* in die Zustellerbranchen. Doch insbesondere Lieferdienste stehen aus arbeitsrechtlicher Sicht immer wieder in der Kritik. In seinem mit Spannung erwarteten Urteil vom 10. November 2021 (5 AZR 334/21) befasste sich das BAG mit der Frage, ob Lieferdienste ihre Fahrer dazu verpflichten können, eigene Fahrräder und Smartphones zu benutzen und bestätigte die Auffassung der Vorinstanz (LAG Hessen, Urt. v. 12.03.2021 – 14 Sa 306/20).
Fahrradkurier forderte Bike und Smartphone
Der Kläger arbeitet für einen Essenslieferdienst. Sein Arbeitsvertrag sah es vor, dass er Essens- und Getränkelieferungen von Restaurants abholen und diese mit dem Fahrrad zu Kunden bringen soll. Hierfür sollte er sein privates, verkehrstaugliches Fahrrad benutzen. Zudem muss er für die Zustellung eine App verwenden. Auch hierfür sollte er sein eigenes Smartphone inklusive Datenvolumen einsetzen. Eine Entschädigung hierfür war im Vertrag nicht vorgesehen. Lediglich ein Guthaben in Höhe von EUR 0,25 konnte er pro gearbeitete Stunde für Fahrradreparaturen bei einem Vertragspartner des Arbeitgebers abrufen. Auch dies war lediglich in einer Gesamtzusage und nicht im Arbeitsvertrag geregelt.
Gegen die Pflicht, private Gegenstände zur Erfüllung seiner Arbeitsleistung zu nutzen, wandte sich der Arbeitnehmer vor Gericht und forderte die Bereitstellung durch seinen Arbeitgeber.
Betriebsmittel sind vom Arbeitgeber zu stellen, dazu gehören bei Lieferdiensten ein Fahrrad und ein Handy
Das BAG (Urteil vom 5.November 2021 – 5 AZR 334/21) kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Klausel, welche es dem Arbeitnehmer auferlegte, sein eigenes Fahrrad und Smartphones zu benutzen, unwirksam sei. Dem Grundsatz nach sei der Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Betriebsmittel zu stellen. Wälzt der Arbeitgeber seine Verpflichtung ohne eine entsprechende Entschädigung auf den Arbeitnehmer ab, führt dies zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers.
Der Arbeitgeber gewährte hier zwar eine gewisse Entschädigung für den Verschleiß des Fahrrads, aber dazu wäre er nach § 670 BGB ohnehin verpflichtet. Die von Gesetzes wegen bestehende Möglichkeit, über § 670 BGB Aufwendungsersatz verlangen zu können, stellt aber keine angemessene Kompensation dar. Auch fehlt es insoweit an einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung. Zudem würde auch eine Klausel, die nur die ohnehin geltende Rechtslage wiederholt, keinen angemessenen Ausgleich schaffen. Überdies gewährte der Arbeitgeber für die Nutzung des Mobiltelefons keine Kompensation.
Daher bejahten die Richter hier eine unangemessene Benachteiligung durch die arbeitsvertragliche Absprache, dass der Mitarbeiter sein eigenes Fahrrad und sein persönliches Mobiltelefon nutzen musste. Dem Fahrer sei daher ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon sowie die für die Lieferaufträge benötigte App während der Arbeitszeit bereitzustellen.
Arbeitgeber sollten Arbeitsverträge dringend auf Bereitstellungspflichten von Arbeitsmaterial hin überprüfen
Dieses Urteil ist nicht nur für Essenslieferdienste von Bedeutung, sondern könnte auch in anderen Bereichen Auswirkungen haben. Insbesondere bei der Paketzustellung wird immer häufiger auf Fahrer zurückgegriffen, welche mit ihren privaten Fahrzeugen Waren ausliefern sollen. Zwar arbeiten diese bislang meist nicht unumstritten als Selbstständige. Nimmt man hiervon jedoch Abstand, könnten auch diesbezüglich Gerichte urteilen, dass ohne Entschädigungsregelung für die Nutzung von privaten Fahrzeugen die Fahrer arbeitgebereigene Fahrzeuge fordern dürfen.
Nach der Entscheidung des BAG ist es jetzt allerhöchste Eisenbahn, bestehende Arbeitsverträge hinsichtlich solcher unwirksamen Klauseln zu überprüfen und ggf. nachzubessern.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.