2. Oktober 2019
Arbeitsrecht RefE Verbandssanktionengesetz

Verbandssanktionengesetz und Internal Investigations – Der Rest ist Schweigen…?

Der Referentenentwurf zu einem Unternehmensstrafgesetz sieht neue Regeln für interne Untersuchungen vor. Wir erklären die geplanten Vorschriften.

Im August 2019 wurde der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zu einem Verbandssanktionengesetz (VerSanGE) öffentlich gemacht. Die geplanten Regelungen würden zu erheblichen Änderungen für unternehmensinterne Untersuchungen führen. Wir stellen den Entwurf vor und erläutern die Konsequenzen für die Praxis.

Die Regelungen zu internen Untersuchungen im Referentenentwurf

Der Referentenentwurf sieht in § 17 ausdrücklich unternehmensinterne Untersuchungen zur Aufklärung von Straftaten vor. Eine solche Untersuchung kann durch den Verband, also das Unternehmen, selbst durchgeführt werden, oder durch beauftragte Dritte. Weitere Vorgaben oder Anforderungen an den Dritten macht § 17 VerSanGE nicht.

Inhaltliche Vorgaben für interne Untersuchungen selbst finden sich aber in § 18 VerSanGE. Die Vorschrift würde die Möglichkeit, dass die vom Verbandssanktionengesetz vorgesehenen Sanktionen gemildert werden, an die Einhaltung der inhaltlichen Vorgaben knüpfen. Nur wenn interne Untersuchungen entsprechend dieser Vorgaben durchgeführt werden, kommen Sanktionsmilderungen in Betracht. Die Durchführung der Investigation allein führt nicht zu einer Sanktionsmilderung.

Als Voraussetzungen verlangt § 18 Abs. 1 VerSanGE, dass die Untersuchung wesentlich dazu beitragen muss, dass die Verbandsstraftat aufgeklärt werden konnte. Ferner dürfen Untersucher nicht gleichzeitig Verteidiger sein. Zudem ist eine ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden erforderlich und das Unternehmen muss die Ergebnisse seiner Untersuchung einschließlich wesentlicher Dokumente, auf denen das Ergebnis beruht, und den Abschlussberichts den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen.

Zusätzlich stellt der Entwurf auch Anforderungen an Befragungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern* auf, die gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 5 VerSanGE unter Beachtung der Grundsätze eines „fairen Verfahrens″ erfolgen müssen. Zu diesem „fairen Verfahren″ gehören „insbesondere″ – der Katalog ist also nicht abschließend – folgende Grundsätze:

  • Vorgesehen ist, dass Mitarbeiter vor der Befragung darauf hingewiesen werden, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können;
  • Befragten muss das Recht eingeräumt werden, anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats zur Befragung hinzuzuziehen und die Befragten müssen auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen werden und
  • die Befragten müssen das Recht haben, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder die in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen gefährden würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, und sie müssen auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen werden.

Die Durchführung der Untersuchung nach den Grundsätzen eines fairen Verfahrens muss gemäß § 18 Abs. 2 VerSanGE dokumentiert werden.

Zusätzlich verlangt § 18 Abs. 1 Nr. 6 VerSanGE, dass die interne Untersuchung „in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen″ durchgeführt wird, die Begründung nennt „insbesondere″ – also ebenfalls nicht abschließend – die Einhaltung datenschutzrechtlicher und arbeitsrechtlicher Bestimmungen.

Welcher Rechtsrahmen gilt bislang für Internal Investigations?

Was bei internen Untersuchungen erlaubt ist und was nicht, haben einige Entscheidungen der Gerichte und die umfangreiche juristische Literatur zusammengetragen:

Nach herrschender arbeitsrechtlicher Ansicht ist die Befragung von Mitarbeitern, die den Kern jeder Internal Investigation bildet, nichts anderes als ein Personalgespräch, an dem der Arbeitnehmer teilnehmen muss. Er ist seinem Arbeitgeber gegenüber im Personalgespräch verpflichtet, uneingeschränkt über seine Arbeitsaufgabe und seine Arbeit Auskunft zu geben. Er muss also, wenn er z.B. mit Kunden über Vertragskonditionen verhandelt und Verträge abschließt über diese Verhandlungen und den Vertragsschluss Auskunft geben. Das gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter arbeitsvertragliche und gesetzliche Pflichten verletzt hat, beispielsweise bei den Vertragsverhandlungen eine persönliche Gegenleistung vom Vertragspartner gefordert und erhalten hat. Er muss sich dann also selbst belasten.

Darüber hinaus bestehen Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis. Eine dieser Nebenpflichten verlangt vom Arbeitnehmer, den Arbeitgeber über betriebliche Missstände, Rechtsverstöße oder Straftaten zu informieren. Wer mitbekommt, dass es brennt, dass giftige Säure ausläuft oder Kopierpapier in rauen Mengen abhandenkommt, muss dies melden. Hierbei müssen sich Arbeitnehmer hingegen nicht selbst belasten.

Ein generelles Aussageverweigerungsrecht besteht im Arbeitsverhältnis aber ebenso wenig, wie ein Beweisverwertungsverbot es verbietet, Aussagen der Beschäftigten zu verwenden.

Besteht ein Anspruch auf die Teilnahme eines Beistands im Interview?

Ob ein Arbeitnehmer einen Anspruch hat, Dritte zu einer Befragung hinzuzuziehen, wird unterschiedlich beantwortet:

Es gibt bestimmte Fälle, in denen der Arbeitnehmer das gesetzlich vorgesehene Recht hat, den Betriebsrat hinzuzuziehen.

  • Gemäß § 81 Abs. 4 S. 3 BetrVG kann der Arbeitnehmer ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen, wenn ihm seine Aufgabe, seine Verantwortung und Art der Tätigkeit und Einordnung in den Arbeitsablauf erklärt werden.
  • Genauso kann der Arbeitnehmer nach § 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG verlangen, dass ein Betriebsratsmitglied hinzugezogen wird, wenn ihm Berechnung und Zusammensetzung seines Gehalts oder seine Leistungen oder die Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung erläutert werden.
  • 83 Abs. 1 S. 2 BetrVG erlaubt die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds, wenn der Beschäftigte seine Personalakte einsieht.
  • Schließlich kann der Arbeitnehmer nach § 84 Abs. 1 S. 2 BetrVG ein Betriebsratsmitglied hinzuziehen, wenn er von seinem Beschwerderecht beim Arbeitgeber gebraucht macht.

Darüber hinaus besteht kein Anspruch auf Hinzuziehung eines Betriebsratsmitgliedes, auch nicht bei einer Befragung durch den Arbeitgeber.

Ob der Beschäftigte einen Rechtsbeistand zum Personalgespräch hinzuziehen kann, ist umstritten. Die Praxis ist hier uneins. Es wird oft empfohlen, einen Beistand zuzulassen, weil es der „Fairness″ entspricht, oder – wenn der Arbeitgeber einen Rechtsbeistand beteiligt – „Waffengleichheit″ herstellt. Mit Blick auf die bestehenden Auskunftspflichten, muss die Anwesenheit eines Beistands gar nicht unbedingt schädlich sein.

Das im Entwurf vorgesehene Aussageverweigerungsrecht dürfte Investigations erschweren

Mit den vorgesehenen Regelungen für interne Untersuchungen stellt sich die Frage, ob Befragungen durch die Vorgaben des VerSanGE noch effektiv sein können. Bei internen Ermittlungen führt die direkte Befragung der Beteiligten zu den besten Ergebnissen. Hierbei lassen sich schnell Informationen gewinnen und es werden Erkenntnisse gemacht, die für weitere Ermittlungen hilfreich sind.

Wer als Arbeitnehmer das Recht hat, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder die in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen gefährden würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, und auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen wird, könnte sich hierauf berufen, ohne dass der Arbeitgeber dies nachprüfen kann. Es wäre somit ein Leichtes, der Befragung durch den Arbeitgeber zu entgehen.

Das BMJV meint, das von ihm vorgesehene „faire Verfahren″ sei schon deshalb hilfreich, weil es Falschaussagen verhindere und den Beweiswert einer Aussage erhöhe. Ohne das „faire Verfahren″ würden – so das Ministerium – die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden erschwert. Es stellt dabei darauf ab, dass die erste Aussage die glaubhafteste sei. Wenn der Arbeitgeber hier anders herangehe als die Staatsanwaltschaft, dann könne dies zu Falschaussagen führen, an denen der Befragte gegenüber der Staatsanwaltschaft festhalte. Führt also die Befragung durch den Arbeitgeber zur Lüge?

Das BMJV meint, der Zwang zur Selbstbelastung sei ein starkes Motiv für eine Falschaussage. Es räumt in der Begründung ein, dass nicht jede unter Zwang getätigte Aussage falsch sei. Es beruft sich aber auf Studien, die den Anstieg des Risikos falscher Aussagen bei Zwang nahelegen würden. Inwieweit dies auch für Befragungen im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt, lässt das Ministerium offen. Es meint, der Staat dürfe Befragungen unter dem Zwang zur Selbstbelastung nicht auch noch honorieren, indem Unternehmen Sanktionsmilderungen erhalten, weil sie Druck auf die Beteiligten ausgeübt haben. Zudem ist es der Ansicht, die von ihm vorgesehenen Regelungen schafften Rechtssicherheit für die Praxis, weil – so die Sicht des Ministeriums – nach geltendem Recht unklar sei, wie weit die Aussagepflicht des Arbeitnehmers gehe.

Offengelassen ist, was das „faire Verfahren″ neben den ausdrücklich aufgeführten Voraussetzungen noch umfassen soll? Die Einhaltung müsste das Unternehmen dokumentieren, um die sanktionsmildernde Wirkung herbeiführen zu können. Rechtsklarheit gibt der Entwurf hier nicht – das Risiko bleibt beim Arbeitgeber.

Unklar ist auch, wer vom Begriff „Mitarbeiter″ umfasst wird. Zwar taucht diese Bezeichnung im neueren Sprachgebrauch häufiger auf, z.B. in § 83 WpHG oder § 9 InstitutsVergV. Gesetzlich ist dieser Begriff aber nicht definiert. Es bleibt auch unverständlich, warum § 18 Abs. 1 Nr. 5 VerSanGE einerseits von „Mitarbeiter″ und andererseits von „Befragten″ spricht? Handelt es sich um ein redaktionelles Versehen? Hier sind Klarstellungen nötig.

Der private Aufklärer als Dienstleister – mit eigenem Risiko

Die Begründung des BMJV für eine Änderung der bisherigen Rechtslage überzeugt nicht.

Es muss bezweifelt werden, ob durch die Grundsätze eines „fairen Verfahrens″ der Umfang, die Qualität und die Belastbarkeit der dann noch getätigten Aussagen steigen. Denn wo der Arbeitnehmer im Gespräch bisher Angaben macht, bevor ihn bei konkreten Nachfragen „Erinnerungslücken″ ereilen, könnte er in Zukunft von vornherein die Aussage verweigern, weil er sich angeblich belasten würde. Dem Arbeitgeber bleibt keine Möglichkeit, diese – mitunter bloße – Behauptung zu überprüfen.

Anders als die Begründung es darstellt: Die Rechtslage ist keineswegs unklar. Im Arbeitsrecht geht die herrschende Meinung davon aus, dass zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber – anders als zwischen Bürger und Strafverfolgungsbehörden – ein freiwillig eingegangenes und privatrechtliches „Verhältnis″ besteht, das mit gegenseitigen Treuepflichten verbunden ist. Der Arbeitgeber hat einen Anspruch auf Unterrichtung über das, was der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Aufgaben tut oder nicht tut. Für Unternehmen sind interne Untersuchungen – die nicht nur bei Straftaten stattfinden – die wichtigste Möglichkeit, Sachverhalte aufzuklären und rechtswidrige Zustände zu beseitigen. Aus ihr folgen arbeitsrechtliche Maßnahmen, zivilrechtliche Schadensersatzforderungen und Erkenntnisse für eine bessere Organisation.

Das BMJV reduziert die interne Untersuchung dagegen als reine Vor- bzw. Hilfsarbeit für die Staatsanwaltschaft. Wird deren Arbeit erleichtert, so dass Staatsanwälte die Ergebnisse der Untersuchung übernehmen können (Copy-Paste), dann sollen sie zu Sanktionsmilderungen führen?  Dann würde die gesamte Zielrichtung des Verbandssanktionengesetzes schlimmstenfalls darauf beschränkt, für Unternehmen eine Drohkulisse zu errichten, damit diese die Aufgaben der Staatsanwaltschaft übernimmt. Bleibt der Arbeitgeber bei seinen Befragungen erfolglos – wesentlich dazu beitragen muss, dass die Verbandsstraftat aufgeklärt werden konnte, gibt es auch keine Milderungen bei den vorgesehenen Geldstrafen.

Dass Mitarbeiter ihre arbeitsvertraglichen Pflichten (nur) durch vollständige Aussagen erfüllen und sich nicht auf eine behauptete Selbstbelastung entziehen können, entspricht dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Verständnis. Der Entwurf entspricht insoweit weder der arbeitsrechtlichen Praxis, noch ist er angemessen. Tatsächlich erfolgen schon heute Befragungen nicht selten mit den Hinweisen, dass der Arbeitnehmer einerseits die Pflicht zur Aussage hat, andererseits keine Angaben machen muss, wenn er sich hierdurch belastet.

Nur gilt: Werden die neuen Regelungen Wirklichkeit, ist mit erschwerten Befragungen und geringeren Ergebnissen zu rechnen. Unter diesen Vorgaben werden nur erfahrene und professionell arbeitende Interviewer zu aussagekräftigen Ergebnissen kommen.

Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Aussageverweigerungsrecht Internal Investigation Verbandssanktionengesetz