Seit dem 1. April 2017 gilt eine Überlassungshöchstdauer – Verstöße stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, die die betroffenen Unternehmen teuer zu stehen kommt!
Bekanntermaßen gilt seit dem 1. April 2017 eine Überlassungshöchstdauer. In § 1 Abs. 1 S. 4 i.V.m. Abs. 1b S. 1 AÜG heißt es wörtlich:
Die Überlassung von Arbeitnehmern ist vorübergehend bis zu einer Überlassungshöchstdauer nach Absatz 1b zulässig. […]
Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen.
Der Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer stellt für den Personaldienstleister eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld von bis zu EUR 30.000,00 geahndet werden kann (§ 16 Abs. 1 Nr. 1e, Abs. 2 AÜG). Der Kunde, der einen Zeitarbeitnehmer* über die Überlassungshöchstdauer hinaus einsetzt, verhält sich – unter Berücksichtigung des eindeutigen Wortlautes von § 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG („entgegen § 1 Absatz 1b Satz 1 einen Leiharbeitnehmer überlässt″) – nicht ordnungswidrig (vgl. Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 16 AÜG Rn. 25). Zudem erfasst § 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG – wiederum auf Grundlage des Wortlautes der Bestimmung – nur den Verstoß gegen die gesetzliche 18-monatige („entgegen § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG″), nicht aber gegen die nach Maßgabe von § 1 Abs. 1b S. 3 bis 8 AÜG verlängerte bzw. verkürzte Überlassungshöchstdauer (str., vgl. Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 16 AÜG Rn. 27).
Personaldienstleister wegen vermeintlich (vorsätzlicher) Verstöße gegen die Überlassungshöchstdauer verurteilt
Das BayObLG hat sich in diesem Zusammenhang in einem aktuellen Beschluss mit einem Fall auseinandersetzen müssen, in dem ein Personaldienstleister wegen der vermeintlichen (vorsätzlichen) Verstöße gegen die Überlassungshöchstdauer in zehn Fällen zu zehn Geldbußen i.H.v. jeweils EUR 2.000,00 und in einem weiteren Fall zu einer Geldbuße i.H.v. EUR 1.500,00 verurteilt wurde, insgesamt: EUR 21.500,00 (Beschl. v. 22. Januar 2020 – 201 ObOWi 2474/19).
Nach den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung hat die Betroffene als Geschäftsinhaberin der Fa. X zehn namentlich bezeichnete Zeitarbeitnehmer entgegen § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG über den 30. September 2018 hinaus sowie einen weiteren namentlich bezeichneten Arbeitnehmer über den 18. Dezember 2018 hinaus und damit jeweils länger als 18 Monate an die Firma Y überlassen. Die betroffenen Zeitarbeitnehmer, allesamt Kraftfahrer, haben bei der BA vorgesprochen und eine sog. Festhaltenserklärungen abgegeben.
Seit welchem Zeitpunkt die Zeitarbeitnehmer bei der Fa. X beschäftigt sind, teilt das Amtsgericht nicht mit. Im Rahmen der Beweiswürdigung wird lediglich ausgeführt, dass die Betroffene den Sachverhalt voll umfänglich eingeräumt habe, aber der Meinung sei, dass dieser keine Ordnungswidrigkeit darstelle, da die Festhaltenserklärungen der Zeitarbeitnehmer bestätigen würden, dass diese bei der Betroffenen rechtlich besser gestellt seien als bei Übernahmen durch den Kunden.
BayObLG moniert Entscheidung der ersten Instanz u.a. als nicht nachvollziehbar und lückenhaft
Das BayObLG hat im Ergebnis den erstinstanzlichen Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht verwiesen. Den erstinstanzlichen Feststellungen lasse sich bereits nicht entnehmen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 16 Abs. 1 Nr. 1e, § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG vorlägen. Die tatrichterliche Entscheidung müsse sich zwingend zu der Frage verhalten, seit wann der jeweilige Zeitarbeitnehmer dem Kunden Y überlassen worden sei und dass die Beschäftigung dort ununterbrochen angedauert habe.
Der angefochtene Beschluss lege zudem nicht ausreichend nachvollziehbar dar, warum die Betroffene wegen einer vorsätzlichen Tatbegehung verurteilt worden sei, obwohl sie der Meinung gewesen sei, „dass der Sachverhalt keine Ordnungswidrigkeit“ darstelle. Aufgrund der Feststellungen könne nicht hinreichend abgegrenzt werden, ob sich die Betroffene insoweit auf einen Tatbestands- oder Verbotsirrtum gem. § 11 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 OWiG berufe. Sollte aus Sicht des Tatgerichts die Einlassung der Betroffenen als sog. Verbotsirrtum zu qualifizieren sein (§ 11 Abs. 2 OWiG), müsse sich der verurteilende Beschluss dazu verhalten, ob ein entsprechender Irrtum vermeidbar gewesen sei oder nicht.
Ein weiterer durchgreifender Rechtsfehler liege darin, dass der angefochtene Beschluss eine Begründung dafür vermissen lasse, weshalb die weitere Beschäftigung der genannten elf Arbeitnehmer über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus als Tatmehrheit gem. § 20 OWiG anzusehen sei. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der ersten zehn Verstöße, bei denen zehn Arbeitnehmer über den 30. September 2018 hinaus demselben Kunden überlassen worden seien. Insoweit sei stets zu prüfen, ob deren Einsatz auf einem oder mehreren Entschlüssen beruhe (vgl. BayObLG v. 29. Juni 1999 – 3 ObOWi 50/99). Im Gegensatz zu § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG gehe es bei dem Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG lediglich um das Überlassen. Ob der (weitere) Einsatz der verschiedenen Arbeitnehmer über den 30. September 2018 bzw. (in einem Fall) über den 18. Dezember 2018 hinaus auf einem gesonderten Tatentschluss beruhe, lasse sich den Feststellungen im angegriffenen Beschluss nicht entnehmen. Auch insoweit erwiesen sich die Ausführungen als lückenhaft. Überlasse der Personaldienstleister mehrere Zeitarbeitnehmer gleichzeitig oder aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses an einen Kunden, liege Tateinheit gem. § 19 OWiG nahe.
Die Bemessung der Rechtsfolgen lasse ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler erkennen. In einem verurteilenden Beschluss nach § 72 OWiG seien die tatrichterlichen Erwägungen für die Höhe der Geldbuße, die nach § 17 OWiG vorzunehmen sei, darzulegen. Nach § 17 Abs. 3 OWiG sei Grundlage für deren Zumessung die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter treffe. Auch dessen wirtschaftlichen Verhältnisse seien zu berücksichtigen. Diesen Anforderungen würden die Gründe in dem angefochtenen Beschluss nicht gerecht. Die Tatrichterin benenne den zugrunde liegenden Bußgeldrahmen vorliegend nicht. Sie führe darüber hinaus keinerlei weitere Kriterien an, die für die Bemessung der einzelnen verwirklichten Tatbestände maßgeblich seien. Es lasse sich insbesondere nicht nachvollziehen, warum die ersten zehn Verstöße mit einer Geldbuße von jeweils EUR 2.000,00 und der elfte Verstoß mit einer Geldbuße von EUR 1.500,00 geahndet werden sollten, obwohl jeweils dieselbe Beschäftigungsdauer zugrunde liege.
Abgesehen davon würden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen nicht ansatzweise dargestellt, obwohl diese in ihrer Einlassung Angaben zu ihren Unterhaltsverpflichtungen gemacht habe und die vorläufige betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2019 zumindest vorlegen wollte. Die Tatrichterin habe – soweit erkennbar – die Geldbußen aus dem Bußgeldbescheid ohne eigenständige Prüfung übernommen und sei damit ihrer Aufgabe, Geldbußen aufgrund eines eigenen Zumessungsaktes zu verhängen, nicht gerecht geworden.
Praxishinweis: Verurteilungen wegen vermeintlichen Verstoßes gegen Überlassungshöchstdauer kritisch prüfen lassen
Die Entscheidung zeigt auf, dass die Verurteilung wegen des (vermeintlichen) Verstoßes gegen die gesetzliche Überlassungshöchstdauer kein „Selbstläufer″ ist. Der erstinstanzliche Beschluss litt in dem konkreten Fall an zahlreichen erheblichen handwerklichen Mängeln – sowohl auf tatsächlicher Ebene mit Blick auf die eine Verurteilung (vermeintlich) stützenden Fakten als auch mit Blick auf die rechtliche Bewertung und Begründung.
Letztlich mag die „Unbeholfenheit″ der erstinstanzlichen Entscheidung darauf zurückzuführen sein, dass Verfahren wegen der Missachtung der Überlassungshöchstdauer vor den Strafgerichten selten geführt werden dürften und diese mit einem „atypischen Tatbestand″ umgehen müssen, der zu (Rechts-)Fehlern verleitet. Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, anwaltlich sorgfältig prüfen zu lassen, ob mit einer hinreichenden Erfolgsaussicht Rechtsmittel gegen entsprechende Verurteilungen eingelegt werden können bzw. sollten. Dass sich dies lohnen kann, belegt der vorliegende Fall eindrucksvoll, zumal das verhängte Bußgeld i.H.v. insgesamt EUR 21.500,00 durchaus als „ordentlich″ bezeichnet werden dürfte.
Interessant sind zudem die weiteren Rechtsausführungen des BayObLG. Nach dessen Ansicht verstoße die Bestimmung des § 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG nämlich weder gegen das Grundgesetz noch gegen die europarechtlichen Regelungen zur Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit.
Das BVerfG habe mit Beschluss vom 6. Oktober 1987 (NJW 1998, 1195 ff.) ausdrücklich festgestellt, dass das durch § 12a AFG ausgesprochene Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im Bereich des Baugewerbes nicht in verfassungswidriger Weise in die Grundrechte der Verleiher oder Entleiher aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreife. Vielmehr habe der Gesetzgeber auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung einen weiten Beurteilungsspielraum, den er erst dann überschreite, wenn seine Erwägungen so offensichtlich fehlsam seien, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die gesetzgeberische Maßnahme bilden könnten.
Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Regelung des § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG dazu dienen solle, Missbrauch von Zeitarbeit zu verhindern, indem grundsätzlich eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten festgesetzt werde (vgl. BT-Drucks. 18/9232 S. 1 f.). Mit dieser Regelung sei auch keine mit den Bestimmungen der EU nicht vereinbare Einschränkung der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit verbunden, da es durch diese weder den Zeitarbeitnehmern noch den Personaldienstleistern unmöglich gemacht werde, sich im Bereich der Bundesrepublik Deutschland gewerblich zu betätigen. Ein Verstoß gegen Art. 49 bzw. 56 AEUV komme daher nicht in Betracht.
Im Ergebnis bestätigt das BayObLG sowohl die Verfassungs- als auch die Europarechtskonformität der Bußgeldbewährung eines Verstoßes gegen die Überlassungshöchstdauer. Jedoch setzt sich die Entscheidung bedauerlicherweise nicht bzw. zumindest nicht in der erforderlichen bzw. gewünschten Tiefe mit den maßgeblichen rechtlichen Erwägungen auseinander. Es werden in diesem Zusammenhang gute Gründe gegen die Wirksamkeit der Überlassungshöchstdauer, die als Anknüpfungspunkt für einen bußgeldbewährten Verstoß ihrerseits zulässig sein muss, vorgebracht (vgl. insoweit die Ausführungen bei Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rn. 386 ff., 391 ff. m.w.N., die letztlich aber von einer Verfassungs- bzw. Europarechtskonformität ausgehen).
Vor diesem Hintergrund mag es bei Bußgeldverfahren – insbesondere im Rahmen einer entsprechenden Verteidigungsstrategie – weiterhin opportun erscheinen, diese Fragen aufzuwerfen und rechtlich vertiefend „aufzubohren″. Nicht auszuschließen ist, dass ein Gericht das BVerfG bzw. den EuGH anruft, um die Frage der Verfassungs- bzw. Europarechtskonformität abschließend zu klären, auch wenn – dies soll an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt sein – die Latte dafür (natürlich) sehr hoch liegen dürfte, jedoch könnte damit im Erfolgsfalls dasjenige erreicht werden, wovor unmittelbar nach Inkrafttreten der AÜG-Reform zum 1. April 2017 noch zurückgeschreckt wurde, nämlich durch die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Verfassungskonformität der Überlassungshöchstdauer prüfen zu lassen. Diese Chance bietet sich nunmehr (inzidenter) bei entsprechenden Bußgeldverfahren, bei denen der Verstoß gegen selbige geahndet werden soll.
Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.