9. Januar 2018
Zeitarbeit 2018
Arbeitsrecht

Zeitarbeit: Ein Rückblick auf 2017 und Ausblick auf das Jahr 2018

Für die Zeitarbeit war das Jahr 2017 sehr bewegt. Auch 2018 wird kein ruhiges Jahr, sondern vielmehr erste Entscheidungen in Bezug auf die AÜG-Reform bringen.

Wie nicht anders zu erwarten, war das Jahr 2017 maßgeblich von der durch die Große Koalition umgesetzten Reform des Fremdpersonaleinsatzes geprägt. Diese ist am 1. April 2017 in Kraft getreten und hat die insoweit maßgeblichen gesetzlichen „Stellschrauben″ im AÜG, BetrVG und BGB neu justiert – beseelt von dem Gedanken, die Zeitarbeit auf ihre Kernfunktion hin zu orientieren und den Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen zu verhindern (vgl. BT-Drucksache 18/9232, S. 1).

Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Neuerungen

Insoweit ist es wenig überraschend gewesen, dass die Praxis nunmehr vor der Herausforderung stand, die gesetzlichen Neuerungen unter Berücksichtigung der von der Bundesagentur für Arbeit erst Ende März herausgegebenen „Fachlichen Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz″ umzusetzen.

Besonders viel Zeit wurde den betroffenen Personaldienstleistern nicht gewährt: Die neu in das Gesetz eingefügten Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG) sind mangels entsprechender Übergangsfristen bereits zum 1. April 2017 in Kraft getreten. Klar war, dass das entsprechende Pflichtenprogramm natürlich für alle nach Anfang April abgeschlossene Arbeitnehmerüberlassungsverträge gelten soll.

Die BA – dies kam erschwerend hinzu – vertritt jedoch die Ansicht, dass die Offenlegungs- und die Konkretisierungspflicht bereits für Verträge Geltung beansprucht, die vor dem 1. April 2017 geschlossen und danach fortgeführt werden (vgl. FW AÜG zu § 1 Nr. 1.1.6.7 Abs. 3). Dies bedeutete für zahlreiche Personaldienstleister, dass binnen weniger Tage die neuen gesetzlichen Anforderungen umgesetzt werden mussten – aufgrund der mit der Auffassung der BA verbundenen Rückwirkung der neu in das Gesetz aufgenommenen Pflichten sicherlich aus rechtstaatlicher Sicht ausgesprochen frag- und gleichermaßen kritikwürdig.

Diskussion über Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten

Viel diskutiert wurde mit Blick auf die genannten Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten auch, ob und im Zweifel welche Form es hinsichtlich der Offenlegung und der Konkretisierung zu beachten galt. Die Personaldienstleistungsbranche zeichnet sich dabei durch ihre enorme Flexibilität aus, auf kurzfristen Zuruf eines Kunden Personal zur Verfügung zu stellen.

Mit diesem Selbstverständnis und den dazu entwickelten Geschäftsmodellen kann und konnte es nur schwerlich in Einklang gebracht werden, vor dem in der Praxis oftmals kurzfristig erfolgenden Abruf eines Zeitarbeitnehmers diesen unter Wahrung der gesetzlichen Schriftform namentlich zu konkretisieren. Wäre dies tatsächlich erforderlich, wäre dies in der Tat das Ende eines kurzfristig und flexibel zu handhabenden Einsatzes von Zeitarbeitnehmern.

BA wählt grundsätzlich pragmatischsten Weg

Die BA wählte insoweit einen durchaus pragmatischen Weg, den sie auch in ihren Fachlichen Weisungen niederschrieb. Ist in einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bereits der zu überlassende Zeitarbeitnehmer namentlich bezeichnet (sog. Einzelarbeitnehmerüberlassungsvertrag), ist die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform notwendig. Wird hingegen ein Rahmenarbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen, der seinerseits der Schriftform bedarf, ist die darauf Bezug nehmende namentliche Konkretisierung des dann einzusetzenden Zeitarbeitnehmers in Textform möglich (vgl. FW AÜG zu § 1 Nr. 1.1.6.7 Abs. 2).

Rahmenarbeitnehmerüberlassungsvertrag: BA verlangt Kontingentabrede

Wichtig ist, dass die BA in Zusammenhang mit einem Rahmenarbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht nur die Einhaltung der Schriftform, sondern auch eine sog. Kontingentabrede verlangt. Dieses Erfordernis mag in der täglichen Praxis überflüssig und im Zweifel gar unsinnig sein, sollte jedoch dennoch in entsprechende Rahmenverträge aufgenommen werden, um der Agentur für Arbeit keine Veranlassung zu geben, einen insoweit bußgeldbewährten Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG geltend machen zu können (Bußgeldrahmen: bis zu 30.000 €).

Personaldienstleister waren und sind daher gut beraten, mit Blick auf die bereits zum 1. April 2017 in Kraft getretenen Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Dies bedeutet insbesondere deren verwendeten Musterarbeitnehmerüberlassungsverträge anzupassen sowie die Bestellprozesse mit ihren Kunden so einzurichten, dass die neuen gesetzlichen Pflichten auch eingehalten werden können.

Weitere Neuerungen: equal pay und Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten

Im Übrigen war das Jahr 2017 maßgeblich von den weiteren gesetzlichen „Kernelementen″ der AÜG-Reform geprägt, nämlich der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten und einem zwingenden equal pay nach dem 9. Monat des Einsatzes eines Zeitarbeitnehmers bei einem Kunden. Der Gesetzgeber hat vorgesehen, dass insbesondere durch Tarifverträge sowohl von der Überlassungshöchstdauer als auch von einem zwingenden gesetzlichen equal pay über den 9. Monat hinaus abgewichen werden kann.

Im laufenden Jahr 2017 wurde von den entsprechenden Möglichkeiten bereits rege Gebrauch gemacht: Beginnend ab Mai 2017 wurden für die M+E-Industrie die Tarifverträge zur Leih-/Zeitarbeit (TV LeiZ) an die neuen gesetzlichen Anforderungen angepasst. Wurde der bereits im Jahr 2012 abgeschlossene TV LeiZ bis dato eher als eine „Belastung″ wahrgenommen, der u.a. eine Prüfpflicht nach 18 Monaten und gar nach 24 Monaten eine Übernahmepflicht des bei dem Kunden eingesetzten Zeitarbeitnehmers vorgesehen hatte, ermöglicht dieser Tarifvertrag in seiner aktuellen Fassung nunmehr eine Erweiterung der Überlassungshöchstdauer auf bis zu 48 Monate.

Im Einzelnen ist der Tarifvertrag mit seiner Differenzierung zwischen tarif(un)gebundenen Kundenbetrieben mit und ohne Betriebsvereinbarung sowie einer Übergangsregelung für Altbetriebsvereinbarungen recht komplex gestaltet. Im Einzelfall muss sehr genau geprüft werden, ob und welche Abweichungsmöglichkeiten sich für den konkreten Kunden stellen; insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch nicht-tarifgebundene Kunden der M+E-Industrie über eine zu schließende Betriebsvereinbarung von der im TV LeiZ vorgesehenen Abweichungsmöglichkeit Gebrauch machen und selbst eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 48 Monaten vorsehen können.

TV LeiZ ist bislang der einziger Flächentarifvertrag

Bislang ist der TV LeiZ, jeweils abgeschlossen zwischen den regionalen Arbeitgeberverbänden Metall und der IG Metall, der einzige Flächentarifvertrag (soweit bekannt), der es ermöglicht, von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten abzuweichen. Dem Vernehmen nach sind die Verhandlungen über einen vergleichbaren Tarifvertrag in der Chemischen Industrie gescheitert; hier bleibt jedoch nach wie vor die Option, sog. „Insellösungen″ bei einzelnen Unternehmen über den Abschluss von Firmentarifverträgen und darauf aufsetzenden Betriebsvereinbarungen zu schaffen, so geschehen z.B. bei BASF oder den BG Kliniken.

Die Verbände der Zeitarbeit blieben nicht untätig

Während für die Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche zuständig sind, waren BAP, iGZ und die für die jeweilige Branche zuständige DGB-Gewerkschaft  daher ebenfalls nicht untätig. Der Blick der Tarifvertragsparteien richtete sich auf den Abschluss von Branchenzuschlagstarifverträgen, die eine Abweichung vom gesetzlichen equal pay über den 9. Einsatzmonat hinaus möglich machen: aufgrund der AÜG-Reform war es erforderlich, die bereits bestehenden Branchenzuschlagstarifverträge anzupassen – dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber verlangt, dass spätestens nach dem 15. Monat von dem Zeitarbeitnehmer ein dem Stammbeschäftigten im Kundenbetrieb gewährtes, gleichwertiges Entgelt erreicht wird.

Branchenzuschlagstarifverträge erhalten 6. Stufe

Diese Anforderung machte die Einführung einer 6. Stufe in die bisherigen Branchenzuschlagstarifverträge erforderlich. Bereits im Mai 2017 wurde der TV BZ ME als erster der bereits seit dem Jahr 2012 geschlossenen Branchenzuschlagstarifverträge an die neuen gesetzlichen Erfordernisse angepasst. Es folgte der TV BZ Chemie. Im September 2017 wurden dann – mit Ausnahme des TV BZ Eisenbahn – alle weiteren bisherigen Branchenzuschlagstarifverträge rückwirkend zum 1. April 2017 an die Änderungen der AÜG-Reform angepasst. Der TV BZ Eisenbahn folgte schließlich Anfang Dezember 2017.

Abweichung vom equal pay-Grundsatz auch über 9 Monate hinaus möglich

Damit haben die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit für zahlreiche Branchen die Voraussetzungen geschaffen, auch über den 9. Monat hinaus von dem gesetzlichen equal pay-Grundsatz abzuweichen. Sämtlichen Branchenzuschlagstarifverträgen ist dabei gemein, dass frühestens nach dem 15. Einsatzmonat durch die sog. Deckelung II eine Angleichung des Entgelts an das gesetzliche equal pay erfolgen muss.

Alternativ besteht die Möglichkeit – ohne einen Deckel II – den Branchenzuschlag in voller Höhe ab dem 16. Einsatzmonat zu zahlen. Zwar mögen die modifizierten Branchenzuschlagstarifverträge – auch aufgrund der im Einzelnen recht komplex geratenen Übergangsregelungen – mit einigen Anwendungsschwierigkeiten verbunden sein. Dennoch sind diese in der Praxis ausgesprochen hilfreich, verschieben sie bei der Anwendung der Deckelung II den faktischen Eintritt eines vollen equal pay doch auf die Vollendung des 15. Einsatzmonats. Zugleich ermöglichen sie bis zu diesem Zeitpunkt eine vergleichsweise einfache und rechtssichere Berechnung des Zuschlags. Es bleibt zu hoffen, dass in der Zukunft weitere Branchen tarifiert werden. Dies ist bereits mit Abschluss des TV BZ ME für die „IT- und Kommunikationstechnologie (inklusive IT-Dienstleistungen)″ angekündigt worden. Offen ist allerdings, wann die Verhandlungen abgeschlossen werden können.

Dienstleister versenden Erfassungsbögen an Kunden

Insbesondere das letzte Quartal des Jahres 2017 war geprägt von dem Umstand, dass zum ersten Mal (nach richtiger Lesart) ab dem 1. Januar 2018 der gesetzliche equal pay-Grundsatz nach dem 9. Einsatzmonat eingreifen kann. Um auf diesen Zeitpunkt vorbereitet zu sein, haben zahlreiche Dienstleister mit entsprechendem Vorlauf Erfassungsbögen an ihre Kunden versendet, um die Entgeltbedingungen von vergleichbaren Stammbeschäftigten in dem Einsatzbetrieb zu erfragen.

Diese sind zwingend erforderlich, um als Bestandteil des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages eine gesetzeskonforme Zeitarbeit auch über den 9. Monat hinaus zu ermöglichen, wenn und soweit kein Branchenzuschlagstarifvertrag einschlägig ist.

Die angeschriebenen Kunden haben zunächst etwas „zugeknöpft″ hinsichtlich der Weitergabe der Entgeltdaten reagiert. Zusehends ist jedoch zu verzeichnen, dass inzwischen in den verschiedenen Einsatzbranchen und von den dortigen Kunden verstanden wurde, dass Personaldienstleister die entsprechenden Entgeltdaten nicht erfassen, um Leitzordner mit Papier zu füllen. Tatsächlich übernehmen sie damit die Gewähr dafür, dass eine Arbeitnehmerüberlassung seriös und rechtmäßig über den 9. Einsatzmonat hinaus durchgeführt werden kann.

AÜG-Reform spielt auch 2018 eine maßgebliche Rolle

Die AÜG-Reform wird auch das kommende Jahr 2018 nachhaltig prägen. Ausgehend von einer Einsatzzeit von mehr als neun Monate kann das gesetzliche equal pay – nach herrschender Meinung – ab dem 1. Januar 2018 zum ersten Mal Wirkung entfalten. Zahlreiche Rechtsfragen sind – neben der „richtigen″ Bestimmung des Ablaufs der Frist – noch nicht abschließend entschieden und dürften die Praxis weiter umtreiben. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich die BA in ihren „Fachlichen Weisungen″ im Wesentlichen darauf beschränkt hat, die vom BAG entwickelten Grundsätze zur Bestimmung des gesetzlichen equal pay-Anspruchs wortwörtlich abzuschreiben.

Dabei dürfte weniger spannungsgeladen sein, welche Entgeltbestandteile eines Vergleichsmitarbeiters im Kundenbetrieb tatsächlich in Zusammenhang mit der Bestimmung der Höhe des equal pay zu berücksichtigen sind. Vielmehr steht die Frage im Raum, wie auf dieser Grundlage, insbesondere unter Berücksichtigung variabler Entgeltbestandteile, der mögliche equal pay-Anspruch im Zeitraum der Überlassung konkret zu errechnen ist und wie sich die „Durchleitung″ etwaig volatiler equal pay-Zulagen zwischen Personaldienstleister und Kunden pragmatisch darstellen lässt.

Ebenso bleibt abzuwarten, mit welcher Prüfdichte und -intensität die BA die Einhaltung des equal pay-Grundsatzes kontrollieren wird. Fest steht, dass eine Überprüfung erfolgen wird. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Behörde zumindest in einer Übergangszeit auch einmal „5 gerade″ sein lässt, wenn sich ab 2018 die notwendigen Abläufe und Prozesse noch nicht abschließend eingeschliffen haben und diese noch mit „Kinderkrankheiten″ behaftet sind.

2018 wird Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten erreicht

Im Jahr 2018 kann zudem zum ersten Mal die gesetzlich vorgesehene Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten erreicht werden. Hier stellt sich – wie auch beim zwingenden gesetzlichen equal pay-Anspruch – insbesondere die Frage nach der korrekten Bestimmung des Fristendes. Dieses wird nach richtiger Betrachtung bei einer durchgehenden Überlassung mit Ablauf des 30. September 2018 eintreten.

Darüber hinaus bleibt für die Praxis von nicht unerheblicher Bedeutung, wie sich das Tarifgefüge mit Blick auf den Abschluss von weiteren Branchenzuschlagstarifverträgen zur Abweichung vom gesetzlichen equal pay-Grundsatz über den 9. Einsatzmonat und Tarifverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen der Einsatzbranche zur Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer entwickeln wird. In diesem Zusammenhang sind gleichermaßen die Tarifpartner der Zeitarbeit und der Einsatzbranche gefragt, an der Fortentwicklung von praxistauglichen Modellen mitzuwirken. Ob dies tatsächlich gelingt, bleibt abzuwarten.

Blick nach Berlin für 2018

Zudem dürfte sich der Blick nach Berlin richten. Nachdem die Sondierungsgespräche über eine sog. Jamaika-Koalition gescheitert sind, ist es nicht unwahrscheinlich, dass in der nächsten Legislaturperiode eine Große Koalition regieren wird. Sollte sich die SPD tatsächlich auf eine Fortsetzung des Bündnisses mit der Union einlassen, dürfte an einer Hand abzuzählen sein, dass der Preis dafür hoch sein wird.

Im Zweifel wird auch die von der SPD in deren Wahlprogramm geforderte fortgesetzte Regulierung der Zeitarbeit wieder ein Thema werden, das die Koalitionsverhandlungen prägen kann. Es steht daher zu befürchten, dass die der Zeitarbeit bereits in der letzten Legislatur angelegten „Daumenschrauben″ über die SPD noch enger gestellt werden. Dies wäre unter Berücksichtigung der erheblichen Bedeutung eines flexiblen Personaleinsatzes für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung in Deutschland alles andere als wünschenswert und im Zweifel höchst kontraproduktiv.

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