Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine Anti-Korruptionsrichtlinie veröffentlicht, der eine deutliche Erweiterung der Unternehmenshaftung vorsieht.
Mit einem im Mai 2023 veröffentlichten Vorschlag für eine Anti-Korruptionsrichtlinie (RL-E) möchte die EU-Kommission der starken Zersplitterung der Anti-Korruptionsvorschriften in den Mitgliedstaaten entgegenwirken und den relevanten Rechtsrahmen innerhalb der EU harmonisieren.
Kommission plant Vereinheitlichung der Anti-Korruptionsvorschriften in der EU
Neben neuen Anforderungen an Strafverfolgungsbehörden würde eine Umsetzung des aktuellen RL-E zu einer Reihe Änderungen im materiellen und prozessualen Strafrecht führen. Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Richtlinienumsetzung zu einer Erweiterung der Verantwortlichkeit von Unternehmen mit Sitz in Deutschland führen würde. Denn der RL-E sieht neben einem verschärften Sanktionskatalog auch die Haftung von Unternehmen für im Ausland begangene Korruptionstaten vor.
Erweiterung der deutschen Anti-Korruptionsvorschriften
Der RL-E macht in Art. 7 und 8 umfassende Vorgaben für die Begehungsformen der Korruption im öffentlichen sowie privaten Sektor, die insbesondere die Höchststrafen für die Bestechung und Bestechlichkeit im öffentlichen und privaten Sektor nach deutschem Strafrecht anheben würden. Daneben sieht der RL-E Straftatbestände wie die Mandatsträgerbestechung, die Behinderung der Justiz, den Amtsmissbrauch im öffentlichen und privaten Sektor sowie die Bereicherung durch Korruptionsdelikte durch öffentliche Bedienstete vor, die zu einigen Anpassungen im deutschen Strafrecht führen würden.
Neu ins deutsche Strafrecht eingefügt werden müsste die sog. „unerlaubte Einflussnahme“ nach Art. 10 RL-E. Hintergrund der Regelung dürfte sein, dass Schmiergeldzahlungen insbesondere im internationalen Kontext nicht selten über gut vernetzte Mittelsmänner* (sog. Korruptionsmakler) abgewickelt werden oder im Umfeld des Amts- oder Mandatsträgers erfolgen. Von Art. 10 RL-E erfasst werden soll ein Sachverhalt, in dem eine Person (die Geberseite) einem Mittelsmann (der Nehmerseite) einen Vorteil (z.B. Zahlung von Geld) als Gegenleistung dafür verspricht oder zukommen lässt, dass der Nehmer seinen echten oder vermeintlichen Einfluss auf einen Amts- oder Mandatsträger ausübt, um von diesem einen ungerechtfertigten Vorteil (z.B. die Erteilung eines öffentlichen Auftrags) zu erhalten.
Einsetzung einer spezialisierten Stelle in Deutschland
Zu größerem behördlichen Umsetzungsbedarf in Deutschland dürfte die in Art. 4 Abs. 1 RL-E vorgesehene Pflicht führen, eine unabhängige, auf Korruptionsprävention spezialisierte Organisationseinheit einzusetzen. Denn Deutschland verfügt im Unterschied zu vielen anderen Staaten nicht über eine auf Korruptionsprävention spezialisierte und unabhängige Stelle.
Verschärfter Sanktionsrahmen für juristische Personen
Deutliche Änderungen würde das deutsche Recht auch bei der Umsetzung der Vorgaben des RL-E zur Verbandshaftung und -sanktionierung erfahren. Art. 16 RL-E verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei einschlägigen Korruptionsstraftaten die Möglichkeit vorzusehen, Sanktionen gegen juristische Personen zu verhängen. Die vorgesehene Sanktionsmöglichkeit gegen juristische Personen muss gem. Art. 16 Abs. 1 RL-E zunächst immer dann gegeben sein, wenn die Straftat durch eine Führungsposition zugunsten der juristischen Person begangen wurde. Eine Führungsposition wird nach Art. 16 Abs. 1 RL-E durch die Befugnis zur Vertretung des Verbandes, der Befugnis, Entscheidungen im Namen des Verbandes zu treffen, oder einer Kontrollbefugnis innerhalb des Verbandes begründet. Darüber hinaus sieht Art. 16 Abs. 2 RL-E eine Sanktionierung der juristischen Person auch bei Aufsichtsversagen einer Führungsperson vor, sofern dadurch die Begehung einer Straftat nach den Art. 7 bis 14 RL-E zugunsten der juristischen Person ermöglicht wurde. Diese Vorgaben entsprechen bereits weitestgehend dem Regelungskonzept in §§ 30, 130 OWiG.
Bisher nicht vom deutschen Recht abgedeckt sind allerdings mehrere der in Art. 17 Abs. 2 RL-E genannten Sanktionen für juristische Personen. Dazu zählt etwa eine Geldstrafe oder Geldbuße i. H. v. bis zu 5 % des weltweiten Gesamtumsatzes (einschließlich verbundener Unternehmen) oder die Möglichkeit, die juristische Person unter richterliche Aufsicht (Monitor) zu stellen. Das Sanktionsinstrument des Monitors ist im deutschen Recht unbekannt und umsatzbezogene Bußgeldobergrenzen finden sich bisher nur in spezialgesetzlichen Vorschriften, nicht aber im OWiG.
Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Auslandstaten
Auch die Vorgaben in Art. 20 RL-E zur gerichtlichen Zuständigkeit würden bei entsprechender Umsetzung zu einer deutlichen Erweiterung der Haftungsrisiken für international agierende Unternehmen mit Sitz in Deutschland führen.
Den Ton setzt Erwägungsgrund 26 des RL-E, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, dass die gerichtliche Zuständigkeit auch in Fällen begründet wird, in denen eine Straftat mithilfe eines in ihrem Hoheitsgebiet verwendeten Informationssystems begangen wird, unabhängig davon, ob sich diese Technologie in ihrem Hoheitsgebiet befindet. Unweigerlich erinnert dieses Kriterium an den sehr weiten Anwendungsbereich des Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), wonach E-Mail-Kommunikation über US-Server bereits als den Anwendungsbereich eröffnende „domestic concerns“ angesehen wird. Allerdings findet sich dieser sehr vage Anknüpfungspunkt für eine Gerichtsbarkeit in Erwägungsgrund 26 des RL-E in keinem Artikel der RL-E wieder.
Dennoch sieht der RL-E eine deutliche Ausweitung der Gerichtsbarkeit für von ihm erfasste Straftaten vor. Aus Sicht der Corporate Compliance ist Art. 20 Abs. 1 lit. c) RL-E hervorzuheben, der bei entsprechender Umsetzung Fälle der deutschen Gerichtsbarkeit unterwerfen würde, in denen die Tat zugunsten einer im deutschen Hoheitsgebiet niedergelassenen juristischen Person begangen wurde, unabhängig davon, wo die Tat erfolgte oder welche Nationalität der oder die Täter besitzen. Damit wäre es nach dem RL-E grundsätzlich möglich, juristische Personen mit Sitz in Deutschland für Korruptionstaten zu sanktionieren, die zu ihren Gunsten im Ausland begangen wurden, was nach aktuellem deutschen Recht nicht möglich ist.
Compliance-Programm und Aufklärungsmaßnahmen als mildernde Umstände
Schließlich sieht Art. 18 Abs. 2 lit. b) und c) RL-E einige mildernde Umstände im Rahmen der Sanktionierung von juristischen Personen vor. So sollen vorhandene Compliance-Programme sowie bei Entdeckung von Korruptionsstraftaten eine rechtzeitige Anzeige bei den Behörden sowie die Durchführung von Abhilfemaßnahmen als strafmildernde Faktoren berücksichtigt werden. In Deutschland finden sich entsprechende Regelungen aktuell nur in Spezialgesetzen wie Art. 24 Abs. 4 Nr. 7 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Jedoch hat die Rechtsprechung eine strafmildernde Wirkung von effektiven Compliance-Programmen bereits bestätigt. In der Praxis werden zudem aktive Aufklärungs- und Abhilfemaßnahmen durch betroffene Unternehmen im Rahmen von internen Untersuchungen von den Strafverfolgungsbehörden in der Regel strafmildernd berücksichtigt.
Fazit: Einführung eines Unternehmensstrafrechts?
Die Vorgaben des RL-E würden das deutsche Korruptionsstrafrecht und seine Anwendbarkeit auf Unternehmen mit Sitz in Deutschland deutlich erweitern. Unzweifelhaft ist in den einzelnen Regelungsvorschlägen insb. zur Anwendbarkeit, zur Unternehmenshaftung und -sanktionierung aber auch zu den mildernden Umständen der Wille zur Annäherung des europäischen Anti-Korruptionsrechts an die anglo-amerikanischen Anti-Korruptionsregime des UK Bribery Act und des US-amerikanische FCPA zu erkennen.
In Deutschland könnte die gestoppte Einführung eines Unternehmensstrafrechts durch den RL-E wieder an Fahrt aufnehmen, wobei der RL-E selbst ausdrücklich klarstellt, dass die gegen juristische Personen zu verhängenden Sanktionen und Maßnahmen nicht zwangsläufig strafrechtlicher Natur sein müssen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.