11. Januar 2023
Zugang E-Mail Willenserklärung Server
Commercial

Aktuelle Urteile zum Zeitpunkt des Zugangs von E-Mails

Der BGH bejaht den Zugang bereits bei Speicherung auf dem Mailserver des Empfängers während der üblichen Geschäftszeiten. Es bleiben aber noch Fragen.

In der Entscheidung des BGH (Urteil v. 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21) ging es um die Frage, ob die Parteien nach einer Auseinandersetzung über eine Werklohnforderung einen wirksamen Vergleichsvertrag geschlossen hatten. Die Klägerin machte der Beklagten an einem Freitag per E-Mail um 9:19 Uhr zunächst ein Vergleichsangebot, erklärte dann aber keine 45 Minuten später in einer weiteren E-Mail um 9:56 Uhr, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe noch nicht erfolgt sei und die erste E-Mail unberücksichtigt bleiben müsse. 

Der BGH entschied, dass zwischen den Parteien ein wirksamer Vergleichsvertrag nach § 779 BGB zustande gekommen sei. Die Klägerin habe der Beklagten mit ihrer E-Mail von 9:19 Uhr ein wirksames Angebot auf den Abschluss eines Vergleichsvertrages unterbreitet, das die Beklagte konkludent durch Zahlung angenommen habe.

Zugang ausschlaggebend für die Wirksamkeit von Willenserklärungen

Für die Beurteilung der Wirksamkeit des Vertragsschlusses kam es auf die Frage an, ob das mit der E-Mail von 9:19 Uhr erklärte Angebot der Klägerin wirksam war oder durch die zweite E-Mail von 9:56 Uhr widerrufen wurde. Wirksam ist solch ein Widerruf jedoch nur, wenn er dem Empfänger* vor oder gleichzeitig mit der Willenserklärung zugeht. Entscheidend war daher, ob das in der ersten E‑Mail enthaltene Angebot der Beklagten bereits wirksam zugegangen war, als die Klägerin mit der zweiten E-Mail den Widerruf erklärte.

Voraussetzungen des Zugangs sind Ausdruck einer Risikoverteilung

Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden (wozu auch E-Mails gehören) setzt nach der ständigen Rechtsprechung voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Diese Definition ist Ausdruck einer Verteilung der von dem Erklärenden und dem Empfänger zu tragenden Risiken.

Der Erklärende soll das „Risiko des Weges“, also das Risiko, dass seine Erklärung den Machtbereich des Empfängers – aus welchen Gründen auch immer – nicht erreicht, tragen, da der Empfänger keinen Einfluss darauf nehmen kann, ob der Erklärende einen sicheren und zielführenden Kommunikationsweg gewählt hat. Mit dem Übergang der Erklärung in den Machtbereich des Empfängers verschiebt sich das „Risiko der Kenntnisnahme“ zu dessen Lasten. Denn der Erklärende soll wiederum nicht für Risiken geradestehen müssen, die er selbst nicht beeinflussen kann, weil er nicht in den Machtbereich des Empfängers eingreifen kann. Aus diesem Grund stellt die Rechtsprechung gerade nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger ab. Wann der Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme im Einzelfall erhält, bestimmt sich anhand der Verkehrsanschauung und kann nicht für sämtliche unterschiedlichen Kommunikationswege pauschal festgelegt werden. 

Überträgt man diese allgemeinen Zugangsvoraussetzungen auf den E-Mail-Verkehr, stellt sich sowohl die Frage, worin hier der „Machtbereich“ des Empfängers liegt, als auch, wann dieser üblicherweise die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.

Mailserver des Empfängers gilt als dessen „Machtbereich“

Der denkbar späteste Zeitpunkt des Zugangs läge vor, wenn als „Machtbereich“ erst das Empfangsgerät des Empfängers anzusehen wäre. Dies würde bedeuten, dass eine E-Mail erst mit Speicherung auf dem Gerät zuginge. Da wohl die meisten Empfänger von E-Mails diese überhaupt nicht auf dem Empfangsgerät abspeichern, spricht mehr dafür, an den Zeitpunkt anzuknüpfen, in dem die E‑Mail im elektronischen Postfach des Empfängers angezeigt wird. Der BGH hat in seiner Entscheidung jedoch auf den frühestmöglichen Zeitpunkt abgestellt: Es komme für den Zugang einer E-Mail darauf an, dass diese auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt werde. Als „Machtbereich“ könne der Mailserver des Empfängers jedoch nur dann angesehen werden, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen. 

Möglichkeit der Kenntnisnahme im unternehmerischen Geschäftsverkehr schon mit Speicherung auf Mailserver des Empfängers innerhalb der üblichen Geschäftszeiten

Wann der Empfänger einer im unternehmerischen Geschäftsverkehr versandten E-Mail grds. erstmals die Möglichkeit erlangt, von der E-Mail Kenntnis zu nehmen, wurde in der Vergangenheit in der Rechtsprechung und Literatur hitzig debattiert. Der BGH hat die Streitfrage in der zugrundeliegenden Entscheidung nicht abschließend in Form eines Obiter Dictum geklärt, sondern lediglich eine fallbezogene Antwort erteilt: Eine Möglichkeit der Kenntnisnahme des Empfängers bestehe jedenfalls dann, wenn die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr unstreitig innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt werde. In diesem Zeitpunkt gehe die Erklärung dem Empfänger zu. 

Dies begründet der BGH mit dem technischen Ablauf des E-Mail-Versandes: Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails würden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet, worüber der Empfänger unterrichtet werde. In diesem Zeitpunkt sei der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.

Nach diesen Grundsätzen kam der Widerruf der Klägerin in der E-Mail um 9:56 Uhr zu spät. Denn das in der E-Mail von 9:19 Uhr enthaltene Angebot der Klägerin war unstreitig an einem Werktag innerhalb der üblichen Geschäftszeiten bereits im elektronischen Postfach der Beklagten gespeichert worden und damit zu diesem Zeitpunkt zugegangen. Es kam dem BGH dabei nicht darauf an, in welcher zeitlichen Abfolge die Beklagte die beiden E-Mails abgerufen hatte. Denn wie er ausdrücklich klarstellte, sei es für den Zugang nicht erforderlich, dass die E-Mail vom Empfänger tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen werde. 

OLG Hamm stellte noch auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme ab

Damit widersprach der BGH einer kurz zuvor ergangenen Entscheidung des OLG Hamm, das sich ebenfalls mit der Frage des wirksamen Zugangs einer elektronisch verschickten Willenserklärung auseinanderzusetzen hatte. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurde ein Internetversandhändler von dem (ihm bislang unbekannten) Rechtsanwalt eines Wettbewerbers abgemahnt. Das Abmahnschreiben selbst befand sich in dem PDF-Anhang einer E-Mail, die den Dateinamen „2020000067EU12984.pdf“ trug. Die E-Mail enthielt in der Betreffzeile lediglich ein Aktenzeichen und verwies im Textfeld ohne weiteren konkreten Bezug zum Sachverhalt auf den Anhang. Im Verfahren versicherte der abgemahnte Händler eidesstattlich, von der E-Mail keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang nicht geöffnet zu haben. Er könne nicht ausschließen, dass die E-Mail im Spam-Ordner seines E‑Mail-Postfaches eingegangen und zwischenzeitlich automatisch gelöscht worden sei. 

Das OLG Hamm lehnte einen wirksamen Zugang des Abmahnschreibens ab. Da wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt werde, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, habe von dem Empfänger im vorliegenden Fall nicht verlangt werden können, den Dateianhang zu öffnen. Es komme daher auch nicht auf die Klärung der Streitfrage an, ob die E-Mail überhaupt im E-Mail-Postfach des Empfängers (dort möglicherweise im Spam-Ordner) eingegangen sei. 

Mit dieser Argumentation differenzierte das OLG Hamm implizit zwischen den Voraussetzungen, die an den Zugang des E-Mail-Textes gestellt werden, und denen eines mit der E-Mail verschickten Anhangs. Jedenfalls für Willenserklärungen, die lediglich als Dateianhang einer E-Mail versandt würden, komme es für den Zugang auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers durch Öffnung des Anhangs an.

BGH differenziert nicht zwischen E-Mail-Text und E-Mail-Anhang

Offen ist, ob die vom OLG Hamm vorgenommene Abgrenzung zwischen dem Zugang eines E-Mail-Textes und dem Zugang eines E-Mail-Anhangs angesichts der neuen BGH-Entscheidung ihre Bedeutung verliert.

Dagegen spricht, dass es sich bei dem BGH-Fall um eine Willenserklärung handelte, die im E-Mail-Text selbst enthalten war. Der BGH hatte daher nicht über die Frage des Zugangs von im E-Mail-Anhang enthaltenen Erklärungen zu entscheiden. Auch spricht gegen eine Übertragbarkeit der vom BGH aufgestellten Grundsätze, dass der BGH die Rechtsfrage absichtlich nicht umfassend, sondern lediglich fallbezogen entschieden hat. Ferner hat der BGH die OLG-Hamm-Entscheidung bei seiner Wiedergabe des bisherigen Streitstandes zum Zugang von Willenserklärungen in E-Mails nicht zitiert, was ebenfalls dafürsprechen kann, dass das Gericht von unterschiedlichen Rechtsfragen ausging. 

Für den Bedeutungsverlust der vom OLG Hamm vorgenommenen Abgrenzung spricht hingegen, dass der BGH zur Begründung seiner Entscheidung den technischen Vorgang des E-Mail-Versandes herangezogen hat, der für E-Mail-Text und E-Mail-Anhang identisch ist. Sowohl Text als auch Anhang gelangen nach der BGH-Auffassung als das Gesamtprodukt „E-Mail“ bereits mit dem Eingang auf dem Mailserver des Empfängers in dessen Machtbereich, sodass es auf das vom OLG Hamm zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Virenrisiko gar nicht mehr ankommt. Denn nach der BGH-Auffassung ist es für den Zugang einer E-Mail irrelevant, ob und in welchem Ordner („Posteingang“ oder „Spam“) die E-Mail einsortiert wird und welches Virenrisiko mit der E-Mail einhergeht.

Ob der BGH seine neue Rechtsprechung in Zukunft auch auf E-Mail-Anhänge anwenden wird, bleibt abzuwarten. 

Willenserklärungen per E-Mail bleiben eine Unwägbarkeit für beide Parteien

Das Versenden von Willenserklärungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr dürfte auch nach dem BGH-Urteil weiterhin für Erklärenden wie Empfänger risikobehaftet sein. Da der BGH nur den zugrundeliegenden Fall entschieden hat, kann der Zugang fortan mit Sicherheit nur bestimmt werden, wenn eine Willenserklärung

  1. im unternehmerischen Geschäftsverkehr
  2. in dem Text einer E-Mail verschickt wird,
  3. die E-Mail unstreitig auf dem Mailserver des Empfängers eingegangen und
  4. dies innerhalb der üblichen Geschäftszeiten geschehen ist. 

Es verbleiben einige ungeklärte Rechtsfragen, etwa die Fragen, ob der „unternehmerische Geschäftsverkehr“ auch die C2B-Kommunikation erfasst und was außerhalb des unternehmerischen Geschäftsverkehrs (im B2C- und C2C-Bereich) gilt. Zudem ist offen, wann die erstmalige Kenntnisnahmemöglichkeit bei einem Eingang der E-Mail außerhalb der üblichen Geschäftszeiten (am Wochenende / an Feiertagen) besteht. Praktisch relevant ist auch, wie sich die „üblichen Geschäftszeiten“ bestimmen (zählt etwa ein bundeslandspezifischer Feiertag als „übliche Geschäftszeit“ bei dem Versand einer E-Mail aus einem anderen Bundesland?). Auch die bereits erörterte Frage nach dem Zugang von E‑Mail-Anhängen bleibt unbeantwortet.

Insgesamt stellt sich die neue BGH-Rechtsprechung zwar materiell-rechtlich als günstig für den Erklärenden dar, bannt jedoch nicht dessen prozessrechtliches Beweisrisiko, wenn der Empfänger bestreitet, dass die E-Mail seinen Mailserver erreicht hat. In diesem Fall ist der notwendige Nachweis (wie in vielen Gerichtsverfahren zum Leidwesen der Erklärenden festgestellt wurde) technisch schwierig, da es nicht reicht, dass der Erklärende die wirksame Abgabe der Erklärung nachweist. Denn das reine Absenden begründet aufgrund der Manipulationsgefahr von E-Mail-Protokollen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Zugang. Ebenfalls unzulänglich ist der bloße Nachweis des unterbliebenen Erhalts einer Nichtzustellbarkeits-Benachrichtigung. Auch genügt es nicht, dass die E-Mail im E-Mail-Programm des Erklärenden in dem Ordner „Gesendete Nachrichten“ angezeigt wird. Für den Zugang besteht zwar ein Anscheinsbeweis, sofern sich der Erklärende den Erhalt der E-Mail vom Empfänger (etwa durch Anforderung einer Lesebestätigung) hat bestätigen lassen. Die Abgabe einer solchen Bestätigung kann der Empfänger jedoch verweigern. In diesem Fall kann der Beweis (nur) durch die Dokumentation der Protokolle des Postausgangsservers des Erklärenden geführt werden. Findet sich darin eine Bestätigung des Posteingangsservers des Empfängers hinsichtlich des Erhalts der E-Mail (Statuscode bei SMT-Protokoll: 250; erweiterter Statuscode: 2.0.0), kann der Übergang der E-Mail in den fremden Machtbereich bewiesen werden. Jedoch ist Eile geboten, da die Protokolle für gewöhnlich nach 90 Tagen automatisch gelöscht werden.

Auswirkung der Risikoverteilung auf die Praxis

Der Erklärende trägt auch im E-Mail-Verkehr materiell-rechtlich das „Risiko des Weges“: Er muss sicherstellen, dass der designierte Empfänger seine E-Mail-Adresse dem Geschäftsverkehr hinreichend kommuniziert (und damit überhaupt einen „elektronischen Briefkasten“ eröffnet) hat. Ferner darf er sich bei der Eingabe der E-Mail-Adresse nicht vertippen. Letztlich gehen auch (praktisch wohl sehr selten vorkommende) technische Fehler zu Lasten des Erklärenden, falls die E-Mail den Mailserver des Empfängers nicht erreicht. 

Für den Erklärenden gilt, dass er wichtige Willenserklärungen – insbesondere beim Erstkontakt mit einer neuen E-Mail-Adresse – nicht (nur) als Anhang, sondern (auch) im E-Mail-Text selbst schicken sollte. Jedenfalls sollte eine aussagekräftige, sachverhaltsbezogene Betreff- und Dateibezeichnung gewählt werden, um den Eindruck zu vermeiden, es könne sich bei der E-Mail um Spam handeln. Der Erklärende sollte sich den Empfang seiner E-Mail zudem bestenfalls vom Empfänger bestätigen lassen. Kommt der Empfänger dieser Bitte nicht nach, sollte der Erklärende bei wichtigen Willenserklärungen innerhalb von 90 Tagen nach Versand anhand des Protokolls des Postausgangsservers den Zugang der E-Mail auf dem Empfängerserver dokumentieren.

Der Empfänger trägt auch im E-Mail-Verkehr das „Risiko der Kenntnisnahme“. Wenn er durch die Veröffentlichung seiner E-Mail-Adresse einen „elektronischen Briefkasten“ eröffnet hat, trägt er das Risiko, wichtige in dem Briefkasten enthaltene Erklärungen – etwa aufgrund seltener Kontrolle – erst zu spät zu bemerken. Auch trägt der Empfänger das Risiko, dass eine bereits auf seinem Mailserver gespeicherte E-Mail aufgrund technischer Fehler des Mailprogramms gar nicht, inkorrekt oder im falschen Ordner angezeigt wird.

Für den Empfänger gilt, dass er seine E-Mail-Adresse nur dann nach außen kommunizieren sollte, wenn er diese auch regelmäßig auf Neueingänge kontrolliert. Unternehmer sollten während der üblichen Geschäftszeiten mehrfach nicht nur den Posteingang, sondern auch den Spam-Ordner kontrollieren. Bleibt der angekündigte/erwartete Empfang einer wichtigen E-Mail aus, sollte der Empfänger bei dem Erklärenden nach dem Verbleib der E-Mail fragen. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Anhang E-Mail Willenserklärung Zugang