10. September 2021
ECT-Schiedsklausel Energiechartervertrag
Dispute Resolution

EuGH: ECT-Schiedsklausel in Intra-EU Verfahren nicht anwendbar

Der EuGH überträgt Grundsätze seiner Achmea-Entscheidung auf den Energiechartervertrag und erklärt dessen Schiedsklausel in Intra-EU Verfahren für unanwendbar.

Am 2. September 2021 hat sich der EuGH in der Sache Republik Moldau gegen Komstroy LLC erstmals zur Vereinbarkeit der Schiedsklausel des Energiechartervertrags (ECT) mit dem Unionsrecht geäußert (Rechtssache C-741/19). Dem Gerichtshof zufolge ist die Schiedsklausel des ECT auf Streitigkeiten zwischen einem EU-Mitgliedstaat und einem Investor aus einem anderen EU-Mitgliedstaat (sog. Intra-EU Streitigkeiten) nicht anwendbar. 

Nachdem der EuGH im Jahr 2018 in der Sache Achmea (Rechtssache C-284/16) bereits eine vergleichbare Entscheidung für Streitigkeiten auf Grundlage von bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedsstaaten (sog. Intra-EU BITs) erlassen hatte, war eine Entscheidung des EuGH zur Schiedsklausel des ECT seit Längerem erwartet worden. Dass diese Entscheidung nun in Form eines obiter dictum in einem Rechtsstreit zwischen einem Drittstaat (der Republik Moldau) und einem Investor aus einem weiteren Drittstaat (der ukrainischen Gesellschaft Komstroy LLC) erging – für den die Anwendbarkeit in Intra-EU Streitigkeiten keinerlei Bedeutung hat –, ist jedoch durchaus bemerkenswert.

Ausgangsverfahren betraf Aufhebung eines Schiedsspruchs gegen Drittstaat

Anlass für die Entscheidung des EuGH war ein Vorabentscheidungsersuchen des Pariser Berufungsgerichts. Vor dem Berufungsgericht machte Moldau geltend, ein das Land zum Schadensersatz verurteilender Schiedsspruch sei aufzuheben, da das ad hoc Schiedsgericht mit Sitz in Paris das Vorliegen einer „Investition“ und damit auch seine Zuständigkeit nach dem ECT zu Unrecht bejaht habe. 

In dem zugrunde liegenden Schiedsverfahren zwischen der Rechtsvorgängerin von Komstroy und Moldau ging es um eine an die Klägerin abgetretene Geldforderung aus einem grenzüberschreitenden Stromlieferungsvertrag, die sich gegen ein öffentliches Unternehmen einer anderen Vertragspartei des ECT (Moldau) richtete. In einer Mehrheitsentscheidung der beiden beisitzenden Schiedsrichter bejahte das Schiedsgericht im Oktober 2013 das Vorliegen einer „Investition“ im Sinne des Artikels 1 Nr. 6 ECT. Die Definition sei unter dem ECT bewusst weiter gefasst als in anderen Investitionsschutzverträgen. Die in der Rechtsprechung zur ICSID-Konvention entwickelten Kriterien, die das Vorliegen einer Investition unter anderem an einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gaststaates knüpfen, seien daher nicht auf den ECT übertragbar.

Im April 2016 hatte das Pariser Berufungsgericht den Schiedsspruch zunächst mit der Begründung aufgehoben, dass auch unter dem ECT eine Investition einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gaststaates voraussetze und es daran bei einer bloßen Geldforderung aus einem Stromlieferungsvertrag fehle. Diese Entscheidung des Pariser Berufungsgerichts hob der französische Kassationsgerichtshof im März 2018 auf, da sich eine solche zusätzliche Voraussetzung dem Wortlaut des ECT nicht entnehmen lasse. Das Pariser Berufungsgericht ersuchte daraufhin den EuGH unter anderem um Beantwortung der Frage, ob Artikel 1 Nr. 6 ECT dahin auszulegen ist, dass eine Forderung aus einem Stromlieferungsvertrag, der nicht zu einem Beitrag des Investors im Empfangsstaat geführt hat, eine „Investition“ im Sinne dieses Artikels darstellen kann.

EuGH erklärt sich allein aufgrund des französischen Schiedsorts für zuständig

Obwohl der Rechtsstreit – abgesehen vom Schiedsort Paris – keine Verbindung zur EU aufwies, erklärte sich der EuGH für die Beantwortung dieser Vorlagefrage für zuständig. 

Dem EuGH zufolge genügt es dafür, dass es sich bei dem ECT um ein (auch) von der EU geschlossenes Abkommen handelt, das damit Bestandteil der Unionsrechtsordnung bildet und für dessen Auslegung der EuGH zuständig ist. Dass sich im Ausgangsverfahren ein Investor aus einem Drittstaat und ein anderer Drittstaat gegenüberstehen, stehe dem nicht entgegen: Zum einen bestehe ein Interesse der EU an einer einheitlichen Auslegung des ECT, da sich solche Auslegungsfragen auch in künftigen Streitigkeiten zwischen einem Investor aus Drittstaaten und einem Mitgliedstaat stellen könnten. Zum anderen hätten sich die Parteien auf den Schiedsort Paris geeinigt, wodurch französisches Schiedsverfahrensrecht, zu dem auch das Unionsrecht zähle, Anwendung finde.

EuGH äußert sich in obiter dictum zu Intra-EU-Schiedsverfahren

Ohne nähere Begründung prüfte der EuGH anschließend die Frage, ob Intra-EU Streitigkeiten in den Anwendungsbereich der Schiedsklausel in Artikel 26 ECT fallen. Diese Frage war für das Verfahren zwischen der ukrainischen Komstroy und Moldau nicht entscheidungserheblich und daher auch nicht Gegenstand des Vorlageersuchens. Der EuGH sah sich jedoch zu der Klarstellung veranlasst, dass aus seiner Zuständigkeit für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht abgeleitet werden könne, dass die Schiedsklausel des ECT auch auf eine Intra-EU Streitigkeit anzuwenden ist.

Unter Verweis auf seine Achmea-Entscheidung sowie sein Gutachten zur Vereinbarkeit des Streitbeilegungsmechanismus des CETA-Abkommens mit dem Unionsrecht (Gutachten 1/17) betonte der EuGH, dass das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 267 AEUV zur Gewährleistung der Kohärenz und Einheitlichkeit der Auslegung des Unionsrechts von wesentlicher Bedeutung ist.

Wie in Achmea kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass ein nach Artikel 26 Abs. 4 ECT ad hoc konstituiertes Schiedsgericht kein Gericht eines Mitgliedsstaats und daher auch nicht zur Vorlage an den EuGH berechtigt sei.

Auch die eingeschränkte Überprüfung des Schiedsspruchs (und Vorlagemöglichkeit an den EuGH) durch die mitgliedstaatlichen Gerichte im Rahmen des Aufhebungsverfahrens sei nicht geeignet, die umfassende Einhaltung des Unionsrechts sicherzustellen. Unter Verweis auf Achmea betonte der EuGH erneut, dass der von ihm für Handelsschiedsverfahren anerkannte Grundsatz, dass Schiedssprüche durch die mitgliedstaatlichen Gerichte nur in beschränktem Umfang überprüft werden, nicht auf Schiedsverfahren zwischen Investoren und Mitgliedstaaten übertragen werden könne. Ein internationales Übereinkommen, das solche Streitigkeiten dem Gerichtssystem der Union entzieht, ohne die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, sei mit den EU-Verträgen unvereinbar.

Insofern besteht dem EuGH zufolge kein Unterschied zwischen einem bilateralen Investitionsschutzabkommen, wie es der EuGH in Achmea vorliegen hatte, und dem multilateralen ECT, der die Rechtsbeziehungen zwischen zwei Vertragsparteien – so der EuGH – in ähnlicher Weise wie ein bilaterales Abkommen regle. 

Auf dieser Grundlage gelangte der EuGH zu dem Schluss, dass die Schiedsklausel des ECT auf Intra-EU Streitigkeiten keine Anwendung findet.

EuGH verneint Investition bei bloßen Lieferverträgen 

Nach seinem obiter dictum wandte sich der EuGH der eigentlichen Vorlagefrage zu und hielt mit knapper Begründung fest, dass es sich bei einer Geldforderung aus einem Stromlieferungsvertrag nur dann um eine Investition im Sinne von Artikel 1 Nr. 6 lit. c ECT handelt, wenn der zugrunde liegende Vertrag mit einer Investition zusammenhängt. 

Bei einem reinen Liefervertrag sei diese Bedingung nicht erfüllt: Es handele sich um eine geschäftliche Transaktion, die als solche noch keine Investition darstelle, und zwar ohne dass es dafür auf die Frage eines Beitrags zur wirtschaftlichen Entwicklung ankomme. Denn anderenfalls verlöre die im ECT zwischen den Kapiteln über Handel (Teil II) und Investitionen (Teil III) vorgenommene Unterscheidung ihre Wirksamkeit.

Auswirkungen auf laufende Intra-EU Schiedsverfahren ungewiss

Die Komstroy-Entscheidung des EuGH könnte den bereits laufenden Verhandlungen über eine Modernisierung des ECT und dessen Streitbeilegungsmechanismus Aufwind geben. Im Juli 2021 fand dazu die sechste Verhandlungsrunde der ECT-Vertragsparteien statt. Bereits im Oktober 2020 hat die EU-Kommission einen Reformvorschlag für den ECT vorgelegt. Zur Frage, ob die Schiedsklausel im Entwurf der EU-Kommission auch Intra-EU Schiedsverfahren zulässt und ob sie in diesem Fall mit dem Unionsrecht vereinbar ist, hat Belgien ein Gutachtenverfahren beim EuGH eingeleitet (Gutachten 1/20), das aktuell noch anhängig ist. Über die ECT-Verhandlungen hinaus dürfte auch die Diskussion über die von der EU-Kommission angestrebte Einführung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs durch die Komstroy-Entscheidung neuen Vorschub erhalten. 

Doch was bedeutet die Komstroy-Entscheidung für bereits laufende Intra-EU Verfahren nach dem ECT? 

Ob und wie sich die Entscheidung auf die Rechtsprechung der Schiedsgerichte auswirken wird, bleibt abzuwarten. Auf Grundlage der Achmea-Zuständigkeitsrüge hat bisher noch kein einziges Schiedsgericht seine Zuständigkeit nach dem ECT abgelehnt.

Für Aufhebungsverfahren hängt die Relevanz der Komstroy-Entscheidung maßgeblich vom Schiedsort ab: Der EuGH stellt in seiner Begründung entscheidend darauf ab, dass die Parteien ein ad hoc Schiedsverfahren mit Sitz in Paris gewählt haben, was zur Anwendung französischen Schiedsverfahrensrechts (und mittelbar zur Anwendung des Unionsrechts) geführt habe. Für Schiedsverfahren mit Sitz außerhalb der EU und für ICSID-Schiedsverfahren trägt diese Begründung nicht. In Aufhebungsverfahren in Drittstaaten oder nach der ICSID-Konvention kommt eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht; Gerichte außerhalb der EU und Ad-hoc Komitees nach der ICSID Konvention sind auch an die Rechtsprechung des EuGH nicht gebunden. 

Unabhängig vom Sitz dürfte künftig noch entscheidender sein, ob es Vollstreckungsmöglichkeiten außerhalb der EU gibt. Innerhalb der EU dürften sich mitgliedstaatliche Gerichte schwertun, einen ECT-Schiedsspruch über eine Intra-EU Streitigkeit anzuerkennen und zu vollstrecken. Etwas anderes gilt womöglich für die Vollstreckung von ICSID-Schiedssprüchen, da für die nationalen Gerichte hier keine Möglichkeit zur Prüfung eines Verstoßes gegen den ordre public vorgesehen ist. Die ordre-public Prüfung bildete in den bislang entschiedenen Fällen das (einzige) Einfallstor für die Annahme eines Verstoßes gegen Unionsrecht. Aussichtsreicher bleibt in jedem Fall eine Vollstreckung außerhalb der EU.

Auch nach der Komstroy-Entscheidung des EuGH zum ECT bleiben zahlreiche Fragen offen. Die Diskussion über Intra-EU Schiedsverfahren und die Frage, wie es mit dem Investitionsschutz in der EU insgesamt weitergeht, geht in die nächste Runde. 

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