29. September 2016
Vergaberecht im Energiesektor
Energiewirtschaft & Klimaschutz Vergaberecht

Freistellung vom Vergaberecht im Energiesektor

Die EU-Kommission stellt Beschaffungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Strom und Gas an Letztverbraucher vom Vergaberecht frei.

Die EU-Kommission hat Auftraggeber bei Beschaffungen, die dem Vertrieb von Strom und Gas an Letztverbraucher dienen, mit Beschluss vom 15. September 2016 (2016/1674/EU) weitgehend vom Vergaberecht freigestellt.

Der Beschluss der EU-Kommission ist vor allem für öffentlich beherrschte Energieversorgungsunternehmen relevant. Sie betrifft Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB, die bei Erreichen des Schwellenwerts von derzeit 418.000,00 € zur Anwendung des GWB-Vergaberechts (§§ 97 ff. GWB) und der Sektorenverordnung (SektVO) verpflichtet sind und grundsätzlich ein wettbewerbliches Vergabeverfahren mit vorheriger europaweiter Bekanntmachung durchführen müssen. Diese Verpflichtung besteht nach dem Beschluss der EU-Kommission bezüglich der von dem Beschluss umfassten Tätigkeiten nicht mehr.

EU-Kommission gibt Antrag des BDEW statt

Die EU-Kommission hat damit einem Antrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) stattgegeben. Dieser hatte gemäß Art. 35 Sektorenrichtlinie (Richtlinie 2014/25/EU) und § 3 SektVO beantragt, vertriebsbezogene Beschaffungsvorgänge im Bereich des Strom- und Erdgaseinzelhandels in Deutschland vom Vergaberecht freizustellen.

Ein Antrag auf Freistellung bestimmter Tätigkeiten im Sektorenbereich vom Vergaberecht kann gestellt werden, wenn die Tätigkeiten unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt sind, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen. Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der EU-Kommission in Bezug auf den deutschen Strom- und Erdgaseinzelhandel weitgehend vor.

Weitgehende Freistellungen im Strom- und Gaseinzelhandel

Nach dem Beschluss der EU-Kommission sind Aufträge vom Vergaberecht freigestellt, die die Ausübung folgender Tätigkeiten ermöglichen sollen:

  • Stromeinzelhandel mit Kunden, deren Stromverbrauch durch Leistungsmessung erfasst wird (registrierende Leistungsmessung, sog. RLM-Kunden) sowie mit Kunden, deren Stromverbrauch aufgrund eines Standardlastprofils abgerechnet wird (sog. SLP-Kunden);
  • Erdgaseinzelhandel mit RLM- Kunden (Jahresverbrauch von mehr als 1,5 GWh) und SLP-Kunden (Jahresverbrauch bis zu 1,5 GWh);
  • Nicht erfasst ist der Handel mit Kunden, die nach den gesetzlichen Standardbedingungen (Grundversorgung) beliefert werden, sowie der Heizstrommarkt.

Beispiele für freigestellte Beschaffungsvorgänge

In Bezug auf die freigestellten Vertriebstätigkeiten unterliegen unter anderem folgende vertriebsbezogene Beschaffungsvorgänge nicht mehr dem Vergaberecht:

  • Callcenter-Leistungen;
  • IT-Dienstleistungen und Software, Portfolio-Managementsysteme;
  • Abrechnungsdienstleistungen;
  • Leistungen von Agenturen im Bereich Social Media, klassische Werbung, Corporate Design/Marketing;
  • Aufbau, Gestaltung und Betreuung von Messeeinrichtungen/Messeständen durch spezialisierte Agenturen;
  • Errichtung von Verwaltungsgebäuden für den Vertriebsbereich eines Energieversorgungsunternehmens, Errichtung eines Kundenservice-Gebäudes sowie alle damit zusammenhängenden Beschaffungen;
  • Leistungen von Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüferleistungen und CRM-Systemen.

Vorsicht bei gemischten Aufträgen

In der Praxis schwierig dürfte die Behandlung von gemischten Aufträgen sein, die sowohl vertriebsbezogene Tätigkeiten als auch nicht vertriebsbezogene Tätigkeiten betreffen. Nach dem Beschluss der EU-Kommission kommt es insoweit auf den Hauptgegenstand des Auftrags an. Liegt der Hauptgegenstand im freigestellten Bereich, findet das Vergaberecht keine Anwendung. Betrifft der Auftrag aber überwiegend nicht ausgenommene Tätigkeiten, ist das Vergaberecht anwendbar.

Anzuwenden ist das Vergaberecht außerdem dann, wenn sich nicht objektiv feststellen lässt, welche Tätigkeit Hauptgegenstand des Auftrags ist (vgl. Art. 6 Abs. 3 Sektorenrichtlinie). Auftraggeber sollten deshalb nur dann auf die Anwendung des Vergaberechts verzichten, wenn sich der Hauptgegenstand der Beschaffungstätigkeit klar bestimmen lässt und dieser – mit Ausnahme der nicht dem Beschluss der EU-Kommission unterliegenden Grundversorgung und des Heizstrommarktes – den Vertrieb von Strom oder Erdgas an Letztverbraucher betrifft.

Wirksamkeit mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger

Der Beschluss der EU-Kommission vom 15.09.2016 gilt für alle einschlägigen Beschaffungsvorgänge in Deutschland. Der Beschluss wird mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger wirksam (§ 3 Abs. 6 SektVO).

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