20. Juli 2017
M&A
Aktienrecht

Im Visier von Short Sellern? Typische Kriterien

Short Seller suchen sich ihre Angriffsziele nach ganz bestimmten Kriterien aus. Welche Kriterien dies typischerweise sind, erfahren Sie in diesem Beitrag.

In Deutschland nimmt das Phänomen zu, dass aggressive Leerverkäufer (sog. „Short Seller″) mit gezielten Angriffen auf börsennotierte Unternehmen deren Aktienkurs zum Absturz bringen (sog. „Short Attack„). Dies erfolgt in der Regel, indem sie negative Berichte über ihr Angriffsziel veröffentlichen. In 2016 haben Short Seller weltweit 220 Kampagnen gegen 193 Unternehmen gestartet.

Die Short Seller suchen sich ihre Angriffsziele nach bestimmten und typischen Kriterien aus. Sie versuchen Unternehmen zu identifizieren, bei denen sich am ehesten eine deutliche Verringerung des Börsenkurses erreichen lässt. Dabei sind vor allem zwei Aspekte wichtig: Wie groß ist die Angriffsfläche, die ein Unternehmen bietet? Und welche Möglichkeiten hat es, sich gegen eine Short Attack zu verteidigen?

Angriffsfläche für Short Seller – komplexes Geschäftsmodell und Wettbewerbsumfeld

Ein interessantes Angriffsziel von Short Sellern können beispielsweise Unternehmen sein, die ein komplexes Geschäftsmodell haben. Das zeigen die Attacken auf die Beteiligungsgesellschaft Aurelius oder den Zahlungsdienstleister Wirecard. Ist das Geschäftsmodell für Aktionäre oder Investoren schwer nachzuvollziehen, sind diese empfänglicher für die Behauptungen der Leerverkäufer und eher bereit, ihre Aktien zu verkaufen.

Je komplizierter das Geschäftsmodell ist, desto plausibler können auch unbegründete Vorwürfe und Behauptungen erscheinen. Das gilt umso mehr, wenn sich das Unternehmen in einem komplexen Wettbewerbsumfeld bewegt. Dort lassen sich leichter Behauptungen aufstellen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in Frage stellen.

Gesellschafts- und Aktionärsstruktur ebenfalls von Bedeutung

Weitere wichtige Kriterien für Short Seller sind die Unternehmens- und Aktionärsstruktur. Verschachtelte, weit – auch international – verzweigte Strukturen bieten eine größere Angriffsfläche.

Bei Holding-Strukturen lassen sich leichter Vorwürfe gegen regulatorische Bestimmungen, beispielsweise zur Geldwäsche, platzieren. Bestehen Geschäftsbeziehungen oder andere enge Verflechtungen mit Großaktionären könnten Short Seller fehlende Unabhängigkeit bzw. eine Bevorteilung des Großaktionärs zu Lasten der übrigen Aktionäre unterstellen.

Short Seller kritisieren oftmals Rechnungslegung und Finanzkennzahlen

Beliebter Gegenstand der Kritik von Short Sellern ist die Rechnungslegung von Unternehmen. Wird diese „kreativ″ betrieben, sind die Finanzkennzahlen gegebenenfalls zu optimistisch dargestellt oder sogar „frisiert″, bietet sich eine optimale Gelegenheit den Unternehmenswert und damit die Angemessenheit des Börsenkurses in Zweifel zu ziehen.

Erleichtert wird dies im Fall von starken Abweichungen der Finanzkennzahlen von denen der Wettbewerber oder einer niedrigen Eigenkapitalquote. Einen besonders geeigneten Angriffspunkt stellt es dar, wenn der Abschlussprüfer im Rahmen seiner Prüfung des Jahresabschlusses keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat.

Corporate Governance und Compliance

Auch erhebliche Abweichungen von anerkannten Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung, insbesondere dem Deutschen Corporate Governance Kodex, können Angriffspunkte bieten. Problematisch sind beispielsweise das Fehlen unabhängiger Mitglieder bzw. von Finanz- oder Sektorexpertise im Aufsichtsrat. Auch ein zu geringer Selbstbehalt der Vorstandsmitglieder im Rahmen der D&O-Versicherung oder fehlerhafte Anreize durch die Vorstandsvergütung sind kritisch. Ebenso dienen Compliance-Defizite den Short Sellern als Kriterium, etwa wenn das Unternehmen über keine angemessene Compliance-Organisation verfügt oder kapitalmarktrechtliche Meldepflichten nicht – oder nur verspätet – erfüllt werden.

Aktienkurs und Börsentransaktionen als Auswahlkriterium für Short Seller

Je steiler der Aktienkurs in den letzten Jahren gestiegen ist, d.h. je mehr Aktionäre zu deutlich niedrigeren Kursen eingestiegen sind, desto eher eignet sich ein Unternehmen als Angriffsziel der Short Seller. Die Aktionäre sind angesichts der erzielten Kursgewinne nämlich schneller bereit, ihre Aktien zu verkaufen.

Ebenfalls ein Kriterium von Short Sellern sind Kursgewinne, die „aus dem Nichts″ erzielt wurden, für die es aus Sicht des Kapitalmarkts also keine schlüssige Erklärung gibt. Auch umfangreiche Aktienverkäufe durch Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder (also potentielle „Insider″) steigern das Interesse der Short Seller, da sie negative Signalwirkung haben können. Begünstigt wird das Geschäft der Short Seller in Zeiten großer Volatilität an den Börsen oder erheblicher Unsicherheit im Hinblick auf politische bzw. gesamtwirtschaftliche Entwicklungen.

Short Seller analysieren die Verteidigungsfähigkeit

Auch die Verteidigungsmöglichkeiten eines Unternehmens werden von Short Sellern analysiert. So kann die Existenz eines Ankeraktionärs abschreckend sein: Solche Aktionäre haben in der Regel genaue Kenntnisse über ihr Unternehmen. Deshalb sind sie im Fall einer Short Attack oftmals eher bereit, ihre Aktien zu halten oder ihre Beteiligung sogar auszubauen.

Besteht ein Aktienrückkaufprogramm, kann das Unternehmen selbst eigene Aktien kaufen und den Kurs dadurch stabilisieren. Solange sie nicht über Insiderinformationen verfügen, können auch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder Aktien kaufen und damit ihr Vertrauen in das eigene Unternehmen zum Ausdruck bringen. In Einzelfällen kann auch eine Kapitalerhöhung durch Ausnutzung eines genehmigten Kapitals hilfreich sein, etwa wenn die Angriffe auf eine schwache Eigenkapitalausstattung des Unternehmens abzielen.

Risiko für eine Short Attack kalkulierbar

Short Attacks kommen nicht aus heiterem Himmel. Das Risiko, dass ein Unternehmen ins Visier von Short Sellern gerät, lässt sich einschätzen. Ob ein Unternehmen als potentielles Ziel in Frage kommt, hängt von verschiedenen typischen Kriterien ab, von denen einige wichtige hier dargestellt wurden. Um optimal auf einen möglichen Angriff eines Short Sellers vorbereitet zu sein, ist eine eingehende Risikoanalyse des Unternehmens erforderlich. Dabei sind Schwachstellen möglichst schon im Vorfeld einer Attacke zu identifizieren, zu gewichten und anschließend möglichst abzustellen.

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Tags: Leerverkauf Short Attack Short Seller