Der grenzüberschreitende Heraus-Formwechsel von Deutschland ins Ausland ist nicht gesetzlich geregelt, die Rechtslage unsicher. Erfahren Sie alles zur dazu ergangenen Rechtsprechung.
Die vorangegangenen Blogbeiträge zu unserer Blogreihe befassten sich mit dem identitätswahrenden, grenzüberschreitenden Formwechsel einer Gesellschaft aus dem EU-/EWR-Ausland in eine Gesellschaft deutscher Rechtform (Herein-Formwechsel). Dieser Beitrag hingegen behandelt den Formwechsel einer Gesellschaft deutscher Rechtsform in eine Gesellschaft der Rechtsform eines anderen EU-/EWR-Staats (Heraus-Formwechsel).
Als schwierig stellt sich dar, dass es an einer deutschen oder europäischen Normierung – ebenso wie beim Herein-Formwechsel – mangelt. Dies führt dazu, dass die Rechtslage unsicher bleibt. Die Praxis kann sich daher nur an nationalen Regelungen, den Regelungen zur Sitzverlegung der europäischen Gesellschaften (vor allem Art. 8 SE-VO) und der zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung und an der zum Heraus-Formwechsel ergangenen Rechtsprechung orientieren.
Rechtsprechung zum Heraus-Formwechsel
Die meisten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Sitzverlegung von Gesellschaften betrafen die Verlegungen nur des Verwaltungssitzes. Diese führen allerdings nicht zu einem Statutenwechsel und damit verbundenem Formwechsel in eine ausländische Rechtsform.
Während der EuGH in der sogenannten Cartesio-Entscheidung vom 16. Dezember 2008 (Az.: C-210/06), dem ebenfalls der Fall einer Verlegung des Verwaltungssitzes zugrunde lag, obiter dictum andeutete, dass die Versagung der Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, hat sich der EuGH in der Rechtssache VALE (Urteil vom 12. Juli 2012, Az.: C-378/10) erstmals unmittelbar mit der Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels befasst.
Die Cartesio-Entscheidung erging aus Sicht des Herkunftsstaats. Dieser sei frei darin, die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen eine Gesellschaft nach dem innerstaatlichen Recht gegründet wird und fortbesteht. Bei einem Formwechsel ist aber ein solcher Fortbestand gerade nicht gewünscht, so dass dieser anders als die reine Verwaltungssitzverlegung zu behandeln sei.
Die VALE-Entscheidung betraf die Sicht des Zuzugsstaats und damit den in den vorherigen Blogbeiträgen behandelten Herein-Formwechsel. Im Hinblick auf den Heraus-Formwechsel kann aus dieser Entscheidung abgeleitet werden, dass für dessen Durchführung zwei nationale Rechtsordnungen sukzessive anzuwenden sind.
Polbud – erstes Verfahren zum Heraus-Formwechsel beim EuGH
Derzeit ist der erste Heraus-Formwechsel beim EuGH als Vorabentscheidungsverfahren anhängig (Az.: C-106/16). Dem liegt der Fall einer polnischen GmbH zugrunde, die ihren Sitz nach Luxemburg verlegen möchte. Der Ort der tatsächlichen Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit soll dabei allerdings unverändert bleiben.
Nach Beschluss der Sitzverlegung wurde die Liquidation der Gesellschaft eingeleitet. Später fassten die Gesellschafter den Beschluss, die Rechtsform einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts anzunehmen, woraufhin die Eintragung der Gesellschaft im Register in Luxemburg erfolgte. Die ebenfalls erforderliche Löschung in Polen wurde allerdings mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Auflösung und Abwicklung abgelehnt.
Bisher liegen in diesem Verfahren nur die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vor, die zunächst Bekanntes betont. Namentlich, dass für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit nach Artt. 49, 54 AEUV die Errichtung einer Niederlassung zum Zweck der Ausübung einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit oder jedenfalls die Absicht dazu notwendig ist. Ein Wechsel allein des anwendbaren Rechts ohne Errichtung einer Niederlassung sei nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt. Denn schließlich sei das anwendbare Recht nicht frei wählbar.
Polnische Anforderungen beschränken Niederlassungsfreiheit
Ist eine tatsächliche Niederlassung im Zuzugsstaat oder eine entsprechende Errichtungsabsicht gegeben, stellen nach Ansicht der Generalanwältin die Anforderungen des polnischen Rechts – Auflösung und Abwicklung als notwendige Voraussetzung für die Löschung aus dem Handelsregister – eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Diese sei auch nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, wie dem Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern gerechtfertigt.
Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH den Anträgen der Generalanwältin folgt. In Anbetracht des obiter dictums aus der Cartesio-Entscheidung ist dies jedoch zu erwarten. Spannend ist dabei allerdings, wie der EuGH die Tatsache bewertet, dass die polnische Gesellschaft den Ort ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit unverändert in Polen belassen möchte. Richtigerweise ist mit der Generalanwältin anzunehmen, dass in diesem Fall der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht eröffnet ist.
Rechtsprechung zum grenzüberschreitenden Heraus-Formwechsel in Deutschland
In der Vergangenheit haben sich deutsche Gericht mehrfach mit Sitzverlegungen einer deutschen Gesellschaft ins Ausland beschäftigt. In diesen Fällen sollte meist sowohl der Satzungs- als auch der Verwaltungssitz in Ausland verlegt werden. Die Zulässigkeit einer solchen Sitzverlegung wurde von den Gerichten regelmäßig unter Hinweis auf den nach der Sitztheorie erforderlichen inländischen Verwaltungssitz abgelehnt. Ein weiterer Grund für die Versagung der Sitzverlegung war, dass für deutsche Kapitalgesellschaften das Erfordernis eines Satzungssitzes im Inland besteht.
Die grenzüberschreitende Sitzverlegung führte danach – im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH – zur Auflösung der Gesellschaft. Im Rahmen dieser Entscheidungen haben die deutschen Gerichte nie die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Form- und damit verbundenen Statutenwechsels – als die sich die Sitzverlegung auch darstellen könnte – erörtert.
Dies galt selbst, wenn die Sitzverlegung, wie in dem der Entscheidung des OLG Hamm vom 30. April 1997 (Az.: 15 W 91/97) zugrundeliegenden Fall, mit dem Beschluss einer Umwandlung in eine Rechtsform ausländischen Rechts einherging und auch, wenn bereits eine Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister des Aufnahmestaats unter einer Rechtsform dieses Staats erfolgt war.
Die deutschen Gerichte sind vielmehr regelmäßig, trotz intendierter Satzungssitzverlegung, von der Beibehaltung der Rechtsform ausgegangen. Weil dies aber nicht möglich sei, müsse die Gesellschaft in der Folge aufgelöst werden.
Heraus-Formwechsel erstmals 2007 angedeutet
Erstmals angedeutet hat das OLG München den grenzüberschreitenden Heraus-Formwechsel in seiner Entscheidung vom 4. Oktober 2007 (Az.: 31 Wx 36/07). Dieser Entscheidung lag wie der oben erwähnten Entscheidung des OLG Hamm ein Fall zugrunde, in dem die Gesellschaft die Rechtsform des Zuzugsstaats annehmen sollte. Zudem wurde die Gesellschaft unter Hinweis auf die Voreintragung in Deutschland bereits in das Register des Zuzugsstaats eingetragen.
In der Sache ist das OLG München den zuvor ergangenen Entscheidungen deutscher Gerichte gefolgt und hat die Sitzverlegung für nicht eintragungsfähig gehalten. Als Begründung wurde – wie auch schon in den vorherigen Fällen – angeführt, dass die Gesellschaft durch die grenzüberschreitende Sitzverlegung ihre Existenzgrundlage verliert. Nach Ansicht des OLG München gilt dies unabhängig davon, ob mit dem Wegzug eine Änderung der Rechtsform verbunden ist oder die Gesellschaft den Sitz rechtsformwahrend verlegen möchte.
Dass der Zuzugsstaat den identitätswahrenden Formwechsel anerkennt, ändere daran nichts, denn der Fortbestand der Gesellschaft müsse sowohl vom Wegzugs- als auch vom Zuzugsstaat ermöglicht werden. Weil das deutsche Recht den Wegzug aber nicht zulasse, komme es nicht darauf an, ob der Zuzugsstaat den Formwechsel anerkennt. Dabei verweist das OLG München auf die gefestigte Rechtsprechung des EuGH, wonach Gesellschaften nur kraft nationalen Rechts bestehen und jenseits der innerstaatlichen Rechtsordnung ihres Gründungsstaats keine Realität haben.
Das Gericht hat dabei jedoch verkannt, dass sich durch den Formwechsel das auf die Gesellschaft anwendbare innerstaatliche Recht wandelt, was dazu führt, dass bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel zwei nationale Rechtsordnungen sukzessive anwendbar sind. Die VALE-Entscheidung des EuGH war bei Ergehen der Entscheidung des OLG München allerdings noch Zukunftsmusik, so dass sich die Auseinandersetzung mit der sukzessiven Anwendbarkeit der beiden Rechtsordnungen noch nicht aufdrängte.
OLG Frankfurt erklärt Heraus-Formwechsel für zulässig
Als erstes deutsches Gericht hat das OLG Frankfurt mit seiner Entscheidung vom 3. Januar 2017 (Az.: 20 W 88/15) den Heraus-Formwechsel einer deutschen Gesellschaft ins europäische Ausland für zulässig erklärt.
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall haben die Gesellschafter einer deutschen GmbH in notarieller Form die Sitzverlegung nach Italien beschlossen und gleichzeitig die Rechtsform einer italienischen GmbH gewählt. Dabei wurden die Vorgaben des deutschen Umwandlungsrechts an den Beschluss nicht eingehalten. Die Eintragung lehnte das deutsche Handelsregister ab. Als Begründung führte es an, dass der Satzungssitz im Inland liegen müsse und eine grenzüberschreitende Sitzverlegung derzeit noch nicht möglich sei. Dabei verkannte das Registergericht allerdings, dass die Gesellschaft neben der Sitzverlegung auch einen Formwechsel durchführen wollte. Zwischenzeitig wurde die Gesellschaft unter Hinweis auf die vorherige Existenz als Rechtsform eines anderen Staats ins italienische Handelsregister eingetragen.
Nach Ansicht des OLG Frankfurt ist der Heraus-Formwechsel in das deutsche Handelsregister eintragungsfähig. Dabei betont es den Unterschied zur Cartesio-Entscheidung des EuGH, die wie oben erwähnt nur die Verlegung des Verwaltungssitzes betraf. Richtig ist insoweit hier von einem Formwechsel auszugehen und nicht wie das Registergericht von einer formwahrenden Sitzverlegung.
Begrüßenswert ist ebenfalls, dass das OLG Frankfurt den Heraus-Formwechsel in die Rechtsform eines EU-/EWR-Staats unter Hinweis auf die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich für zulässig erklärt. Das Gericht legt dazu § 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG und § 191 Abs. 2 UmwG, die den Formwechsel nur für inländische Rechtsträger und in bestimmte inländische Rechtsträger zulassen, unionsrechtskonform aus. Dadurch kann Zielrechtsträger auch ein solcher ausländischer Rechtsform sein.
Obwohl das OLG Frankfurt sodann auf die nach der VALE-Entscheidung des EuGH erforderliche sukzessive Anwendung zweier nationaler Rechtsordnungen hinweist, geht das Gericht doch nicht auf die Einhaltung der deutschen Vorschriften ein und missachtet auch die Verknüpfung der beiden Rechtsordnungen, die über die gemäß Art. 8 Abs. 8 SE-VO erforderliche Wegzugsbescheinigung zu erfolgen hat (siehe hierzu bereits den Blog-Beitrag zum Herein-Formwechsel und den darauf anwendbaren Vorschriften). Das Gericht lässt in der Folge eine Klarstellung, welche konkreten Normen zur Anwendung kommen, vermissen. Weiter stellt es unter Hinweis auf den Äquivalenzgrundsatz allein darauf ab, dass der Eintragung in Italien in entsprechender Anwendung von § 202 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 2, Abs. 3 UmwG heilende Wirkung beizumessen ist.
Durch eine solche Heilung ignoriert das OLG Frankfurt jedoch die vom EuGH geforderte sukzessive Anwendung zweier Rechtsordnungen und deren Verknüpfung. Damit wird die Missachtung der nationalen Vorschriften des Wegzugsstaats – solange diese eine Heilung vorsehen – unbeachtlich. Weil die zuständige Stelle im Zuzugsstaat nicht in der Lage ist, die Einhaltung der nationalen Normen selbstständig zu beurteilen, ist der Nachweis darüber durch die Wegzugsbescheinigung nach Art. 8 Abs. 8 SE-VO zu führen, was vom OLG Frankfurt verkannt wird.
Entscheidung des OLG Frankfurt ist zu oberflächlich
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist insoweit zu begrüßen, als sie den Heraus-Formwechsel generell für zulässig erklärt. Sie schießt allerdings über das Ziel hinaus, indem die nationalen Vorgaben völlig außer Acht gelassen werden. Darüber hinaus wäre wünschenswert gewesen, wenn das Gericht klargestellt hätte, welche konkreten nationalen und europäischen Vorschriften entsprechend auf den Heraus-Formwechsel anzuwenden sind.
Es bleibt abzuwarten, ob andere deutsche Gerichte der weiten Anwendung der Heilungsvorschrift des § 202 UmwG folgen werden oder in Zukunft mehr auf die Einhaltung der nationalen Verfahrensnormen achten werden. Mit Spannung kann auch die Entscheidung des EuGH in Sachen Polbud erwartet werden. Es bleibt zu hoffen, dass durch diese und weitere nationale Entscheidungen mehr Rechtssicherheit erreicht wird.
Unsere Beitragsreihe stellt wichtige Aspekte rund um das Umwandlungsrecht nach dem UmwG vor. Hier zeigen wir die Möglichkeiten einer Unternehmensumstrukturierung auf, stellen einzelne Aspekte heraus, schildern Herausforderungen und skizzieren die ein oder andere Lösungsidee. Bisher erschienen ist ein Überblick über die umwandlungsrechtliche Verschmelzung, ein Beitrag zum Verschmelzungsvertrag sowie zum Formwechsel. Weiter haben wir die Möglichkeiten im Rahmen einer Unternehmensspaltung, die partielle Gesamtrechtsnachfolge sowie den Ablauf einer Spaltung erläutert. Weiter sind wir auf die Schlussbilanz, die Besteuerung von Umwandlungen und die arbeitsrechtlichen Besonderheiten bei Umwandlungen sowie die grenzüberschreitende Verschmelzung aus gesellschaftsrechtlicher sowie aus arbeitsrechtlicher Sicht eingegangen. Zuletzt haben wir den rechtlichen Rahmen eines grenzüberschreitenden Formwechsels sowie die erforderliche Dokumentation bei einem Herein-Formwechsel erläutert.