Ein Blick zur Digitalisierung der Automobilbranche: Wie gehen russische Firmen das Thema Smart Mobility an und welche rechtlichen Grundlagen gibt es?
„Smart Mobility″, „Mobilität der Zukunft″ oder „Digital Disruption″ sind die Stichworte, unter denen die derzeitigen und künftigen Entwicklungen in der Automobilindustrie besonders stark diskutiert werden. Dabei geht es vor allem um drei Bereiche: Elektromobilität (E-Mobility), Carsharing, sowie autonomes und vernetztes Fahren.
Aus rechtlicher Sicht stellen sich nicht nur Fragen nach der Regulierung, sondern auch nach bestehenden und künftigen Förderinstrumenten für diese neuen Entwicklungen. Deutschland ist bei diesen Fragen zumindest in Teilen weit fortgeschritten.
Mit diesem Beitrag soll der Blick über den Tellerrand gewagt werden: Wie steht es tatsächlich um Smart Mobility in Russland und welche rechtlichen Grundlagen gibt es bereits hierfür?
E-Mobility
Bei den derzeitigen Beschaffungskosten und dem geschwächten Rubel ist ein vollwertiges Elektrofahrzeug in Russland ein absolutes Luxusgut. Damit ist es nur für einen kleinen Teil der russischen Bevölkerung interessant. Neben den hohen Beschaffungskosten ist das größte Hindernis für die Entwicklung der E-Mobility in Russland das Fehlen der entsprechenden Infrastruktur, insbesondere von Ladestationen.
Zum Vergleich: Die Zahl der öffentlichen Ladestationen in Moskau dürfte derzeit kaum höher sein als etwa in Düsseldorf, obwohl Moskau fast zwanzigmal so viele Einwohner hat.
Staatliche Fördermaßnahmen sind daher gefragt. Das staatliche Programm zur Entwicklung der Automobilindustrie in Russland bis 2020 sieht dementsprechend zahlreiche Anreize vor, insbesondere:
- kostenlose Parkflächen für Elektrofahrzeuge mit Ladestationen zum Haushaltstarif (in Moskau derzeit ca. RUB 6 bzw. EUR 0,10 pro kWh);
- Nutzung der Bus-/Taxi-Spuren in der Stadt;
- ermäßigte Kfz-Steuer;
- vorrangige Berücksichtigung bei der Vergabe von Konzessionen im ÖPNV.
Einige dieser Maßnahmen, wie das kostenlose Parken (mit oder ohne Ladestationen), sind zum Beispiel in Moskau und St. Petersburg bereits umgesetzt.
Ein weiterer Anreiz für die Anschaffung eines Elektrofahrzeugs ist die noch bis zum 31. August 2017 befristete Befreiung vollständig elektrisch angetriebener PKWs vom Importzoll in Höhe von 16%. Eine Verlängerung dieser Maßnahme steht in Aussicht.
Nachfrage nach Carsharing-Diensten in Russland erhöht
Das vor einigen Jahren eingeführte kostenpflichtige Parken in russischen Großstädten hat die Nachfrage nach Carsharing-Diensten deutlich erhöht. In Moskau sind zurzeit fünf bis sechs, in St. Petersburg zwei Anbieter für Kurzzeitmiete präsent.
Die Carsharing-Regulierung erfolgt bisher vor allem auf kommunaler Ebene und knüpft an eine dauerhafte Parklizenz für kostenpflichtige öffentliche Parkplätze im Stadtgebiet an. Beispielhaft sei im Folgenden das Moskauer Regulierungsmodell dargestellt:
Der Carsharing-Dienst ist dabei fest definiert als Angebot zur kurzfristigen Miete (bis zu 24h) von Transportmitteln an natürliche Personen zu privaten Zwecken auf Basis minutenweiser Abrechnung. Für jedes eingesetzte Fahrzeug ist eine Carsharing-Parklizenz einzuholen. Diese wird für drei Jahre zu einem Pauschalpreis von RUB 60.000 (derzeit ca. EUR 940) erteilt. Die Lizenzen sind an folgende Bedingungen gebunden:
- der Carsharing-Dienst muss täglich rund um die Uhr („24/7″) angeboten werden;
- die Fahrzeuge dürfen maximal 4,50m lang und 1,70m breit sein, wobei eine Erhöhung dieser Maße derzeit diskutiert wird;
- die Fahrzeuge müssen mindestens die ökologische Klasse 4 (entspricht Euro 4) haben und dürfen zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung der Parklizenz höchstens 1 Jahr alt sein;
- Ausstattung der Fahrzeuge mit einer in Russland zertifizierten, satellitenbasierten Einrichtung zur Lokalisierung des Fahrzeugs;
- eine entsprechende Applikation zur Abwicklung der Carsharing-Dienstleistung;
- Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung.
Diskutiert wird ferner die Möglichkeit, Bus- und Taxi-Spuren für Carsharing-Fahrzeuge freizugeben.
Autonomes und vernetztes Fahren
Für denjenigen, der schon einmal in dem recht chaotischen Moskauer Stadtverkehr unterwegs war, dürfte autonomes Fahren kurz- oder mittelfristig dort kaum vorstellbar sein. Ähnlich sieht es in anderen russischen Großstädten aus. Für das flächenmäßig größte Land der Welt erscheint das Konzept des autonomen Fahrens aber zumindest im Fernverkehr attraktiv.
Dafür fehlt es aber noch an der nötigen Infrastruktur. Dementsprechend sind rechtliche Rahmenbedingungen für das autonome Fahren in Russland kaum vorhanden; immerhin wird es von dem staatlichen Programm zur Entwicklung der Automobilindustrie in Russland bis 2020 adressiert. Auf föderaler Ebene wird zudem ein Gesetzesentwurf diskutiert, der vor allem die Voraussetzungen des autonomen Fahrens im öffentlichen Straßenverkehr und Haftungsfragen klären soll. Einzelheiten darüber sind bisher jedoch nicht bekannt.
Förderung der Smart Mobility in Russland wohl erst ab 2020
Der russische Automobilmarkt befindet sich seit 2014 in einer tiefen Krise. Staatliche Maßnahmen sind damit zunächst der Erholung und Stabilisierung des Markts für die „klassischen″ Automobilprodukte gewidmet. Mit signifikanten Entwicklungen bei der Smart Mobility in Russland ist wohl erst zum Jahr 2020 zu rechnen.
Unsere Beitragsreihe stellt wichtige Aspekte rund um das Thema „M&A Strategien im digitalen Wandel der Automobilindustrie″ dar. Hier zeigen wir Ziele und Konzepte auf, berichten von aktuellen Trends, schildern Herausforderungen und skizzieren die ein oder andere Lösungsidee. Bereits erschienen ist ein Beitrag zu Corporate Venture Capital und digitalen Startups als strategische Partner der Automobilindustrie sowie ein Beitrag zur Gründung von Joint Ventures zum Erwerb digitalen Knowhow und zur russischen Autoindustrie in der Krise. Zuletzt befassten wir uns mit der Digital Compliance bei M&A in der Automobilindustrie, dem Einfluss des Brexits auf die Automobilindustrie und den Desinvestitionen in der Automobilindustrie.
Allgemeinere rechtliche Aspekte der Digitalisierung sind Gegenstand der Studie „Digital Economy & Recht″, die wir gemeinsam mit dem Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) erstellt haben.