17. Juni 2022
Markenrecht Verwirkung Verhinderung Abmahnung
Markenrecht

Konkretisierung der Anforderungen an die Verhinderung der markenrechtlichen Verwirkung

Markeninhaber müssen rechtzeitig ernsthafte und rechtsverbindliche Maßnahmen ergreifen, um gegen jüngere Marken vorzugehen.

Der EuGH hat ein Urteil (v. 19. Mai 2022 – C-466/20) dazu genutzt, die Voraussetzungen der markenrechtlichen Verwirkung weiter zu verschärfen. So war bisher z.B. unklar, ob auch Handlungen wie Abmahnungen zur Verhinderung der Verwirkung geeignet sind und welche Rolle der Zeitpunkt der Klageerhebung spielt.

Der Ausgangsfall, der dem Urteil zugrunde lag, reicht bereits mehrere Jahrzehnte zurück: Bereits im Jahr 1991 meldete die spätere Klägerin die Unionsmarke „HEITEC“ an. Nachdem die Beklagte im Jahr 2008 die Marke „heitech“ angemeldet hatte, wurde sie im April 2009 von der Klägerin abgemahnt. Daraufhin schlug die Beklagte den Abschluss einer Koexistenzvereinbarung vor, doch die Klägerin ging nicht auf den Vorschlag ein, verfolgte ihre Abmahnung aber auch nicht weiter.

Ende Dezember 2012 erfolgte dann doch noch die Einreichung einer Klageschrift – allerdings nur per Fax. Als das Gericht die Klägerin im März 2013 auf den bisher nicht gezahlten Gerichtskostenvorschuss und die fehlende Klage im Original hinwies, blieb die Klägerin erneut untätig. Im Dezember 2013 reichte die Klägerin dann eine neue Klageschrift ein. Dieses Mal zahlte sie auch den Gerichtskostenvorschuss, übermittelte die für die Zustellung benötigten Originale jedoch erst im Februar 2014. Die tatsächliche Zustellung erfolgte im Mai 2014. 

Nachdem die Klägerin in den ersten Instanzen nur wenig Erfolg hatte, landete das Verfahren schließlich beim BGH, der die Sache aufgrund diverser Fragen zu einer möglichen Verwirkung dem EuGH vorlegte.

Abmahnung allein verhindert keine Verwirkung

Aufgrund des teils weit in der Vergangenheit liegenden Sachverhalts mussten die Markenrichtlinie 2008/95 sowie die Unionsmarkenverordnung 207/2009 herangezogen werden. Die Erkenntnisse des EuGH lassen sich jedoch problemlos auf aktuelle Sachverhalte übertragen. 

Für den EuGH besteht der Zweck der Verwirkungsvorschrift im Bedürfnis nach Rechtssicherheit, das nach fünf Jahren Duldung trotz Kenntnis der jüngeren Marke auch keinen unangemessenen Eingriff in das Recht des älteren Markeninhabers mehr darstelle. Klare Angaben dazu, auf welche Weise der ältere Markeninhaber die Verwirkung aber durchbrechen kann, enthalten weder die alten noch die neuen Rechtsquellen. Allerdings hatte der EuGH bereits mit Urteil v. 22. September 2011 (C-482/09) entschieden, dass eine Unterbrechung jedenfalls durch die Einlegung eines behördlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs möglich ist. Einer pauschalen Erweiterung dieser Rechtsprechung auf Abmahnungen erteilte der EuGH nun aber eine Absage.

Der EuGH greift auf den Gedanken der Rechtssicherheit zurück und differenziert: Wenn der Abmahnende nach einer nicht zufriedenstellenden Reaktion des Abgemahnten weitere Maßnahmen ergreift, um seinen Widerstand gegen die jüngere Marke zum Ausdruck zu bringen, dann kann der Zeitpunkt der Unterbrechung der Verwirkung im Rahmen eines späteren Rechtsbehelfs auf den Zeitpunkt der Abmahnung vordatiert werden. Das soll aber nicht gelten, wenn der Abmahnende seine Bemühungen nicht innerhalb einer angemessenen Frist fortsetzt. Denn der EuGH befürchtet durch eine solche Praxis eine Umgehung der Regelung der Verwirkung, indem schlicht in gewissen Abständen Abmahnungen verschickt werden, ohne dass der Abmahnende aber jemals wirklich tätig wird. Das würde gerade das Ziel der Verwirkungsregelung, also die Förderung der Rechtssicherheit, beeinträchtigen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für eine Verwirkungsunterbrechung ist die Einreichung der Klage

Da die Klägerin ihre Abmahnung im Ausgangsfall nicht weiterbetrieben hat, blieb die Frage zu klären, ob die schlussendlich erhobene Klage die Verwirkung unterbrechen konnte. Dass die Klage als gerichtlicher Rechtsbehelf dazu ein taugliches Mittel ist, war unstreitig. Grund für die Vorlagefrage war jedoch, dass das Ende des Verwirkungszeitraums hier aufgrund der mehrfachen Verzögerungen durch die Klägerin zwischen die Zeitpunkte von Klageeinreichung und Klagezustellung fiel. So erfolgte die erstmalige Kenntnisnahme der Benutzung der jüngeren Marke am 6. Mai 2009. Die Klage wurde jedoch erst am 23. Mai 2014 zugestellt, also mehr als fünf Jahre später. Welcher der Zeitpunkte maßgeblich ist, war bisher nicht geklärt.

Grds. versteht der EuGH in der Einreichung eines verfahrenseinleitenden Schriftsatzes die ernsthafte und eindeutige Absicht, die eigenen Rechte geltend machen zu wollen. Das soll i.d.R. auch genügen, um die Verwirkungsfrist zu unterbrechen. Hierzu verweist der EuGH auf seine Auslegungen der im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen erlassenen Vorschriften (u.a. EuGH, Urteil v. 4. Mai 2017 – C-29/16).

Selbstverschuldete Verzögerungen bei der Zustellung muss sich die Klägerin zurechnen lassen

Diese Auslegung soll aber nicht uneingeschränkt gelten. Insbesondere äußert der EuGH Zweifel an der Absicht der Verzögerung durch den Rechtsbehelfsführer, wenn dieser nur mangelnde Sorgfalt an den Tag legt. Im zu entscheidenden Fall hatte das Gericht die Klägerin mehrfach auf verschiedene Mängel hingewiesen, deren Behebung die Einleitung des Rechtsstreits verzögert hat. Ob die verspätete Zustellung gänzlich zulasten der Klägerin ging, konnte der EuGH nicht entscheiden, da zu den Vorgängen zwischen Februar und Mai 2014 keine detaillierten Feststellungen getroffen werden konnten.

Die Klageeinreichung im Dezember 2013 wird die Verwirkungsfrist aber dann nicht wirksam unterbrochen haben, wenn die Klage

aufgrund mangelnder Sorgfalt [der Klägerin] nicht die Anforderungen des nationalen Rechts erfüllte, die für die Zwecke der Zustellung gelten, und die Mängel aus Gründen, die [der Klägerin] zuzurechnen sind, erst nach Ablauf der Verwirkungsfrist behoben wurden.

Verwirkung gilt auch für sämtliche Neben- und Folgeansprüche

Eine letzte Frage des BGH blieb jedoch noch zu klären: Die Klägerin hatte neben Unterlassungsansprüchen auch Auskunft, die Feststellung von Schadensersatz, die Vernichtung von Waren und die Zahlung von Abmahnkosten verlangt. 

Der EuGH stellt klar, dass – im Falle einer Verwirkung – diese Neben- und Folgeansprüche ebenfalls nicht mehr geltend gemacht werden können. Dabei verweist der EuGH erneut auf die mit der Verwirkung bezweckte Rechtssicherheit, die durch weiterhin drohende Folgeansprüche beeinträchtigt wäre. Denn anderenfalls stünde es dem Inhaber des älteren Markenrechts trotz einer Verwirkung frei, eine Verletzung seiner Marke durch die jüngere Marke feststellen zu lassen.

Eine solche Auslegung der Regelung der Verwirkung durch Duldung würde aber das mit dieser Regelung verfolgte Ziel beeinträchtigen, dem Inhaber der jüngeren Marke mit Ablauf dieser Frist die Gewissheit zu verschaffen, dass derjenige, der die Benutzung der jüngeren Marke während eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren wissentlich geduldet hat, gegen diese nicht mehr mit irgendeinem Rechtsbehelf vorgehen kann.

Verwirkung muss mit aktiven Maßnahmen verhindert werden

Der EuGH stellt die Rechtssicherheit und das damit korrespondierende Verhalten der Parteien in den Vordergrund der Betrachtung. Wenn der Inhaber einer älteren Marke seine Rechte nicht verlieren möchte, dann muss er diese Absicht nach außen manifestieren. Uneindeutiges Verhalten, Nachlässigkeit und Untätigkeit sind hingegen keine tauglichen Maßnahmen, um eine drohende Verwirkung zu verhindern. 

Für die Praxis bedeutet das Urteil, dass einer Verwirkung aktiv begegnet werden muss. Die fünfjährige Verwirkungsfrist bietet ausreichend Zeit, um Optionen abzuwägen, eine Strategie zu überlegen oder mögliche Einigungen mit der Gegenseite zu erörtern. Wer diese Optionen nicht nutzt oder schlicht nicht die notwendige Energie investiert, der läuft Gefahr, seine Rechte zu verlieren.

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