Die Zentralkammer (Abteilung München) hat auf Antrag von NanoString ein wichtiges Patent für nichtig erklärt. Die Entscheidung stellt einen weiteren bedeutenden Sieg für NanoString dar.
Wir haben bereits über das vorläufige Ende der Streitigkeit zwischen NanoString und 10x Genomics hinsichtlich der Verfügungsverfahren berichtet. NanoString führt(e) indes noch weitere Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht (Unified Patent Court, UPC), so auch das in diesem Beitrag thematisierte Nichtigkeitsverfahren. Gegenstand dieses Verfahrens ist die Nichtigerklärung des EP 2 794 928 B1 (Titel: „Zusammensetzung und Verfahren zum Nachweis von Analyten“). Patentinhaberin ist das Gremium President and Fellows of Harvard College.
Mit Entscheidung vom 17. Oktober 2024 (UPC_CFI_252/2024, ORD_598480/2023) hat die Zentralkammer (Abteilung München) des UPC das streitgegenständliche Patent für vollständig nichtig in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden erklärt und der Patentinhaberin als Beklagte die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Die Patentinhaberin kann gegen die Entscheidung innerhalb von zwei Monaten nach deren Bekanntgabe Berufung beim Berufungsgericht des UPC einlegen.
Verfahrensablauf
Die Klage auf Nichtigerklärung des streitgegenständlichen Patents wurde von NanoString (Technologies Europe Limited) am 27. Juli 2023 eingereicht. Zuvor hatte das Bundespatentgericht bereits den deutschen Teil des streitgegenständlichen Patents auf Antrag der NanoString Technologies Germany GmbH für nichtig erklärt; gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin Berufung beim Bundesgerichtshof eingelegt, welche dort noch anhängig ist.
Die Lokalkammer München hatte am 10. Oktober 2023 einen Antrag auf Anordnung von einstweiligen Maßnahmen, gestützt auf das streitgegenständliche Patent und eingereicht von der Patentinhaberin und 10x Genomics, Inc., u.a. wegen fehlender Überzeugung von der Rechtsbeständigkeit des Patents zurückgewiesen (soweit ersichtlich, ist diese Entscheidung nicht veröffentlicht). Im hiesigen Rechtsbestandsverfahren hatte die Patentinhaberin einen Einspruch nach Regel 19 der Verfahrensordnung (VerfO) wegen der anhängigen Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht und der damit verbundenen vermeintlich fehlenden Zuständigkeit des UPC eingereicht. In der mündlichen Verhandlung am 18. September 2024 wurde der Einspruch von der Patentinhaberin zurückgenommen.
Das streitgegenständliche Patent
Das streitgegenständliche Patent wurde am 21. Dezember 2012 angemeldet und nimmt eine US-Priorität vom 22. Dezember 2011 in Anspruch. Es wurde am 20. Februar 2019 erteilt. Innerhalb der Einspruchsfrist wurde kein Einspruch eingelegt. Das Patent steht in den Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)-Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich und den Niederlanden in Kraft. Es umfasst einen Hauptverfahrensanspruch und 16 abhängige Unteransprüche.
Argumente der Parteien
NanoString greift das streitgegenständliche Patent wegen mangelnder Neuheit und mangels erfinderischer Tätigkeit an. Zudem sei die Erfindung nicht so klar und eindeutig offenbart, dass sie ein Fachmann ausführen könne. Ferner gehe der Gegenstand des streitgegenständlichen Patents über die ursprüngliche Anmeldung hinaus.
Die Patentinhaberin hat die Patentfähigkeit des streitgegenständlichen Patents verteidigt und mit der Klageerwiderung einen vorsorglichen bzw. bedingten Antrag auf Änderung des Patents nach Regel 30 VerfO gestellt und entsprechende Hilfsanträge eingereicht, sollte die Zentralkammer das Patent in seiner erteilten Fassung für nicht patentfähig erachten. In der Folge – nach dem Abschluss des schriftlichen Verfahrens und nach der Zwischenanhörung – reichte die Patentinhaberin einen weiteren Hilfsantrag ein.
Die Entscheidung der Zentralkammer
Die Zentralkammer verneint die Neuheit des Anspruchs 1 des streitgegenständlichen Patents, da die Erfindung eindeutig und unzweifelhaft in einem Stand-der-Technik-Dokument offenbart sei. Dem ersten Hilfsantrag fehle es an erfinderischer Tätigkeit ggü. diesem Stand-der-Technik. Auch die weiteren Hilfsanträge könnten nach der Zentralkammer nichts an der vollständigen Nichtigerklärung des streitgegenständlichen Patents ändern.
Die Zentralkammer erachtet die Nichtigkeitsklage auch für zulässig und nimmt ihre (internationale) Zuständigkeit auch vor dem Hintergrund der vor dem Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsklage an. Im Einspruch nach Regel 19 VerfO hatte die Patentinhaberin vorgebracht, dass das Verfahren vor dem UPC wegen der beim Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsklage in Bezug auf den deutschen Teil des streitgegenständlichen Patents unzulässig oder jedenfalls auszusetzen ist und berief sich dabei auf Art. 29–31 der VO Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-Verordnung). In der mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin den Einspruch zurückgenommen und die Parteien haben übereinstimmend beantragt, dass das UPC seine internationale Zuständigkeit annehmen und das Verfahren nicht aussetzen soll, auch nicht bzgl. des deutschen Teils des streitgegenständlichen Patents.
Sofern – wie hier – indes die internationale Zuständigkeit europarechtlich determiniert ist, kann das UPC diese trotz entsprechender und übereinstimmender Anträge der Parteien nicht schlicht annehmen, sondern muss diese eigenständig prüfen. Zunächst stellt die Zentralkammer insoweit fest, dass sie grds. international zuständig ist nach Art. 24 Nr. 4 Brüssel-Ia-Verordnung. Die Art. 29, 31 Brüssel-Ia-Verordnung seien vorliegend nicht anwendbar, da keine Parteiidentität vorliege. Im deutschen Nichtigkeitsverfahren sei die NanoString Technologies Germany GmbH als Klägerin aufgetreten, vor dem UPC hingegen die NanoString Technologies Europe Limited. Auch wenn die beiden Klägerinnen dieselbe Muttergesellschaft hätten, so seien sie nicht als dieselben Parteien i.S.d. Art. 29 Abs. 1 Brüssel-Ia-Verordnung anzusehen. Nach der Zentralkammer sei daher ohnehin nur eine Aussetzung des Nichtigkeitsverfahrens vor dem UPC bzgl. des deutschen Teils des streitgegenständlichen Patents auf Grundlage von Art. 30 Brüssel-Ia-Verordnung in Betracht gekommen. Die Zentralkammer übt allerdings ihr Ermessen dahingehend aus, das Verfahren nicht auszusetzen, da die Interessen der Parteien und der Prozessökonomie das Risiko von konfligierenden Entscheidungen zwischen dem Berufungsgericht des UPC und dem Bundesgerichtshof nach der Ansicht der Zentralkammer überwiegen.
Eine eingehende Analyse der Entscheidung und die Darstellung der (technischen) Einzelheiten würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Indes lassen sich aus der Entscheidung der Zentralkammer insb. die folgenden zwei verallgemeinerungsfähigen Aussagen für Nichtigkeitsverfahren vor dem UPC ableiten:
- Die Beurteilung der Neuheit im Sinne von Art. 54 Abs. 1 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) erfordert die Bestimmung des gesamten Inhalts der Vorveröffentlichung. Entscheidend ist, ob der Gegenstand des Anspruchs mit all seinen Merkmalen in der Entgegenhaltung des Stands der Technik unmittelbar und eindeutig offenbart ist.
- Im frontlastigen UPC-Verfahren sind die Parteien verpflichtet, ihren gesamten Fall so früh wie möglich darzulegen. Einem späteren Antrag auf Änderung des Patents gemäß Regel 50.2 VerfO in Verbindung mit Regel 30.2 VerfO wird in der Regel nicht stattgegeben werden, da der Hilfsantrag früher hätte eingereicht werden können und müssen.
In ihrer Klageerwiderung hatte die Patentinhaberin insgesamt acht Hilfsanträge auf Änderung des streitgegenständlichen Patents gestellt. Diese sah die Zentralkammer als zulässig an. In einem Schriftsatz vom 6. März 2024 hat die Patentinhaberin einen weiteren Hilfsantrag auf Änderung des streitgegenständlichen Patents gestellt. Dies erfolgte vor dem Hintergrund der Anordnung des Berufungsgerichts vom 26. Februar 2024 im Verfügungsverfahren NanoString/10x Genomics, in der das Berufungsgericht Zweifel am Rechtsbestand des dortigen Verfügungspatents geäußert hatte, das eine Teilanmeldung des hier streitgegenständlichen Patents ist. Nach Ansicht der Zentralkammer sei die entsprechende Argumentation der Nichtigkeitsklägerin, die auch das Berufungsgericht für die Begründung seiner Zweifel am Rechtsbestand der Teilanmeldung herangezogen hatte, bereits in der Klageschrift enthalten, weshalb der (weitere) Antrag auf Änderung des Patents als verspätet und damit unzulässig zurückzuweisen war.
Patentinhaberfreundlichkeit des UPC und mögliche Berufung
Die Entscheidung der Zentralkammer reiht sich ein in eine Vielzahl von Entscheidungen bzw. Anordnungen des UPC, die Patente vernichten und/oder nur beschränkt aufrechterhalten. Die sich abzeichnende Linie in Nichtigkeitsverfahren scheint nicht so patentinhaberfreundlich, wie es einige Stimmen insb. vor der Aufnahme des Geschäftsbetriebs des UPC vermutet hatten. Es ist jedoch verfrüht, höhere Anforderungen für den Rechtsbestand anzunehmen. Jedenfalls gehen die Anforderungen bisher keinesfalls über die nationaler Rechtsbestandsverfahren, wie beispielsweise dem deutschen Nichtigkeitsverfahren, hinaus.
Es steht zu vermuten, dass die Patentinhaberin Berufung gegen die Anordnung der Zentralkammer einlegen wird. Wir werden die Entwicklungen verfolgen und ggf. erneut in unserem Blog berichten.