China gehört zu unseren wichtigsten Handelspartnern. Ein großes Handelsvolumen birgt jedoch Risiken. Umso wichtiger ist es, die eigenen Rechte zu kennen.
Nach chinesischem Recht ist ein Unternehmen insolvent, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen (Zahlungsunfähigkeit) und zugleich das Vermögen nicht ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu decken (Überschuldung) oder wenn das Unternehmen offensichtlich zahlungsunfähig ist. In diesem Fall kann das Unternehmen einen Insolvenzantrag mit dem Ziel der Liquidation beim zuständigen Gericht am Sitz des Unternehmens stellen. Anders als in vielen europäischen Ländern (z.B. Deutschland) besteht keine Pflicht der Geschäftsleitung, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Wenn ein Unternehmen nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu decken, kann auch jeder Gläubiger* dieses Unternehmens einen Insolvenzantrag mit dem Ziel der Liquidation stellen. In der Praxis ist dies jedoch meist schwierig und umständlich, es sei denn, der Gläubiger verfügt über ausreichend Beweise, um die Insolvenz des Unternehmens zu belegen. Die Liquidation im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ist darüber hinaus in der Praxis sehr zeitaufwändig und dauert in der Regel zwei Jahre oder länger.
Rechtstellung der Gläubiger im Insolvenzverfahren
Dem Insolvenzschuldner ist es grundsätzlich nicht erlaubt, während des Insolvenzverfahrens einzelne Gläubiger zu bedienen. Zahlungen an einzelne Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens können vom Gericht in den folgenden Fällen (ohne Einschränkungen) rückgängig gemacht werden:
- Der Insolvenzverwalter hat das Recht, bei Gericht die Anfechtung der nachstehenden Rechtshandlungen zu beantragen, wenn diese innerhalb eines Jahres vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden haben:
- Unentgeltliche Übertragung von Vermögensgegenständen,
- Geschäfte zu einem offensichtlich unangemessenen Preis,
- Nachträgliche Besicherung unbesicherter Gläubiger über Eigentumsgarantien,
- Begleichung noch nicht fälliger Verbindlichkeiten und
- Verzicht auf Forderungen
- Der Insolvenzverwalter hat das Recht, die Anfechtung der Begleichung von Verbindlichkeiten gegenüber einzelnen Gläubigern beim zuständigen Gericht zu beantragen, wenn diese sechs Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat und der Insolvenzschuldner bereits insolvent war. Eine Ausnahme gilt für Rechtshandlungen, die für das Vermögen des Insolvenzschuldners von Vorteil waren.
- Die nachstehenden Rechtshandlungen in Bezug auf das Vermögen des Insolvenzschuldners sind nichtig:
- Beiseiteschaffen von Vermögen zur Verhinderung der Gläubigerbefriedigung und
- Begründung neuer Verbindlichkeiten oder die Anerkennung von unbegründeten Verbindlichkeiten.
Rechtsdurchsetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens
Statt der Stellung eines Insolvenzantrags kann der Gläubiger seine Rechte auch in einem ordentlichen Gerichtsverfahren durchsetzen und für den Fall, dass er den Prozess gewinnt, die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Gläubigers beantragen.
Sofern ein solches ordentliches Gerichtsverfahren oder Zwangsvollstreckungsverfahren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgreich ist, ist der Gläubiger berechtigt, das Vermögen, das er infolge des Verfahrens erlangt hat, zu behalten. Das zuständige Gericht ist gehalten, Anträge auf Anfechtung von Gläubigerbefriedigungen innerhalb von sechs Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu unterstützen, wenn diese im Wege eines ordentlichen Gerichtsverfahrens, eines Schieds- oder Zwangsvollstreckungsverfahrens erreicht wurden.
Gelingt der erfolgreiche Abschluss solcher Verfahren nicht vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so werden die betreffenden Verfahren ausgesetzt und wieder aufgenommen, wenn der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erlangt hat. Forderungen, deren Vollstreckung ausgesetzt wird, obwohl sie vom Gericht bereits bestätigt wurden, müssen vom betreffenden Gläubiger beim Insolvenzverwalter angemeldet werden und werden nach der gesetzlich vorgeschriebenen Reihenfolge aus der Insolvenzmasse befriedigt.
Befriedigungsaussichten der Gläubiger im Insolvenzverfahren
In der Praxis ist die Befriedigungsquote für Gläubiger in Insolvenzverfahren sehr niedrig. Einem aktuellen Medienbericht zufolge zeigen die Daten von Prozessen vor Insolvenzgerichten in Shanghai im Jahr 2022 die folgenden Befriedigungsquoten in Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren:
- Durchschnittliche Befriedigungsquoten in Insolvenzverfahren mit dem Ziel der Liquidation:
- Ansprüche besicherter Gläubiger (37,2%)
- Ansprüche von Arbeitnehmern (53,1%)
- Ansprüche von Sozialversicherungsträgern und Steuerforderungen (16,2%)
- Insolvenzforderungen (2,3%)
- Durchschnittliche Befriedigungsquoten in Restrukturierungsverfahren:
- Ansprüche besicherter Gläubiger (86%)
- Ansprüche von Arbeitnehmern (55,5%)
- Ansprüche von Sozialversicherungsträgern und Steuerforderungen (100%)
- Insolvenzforderungen (4,9%)
Daher ist in der Praxis ein gerichtliches Verfahren gegen einen insolventen Schuldner nicht immer die optimale Lösung, um eine Befriedigung der eigenen Forderungen sicherzustellen. Gläubiger müssen die Komplexität, voraussichtliche Dauer und die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens berücksichtigen, um den bestmöglichen Lösungsansatz zu ermitteln.
Vorsorge für den Krisenfall – ein entscheidender Faktor
Verträge sollten ein Kündigungsrecht beinhalten, das es dem Vertragspartner ermöglicht, den Vertrag einseitig zu beenden, wenn der andere Vertragspartner zahlungsunfähig ist oder eine freiwillige Liquidation oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt.
Gläubiger sollten zur Vermeidung möglicher Verluste die Erfüllung des Vertrags aussetzen. Der PCR Civil Code sieht vor, dass, wenn die vorleistungspflichtige Partei ihrer Pflicht zur Vertragserfüllung nicht ordnungsgemäß nachkommt, auch die andere Vertragspartei berechtigt ist, die Vertragserfüllung auszusetzen. Auch eine vorleistungspflichtige Partei kann die Vertragserfüllung aussetzen, wenn sie ausreichend Belege dafür hat, dass sich das Geschäft der anderen Vertragspartei erheblich verschlechtert hat oder dass diese (voraussichtlich) nicht mehr in der Lage ist, die vertraglichen Pflichten zu erfüllen.
Gläubiger sollten die finanzielle Lage ihrer Vertragspartner regelmäßig überwachen. Sofern Zweifel an deren Liquidität bestehen, sollten Gläubiger ausreichend Beweise sammeln, um die Insolvenz des betreffenden Vertragspartners zu belegen und um entscheiden zu können, ob ein Fremdinsolvenzantrag gestellt werden soll.
Unabhängig davon, ob der Gläubiger sich für die Stellung eines Insolvenzantrags entscheidet, sollte er die Bestellung von Sicherheiten für offene Forderungen verlangen.
Sofern der Gläubiger die Beteiligung in einem Insolvenzverfahren vermeiden möchte, sollte mit dem Vertragspartner schnellstmöglich eine vergleichsweise Einigung erzielt werden.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.