Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang. Aktuelles Urteil des polnischen obersten Gerichts und Praxis in Deutschland.
Dieser Blog-Beitrag weicht von der vorgesehenen Reihenfolge der Beiträge aus aktuellem Anlass ab. Das Schicksal des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang rückt dank eines aktuellen Urteils des polnischen obersten Gerichts (Sąd Najwyższy, OG) in den Fokus der Betrachtung.
Gemeint ist das Urteil des obersten Gerichts in Warschau vom 11. Februar 2015 (Az. I PK 123/2014) sowie der zeitlich nachfolgende bestätigende Gerichtsbeschluss vom 5. Mai 2015 (Az. III PZP 2/2015). Inhaltlich geht es um die Frage was mit einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbots beim Betriebsübergang geschieht. Hier gilt es besondere Vorsicht walten zu lassen, um Überraschungen zu vermeiden: Das polnische und das deutsche Recht gehen nämlich getrennte Wege. Ausländische Investoren sollten daher auf diesen Punkt besonders achten.
Doch zunächst einmal eins nach dem anderen: Worum geht es im Einzelnen?
Übergang des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots beim Betriebsübergang?
Durch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot verpflichtet sich der Arbeitnehmer im Verhältnis zu seinem Arbeitgeber, keine Tätigkeit aufzunehmen, die mit seiner dienstlichen Tätigkeit im Wettbewerb steht. Zu unterscheiden ist ein Wettbewerbsverbot während der Dauer des laufenden Arbeitsverhältnisses (sogenanntes „vertragliches Wettbewerbsverbot″) und ein Wettbewerbsverbot für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (sogenanntes „nachvertragliches Wettbewerbsverbot″). Nachfolgend soll es allein um das Schicksal des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots gehen.
Anders als das vertragliche Wettbewerbsverbot kann ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nur unter Inkaufnahme einer zusätzlichen Vergütung hierfür (sogenannte Karenzentschädigung) vereinbart werden.
Karenzentschädigung bei nach nachvertraglichem Wettbewerbsverbot
Nach polnischem Recht muss eine solche Karenzentschädigung noch nicht einmal vertraglich vorgesehen sein. Sie gilt kraft Gesetzes und beträgt – wenn nicht eine höhere Karenzentschädigung vertraglich vereinbart ist – 25 % der zuletzt bezogenen Vergütung für den die Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots entsprechenden Zeitraum, welcher der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar vorausging.
Das deutsche Recht weist hier höhere rechtliche Hürden auf. Zum einen muss die Karenzentschädigung ausdrücklich vertraglich vereinbart werden, da das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ansonsten von vornherein unwirksam ist. Zum anderen muss die Karenzentschädigung mindestens 50 % der zuletzt bezogenen Bezüge im entsprechenden Zeitraum erreichen.
Anders als im polnischen Recht ist somit im deutschen Recht die Karenzentschädigung und daher auch das nachvertragliche Wettbewerbsverbot auch wegen des höheren deutschen Lohnniveaus verhältnismäßig teuer. Es sollte daher mit Augenmaß vereinbart werden und keinesfalls unbedacht in allen Arbeitsverträgen vorgesehen werden.
Im Falle eines Betriebsübergangs, also wenn ein Unternehmen im Wege eines sogenannten Asset Deals verkauft und übertragen wird, stellt sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen die Frage nach dem Schicksal des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Denn dieses wurde ja mit dem alten Arbeitgeber vereinbart, also mit dem Veräußerer. Gilt es nach einem Betriebsübergang automatisch auch zu Gunsten des Erwerbers?
Klar ist: Nach § 613a BGB und dessen Pendent im polnischen Recht Art. 23 Kodeks Pracy gehen sämtliche Arbeitsverhältnisse beim Betriebsübergang kraft Gesetzes vom Veräußerer auf den Erwerber über. Wie ist es aber mit dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot?
OG: Kein Übergang des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots
Das polnische OG hat sich nun klar positioniert. Demzufolge geht beim Betriebsübergang das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht kraft Gesetzes auf den Erwerber über, es verbleibt grundsätzlich beim Veräußerer. Mit anderen Worten: Es kommt zunächst zu einem Auseinanderfallen zwischen dem Arbeitsverhältnis, das automatisch auf den Erwerber übergeht, und dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, das im Verhältnis zum Veräußerer bestehen bleibt, aber nicht auf den Erwerber übergeht. Das OG hat dies im Zusammenhang mit Klagen eines Arbeitnehmers entschieden, der die Karenzentschädigung vom neuen Arbeitgeber, also dem Erwerber des Betriebs eingefordert hat mit dem Argument, das ursprünglich mit dem Veräußerer vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot sei automatisch kraft Gesetzes übergegangen. Dem ist das OG gerade nicht gefolgt und hat die Klagen als unbegründet zurückgewiesen.
In seiner ersten Gerichtsentscheidung vom 11. Februar 2015 (Az. I PK 123/2014) hat das OG seine Entscheidung wie folgt begründet: Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot sei ein vom Arbeitsverhältnis zu unterscheidendes Rechtsverhältnis und nicht mit dem Arbeitsverhältnis verbunden. Dies gelte unabhängig davon, ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot in einer separaten Vereinbarung oder als Klausel im Teil des Arbeitsvertrags enthalten sei. Daher könne beim Betriebsübergang das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht nach den Regelungen über den automatischen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber mit übergehen.
Dieses Urteil hat das polnische OG in seinem Beschluss vom 5. Mai 2015 (Az. III PZP 2/2015) bestätigt. Damit kann man von einer klaren Linie des polnischen OG sprechen. Offen bleibt die Frage, wie sich das nachvertragliche Wettbewerbsverbot mit dem Veräußerer und das übergegangene Arbeitsverhältnis zueinander verhalten. Sollte das nachvertragliche Wettbewerbsverbot mit dem Veräußerer nicht bereits durch den Betriebsübergang nach polnischem Recht erlöschen, was das polnische OG offengelassen hat, so steht es streng genommen im Widerspruch zum übergegangenen Arbeitsverhältnis, so dass der Arbeitnehmer vor der Wahl stünde, einen Vertrag brechen zu müssen. Dies kann nicht richtig sein, so dass konsequenterweise in einem solchen Fall das nachvertragliche Wettbewerbsverbot mit dem Veräußerer erlöschen müsste, jedoch erscheint es nach deutschem Rechtsverständnis „unverdient″, dass der Arbeitnehmer von einer vertraglichen Pflicht durch den „Zufall″ des Betriebsübergangs befreit wird, obwohl sein Arbeitsverhältnis ja vom Übergang abgesehen unberührt bleibt. Eine Frage, die nach polnischem Recht zu klären sein wird, aber hier letztlich dahinstehen kann.
Deutsches Recht grundverschieden zu polnischem Recht
Diese Rechtsprechung des polnischen OG ist bemerkenswert. Sie weicht nämlich komplett von der deutschen Rechtspraxis ab.
Nach deutschem Recht hat der Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsübergangs ein sogenanntes Widerspruchsrecht. Er kann dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses beim Betriebsübergang auf den Erwerber widersprechen. Tut er dies, so geht sein Arbeitsverhältnis nicht auf den Erwerber über. Das polnische Recht hingegen kennt kein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers. Gleichwohl kommt es in beiden Rechtsordnungen häufig zu gleichen wirtschaftlichen Ergebnissen. Denn nach polnischem Recht kann sich der Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsübergangs kurzfristig vom Beschäftigungsverhältnis lossagen. Das Ergebnis dieser Lossagung entspricht grob gesprochen dem Widerspruch in Deutschland, da den widersprechenden Arbeitnehmern in aller Regel eine betriebsbedingte Kündigung droht, weil der Veräußerer diese häufig mangels Beschäftigungsmöglichkeiten infolge des Betriebsübergangs nicht weiter beschäftigen kann.
Widerspricht der Arbeitnehmer in Deutschland jedoch dem Betriebsübergang nicht, so geht nach deutschem Recht nicht nur das Arbeitsverhältnis mit über, sondern damit auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Denn ein isolierter Widerspruch ist nicht zulässig und nach der Rechtsprechung in Deutschland betrifft der Betriebsübergang auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot als Teil des Arbeitsverhältnisses. Dadurch vermeidet das deutsche Recht auch den Widerspruch zwischen dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot dem übergehenden Arbeitsverhältnis: Wenn beides auf den Erwerber übergeht, entsteht von vornherein keine Konfliktlage zwischen Veräußerer und Erwerber.
Im Ergebnis übernimmt der Erwerber somit beim Betriebsübergang in Deutschland sämtliche mit den Arbeitnehmern im Betrieb vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbote. Das kann wegen der obligatorischen Karenzentschädigung eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben. Nach polnischem Recht muss sich der Erwerber hierüber nach der neuen Linie des OG gerade keine Gedanken machen. Daher sollte sich der polnische Investor dessen bewusst sein, dass dieser wichtige Punkt nach deutschem Recht komplett anders gehandhabt wird.
Ein Unterschied, auf den Investoren achten sollten
Diesen wichtigen Unterschied beim Betriebsübergang sollte der polnische Investor rechtzeitig beachten. Denn, obwohl das Recht des Betriebsübergangs in Deutschland wie in Polen auf eine einheitliche Richtlinie der Europäischen Union zurückgeht, gibt es in diesem Bereich – wie aufgezeigt – erhebliche Unterschiede in der Praxis. Diese können eine enorme wirtschaftliche Bedeutung erlangen. Man kann in Bezug auf das Schicksal des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots beim Betriebsübergang schlagwortartig festhalten: Die deutsche und die polnische Rechtspraxis gehen getrennte Wege.
Was heißt das konkret für einen polnischen Investor? Er sollte sicherlich Wert auf eine gründliche arbeitsrechtliche Due Diligence legen. Es muss vor dem Erwerb eines Betriebs in Deutschland sorgfältig geprüft werden, mit welchen Arbeitnehmern wirksam ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wurde. Nur auf dieser Grundlage kann sich der polnische Investor ein hinreichend klares Bild über die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Erwerbs in Deutschland machen.
Dies ist der sechste Teil unserer Serie „Praktische Tipps für polnische Investoren in Deutschland“. Hier sollen praktische Aspekte beim Einstieg polnischer Investoren in den deutschen Markt aufgezeigt werden. Bereits erschienen sind die Einträge, die polnischen Investoren die gewählte deutsche Rechtsformen näher bringen (die GmbH, KG, GmbH & Co. KG und UG), und die interessante Besonderheiten des deutschen Rechts – eine einzigartige Institution des Mitbestimmungsrechts und das Kartellrecht – darstellen.
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