BGH: Auch einseitig unterschriebene Gerichtsstandsklausel kann wirksam sein, soweit erkennbar ist, dass die Klausel von beiden Parteien autorisiert war.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seiner Auslegung des Schriftformerfordernisses aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a) des revidierten Lugano-Übereinkommens (LugÜ) nicht wenige deutsche Juristen überrascht. Es werden sogar Vermutungen über einen Meinungsstreit innerhalb der BGH Senate angestellt.
In seinem Urteil vom 25. Januar 2017 (Az.: VIII ZR 257/15) entschied der VIII. Senat, dass eine Gerichtsstandsklausel nach dem LugÜ wirksam schriftlich vereinbart wurde. Und dies, obwohl der Vertragsentwurf, der die Klausel enthielt, nur von einer der Vertragsparteien unterzeichnet wurde. Das Gericht stützte seine Entscheidung für die Wirksamkeit der Vereinbarung auf die tatsächlichen Gesamtumstände des Vertragsschlusses und der Vertragsausführung. Diese Gesamtumstände ließen nach Auffassung des BGH den sicheren Schluss zu, dass der Vertragsentwurf von beiden Vertragsparteien autorisiert gewesen sei.
Autonome Interpretation des Schriftformerfordernisses im LugÜ
Sowohl in der nationalen Rechtsprechung und Literatur als auch in der Rechtsprechung benachbarter europäischer Gerichte besteht Einigkeit darüber, dass das Schriftformerfordernis des LugÜ nicht auf der Grundlage vergleichbarer nationaler Rechtsbegrifflichkeiten interpretiert werden darf.
In Urteilen und Kommentaren wird regelmäßig ausgeführt, dass eine Unterzeichnung oder gar eine eigenhändige Unterschrift ebenso wenig erforderlich ist, wie ein einheitliches Schriftstück. So wird betont, dass die Einigung über die Gerichtsstandsklausel auch in zwei getrennten Schriftstücken wie z.B. einem Briefwechsel erfolgen könne. Entscheidend sei vielmehr, dass der Wille der Parteien in irgendeiner Form schriftlich niedergelegt sei und die Urheber erkennen ließe.
Hohe Anforderungen an Beweis der Einigung über Gerichtsstandsvereinbarung
Obwohl die Anforderungen an die Einhaltung der Schriftform nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a) LugÜ gegenüber dem Schriftformerfordernis nach deutschem Recht geringer erscheinen, wird in der europäischen und nationalen Rechtsprechung seit jeher eine enge Auslegung dieser Vorschrift gefordert, da mit ihr vertraglich Ausnahmen von den allgemeinen und besonderen Zuständigkeitsregelungen dieses Gesetzes geschaffen werden.
Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob die eine abweichende Zuständigkeit begründende Klausel
tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist. (EuGH, Urteil v. 20.02.1997 – Rs. C-106/95 )
Das Formerfordernis dient dem Beweis darüber, dass eine solche Einigung tatsächlich zwischen den Parteien feststeht – und damit auch der Rechtssicherheit.
In drei früheren Entscheidungen anderer Senate des BGH konnte eine entsprechende Einigung nicht nachgewiesen werden. Die Gerichtsstandsvereinbarungen waren in diesen Fällen in einer Bürgschaftserklärung (Urteil v. 22.02.2001 – IX ZR 19/00), einer Vollmachtsurkunde (Urteil v. 16.01.2015 – IX ZR 194/13) und AGB (Urteil v. 06.07.2004 – X ZR 171/02) enthalten.
Nach Ansicht der erkennenden Senate genügt es für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nicht allein schon, wenn die Partei, zu deren Lasten die vorgesehene Gerichtsstandsvereinbarung geht, eine von der anderen Partei einseitig vorformulierte Erklärung unterschrieben zurücksendet, nachdem sie vom Inhalt der darin unter anderem enthaltenen Klausel Kenntnis erlangt hat.
Keine Änderung der Rechtsprechung
Die genannten Fälle unterscheiden sich von dem nun zuletzt vom VIII. Senat entschiedenen Fall in zwei wesentlichen Punkten: Es existierte ein gemeinsam ausgehandelter schriftlicher Vertragsentwurf und die Parteien haben entsprechend dessen Inhalt die Vertragsleistungen ausgeführt. Obgleich dieser Vertragsentwurf nicht von beiden Parteien unterschrieben wurde, genügte den Richtern die zeitnahe wechselseitige Ausführung gemäß dem Entwurfstext als Beweis für die entsprechende Einigung der Parteien.
Ob dies auch der Vorstellung des EuGH und der anderen Senate von einer „klar und deutlich″ zum Ausdruck kommenden Willenseinigung entspricht, ist fraglich. Sie hatten einen solchen Fall jedoch nicht zu entscheiden.
Vorsicht bei Verhandlungen über Gerichtsstandsvereinbarungen
Die Entscheidung vom 25. Januar 2017 ist also nicht deshalb überraschend, weil sie der bisherigen Rechtsprechung widerspricht, sondern weil mit ihr erstmals die mögliche Tragweite der Regelung des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a) LugÜ und auch der wortgleichen Vorschrift des Art. 25 Abs. 1 S. 3 EuGVVO vor Augen geführt wird.
Bei Vertragsverhandlungen mit Partnern aus der EU, der Schweiz, Norwegen oder Dänemark ist besondere Vorsicht geboten, bei denen bereits schriftliche Vertragsentwürfe, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, kursieren – auch, wenn diese letztlich nicht unterschrieben werden.
Sofern entsprechende Vertragsentwürfe existieren, ist es ratsam, gut beweisbare Tatsachen zu schaffen, sofern eine solche diskutierte Klausel bewusst nicht vereinbart wird. Sonst könnte es passieren, dass sie in einem anschließenden Rechtsstreit dennoch Geltung erlangt.