Das Verfahren der EU-Kommission gegen Kingspan zeigt, dass es Unternehmen mit wahrheitsgemäßen Angaben in der Fusionskontrolle genau nehmen sollten.
In Fusionskontrollverfahren müssen die Unternehmen wahrheitsgemäße Angaben machen. Diese Pflicht wird von den Kartellbehörden auch durchgesetzt, wie der nachfolgend dargestellte Fall zeigt.
Zu dem Fall Kingspan
Am 19. März 2024 hat die Europäische Kartellbehörde eine Mitteilung der Beschwerdepunkte wegen unrichtiger, unvollständiger und irreführender Angaben im Fusionskontrollverfahren an den irischen Dämmplattenhersteller Kingspan Group plc (Kingspan) versandt und ihn damit förmlich über diese gegen ihn erhobenen Vorwürfe in Kenntnis gesetzt.
Kingspan hatte beabsichtigt, den slowenischen Hersteller von Gebäudehüllenlösungen Trimo, arhitekturne rešitve, d.o.o. (Trimo) zu übernehmen. Beide Unternehmen sind führende Anbieter von Mineralfaser-Sandwichpaneelen, die für den Bau, die Renovierung und die Isolierung von Industrie- und Gewerbegebäuden verwendet werden.
Dieses Vorhaben meldete Kingspan am 3. März 2021 bei der Europäischen Kommission zur Freigabe an. Vorläufige wettbewerbliche Bedenken, dass die geplante Übernahme zu weniger Wettbewerb und höheren Preisen auf einigen Märkten für Mineralfaser-Sandwichpaneele führen könnte, veranlassten die Europäische Kommission im April 2021 dazu, die zweite Prüfungsphase einzuleiten.
Das Fusionskontrollverfahren bestätigte die Bedenken der Europäischen Kommission, sodass sie im März 2022 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte versandte, in der sie darlegte, dass die geplante Übernahme den Wettbewerb auf bestimmten Baustoffmärkten beeinträchtigen könnte und dadurch höhere Preise, geringere Qualität und weniger Auswahl zulasten der Verbraucher mit sich bringen würde.
Letztlich gaben Kingspan und Trimo ihr Vorhaben im April 2022 auf.
Dies hielt die Europäische Kommission nicht davon ab, Ermittlungen gegen den Anmelder einzuleiten. Gegenstand dieser Ermittlungen: Mögliche vorsätzlich oder fahrlässig getätigte unrichtige, unvollständige und bzw. oder irreführende Angaben von Kingspan im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens der Europäischen Kommission. Diesen Verdacht sah die Europäische Kommission als erhärtet an und stellte dem Unternehmen ihre Beschwerdepunkte zu. Darin wirft sie Kingspan vor, es bei Angaben zu grundlegenden Fakten über die interne Organisation von Kingspan sowie bei Angaben zu grundlegenden Fakten, die zur Beurteilung der Abgrenzung des sachlich und räumlich relevanten Marktes, des Bestehens von Marktzutritts- und Expansionsschranken, der Bedeutung von Innovation und der wettbewerblichen Nähe zwischen Kingspan und Trimo sowie zwischen ihnen und ihren Wettbewerbern dienen sollten, nicht ganz so genau genommen zu haben.
Welche Konsequenzen drohen Kingspan jetzt? Neben Reputationsschäden und ab jetzt besonders wachsamen Kartellbehörden droht Kingspan vor allem eine hohe Geldbuße. Wenn die Europäische Kommission zu der Überzeugung kommen sollte, dass Kingspan in dem Fusionskontrollverfahren tatsächlich vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige, unvollständige oder irreführende Angaben gemacht hat, kann sie gemäß Art. 14 Abs. 1 FKVO pro Vergehen eine Geldbuße von bis zu 1 % des weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens verhängen. So klein 1 % auch auf den ersten Blick aussehen mag, bei finanzstarken Unternehmen kann eine gewaltige und schmerzhafte Summe zusammenkommen.
Zur Verfolgungspraxis der Europäischen Kommission
Der Fall ist kein Einzelfall. Die Europäische Kommission wacht sehr streng über die Pflicht der Beteiligten des Fusionskontrollverfahrens, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen, wie ein Rückblick verdeutlicht:
- Im Jahr 2017 verhängte die Europäische Kommission eine Geldbuße in Höhe von EUR 110 Mio. gegen Facebook wegen unrichtiger bzw. irreführender Angaben bei der Übernahme von WhatsApp.
- Im Jahr 2019 erließ die Europäische Kommission eine Geldbuße in Höhe von EUR 52 Mio. gegen General Electric, weil das Unternehmen bei seiner geplanten Übernahme von LM Wind zunächst unrichtige Angaben gemacht hatte.
- Zuletzt bebußte die Europäische Kommission im Jahr 2021 den Laborchemikalienhersteller Sigma-Aldrich in Höhe von EUR 7,5 Mio. wegen Vorlage unrichtiger bzw. irreführender Angaben bei dessen Übernahme durch den Chemie- und Pharmakonzern Merck.
Auch das Bundeskartellamt wacht über die Wahrheitspflicht im Fusionskontrollverfahren
Aber auch für das Bundeskartellamt hat die Durchsetzung dieser Pflicht hohe Priorität. Nach § 39 Abs. 3 Satz 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) dürfen in der Anmeldung eines Zusammenschlusses keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht oder benutzt werden, um die Kartellbehörde zu veranlassen, eine Untersagung des Zusammenschlusses oder eine Mitteilung, dass das Bundeskartellamt in das Hauptprüfverfahren eingetreten ist, zu unterlassen. Verstöße gegen diese Vorschrift können mit Geldbußen geahndet werden, und das Bundeskartellamt hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht:
- Im Jahr 2005 verhängte das Bundeskartellamt gegen das Unternehmen INVISTA Resins & Fibers GmbH wegen unrichtiger Angaben im Fusionskontrollverfahren ein Bußgeld in Höhe von EUR 250.000.
- Im Jahr 2013 bebußte das Amt Herrn Clemens Tönnies, den beherrschenden Gesellschafter eines an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmens, in Höhe von EUR 90.000 wegen Unvollständigkeit der Anmeldung des Zusammenschlusses.
- 2016 erließ das Bundeskartellamt gegen Bongrain Europe SAS ein Bußgeld in Höhe von EUR 90.000, da die Anmeldung des Erwerbs der Anteilsmehrheit an der Molkerei Söbbeke GmbH unrichtige Angaben enthielt.
In Sachen Kingspan ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Kingspan hat nun die Möglichkeit, die Akte der Europäischen Kommission einzusehen und zu der versandten Mitteilung der Beschwerdepunkte schriftlich oder mündlich durch Beantragung einer Anhörung Stellung zu nehmen und sich gegen die Vorwürfe zu wehren.
Weitere Informationen über den Fortgang des Verfahrens gegen Kingspan werden auf der Webseite der Europäischen Kommission im öffentlich zugänglichen Register unter der Nummer der Wettbewerbssache M.10962 veröffentlicht. Dort kann das weitere Geschehen verfolgt werden.
Schlussfolgerung: Angaben in Fusionskontrollverfahren überprüfen
Zusammenfassend lässt sich für die Praxis festhalten: Was die Kartellbehörde nicht weiß, findet sie im Zweifel heraus. Unrichtige, unvollständige oder irreführende Angaben in der Fusionskontrolle sind daher riskant – und für dieses Risiko müssen Unternehmen im schlimmsten Fall teuer bezahlen. Daher ist Unternehmen unbedingt zu raten, ihre Angaben in Fusionskontrollverfahren vorab kritisch zu prüfen.