Facebooks Nutzungsbedingungen sind nach Auffassung des Bundeskartellamts kartellrechtswidrig. Facebook soll demnach zur „Entflechtung“ sein Geschäftsmodell ändern.
Am 7. Februar 2019 hat das Bundeskartellamt sein Verfahren gegen Facebook wegen des Vorwurfs eines Marktmachtmissbrauchs abgeschlossen.
Gegenstand des seit März 2016 laufenden Verfahrens sind die Nutzungsbedingungen von Facebook zur Sammlung und Verarbeitung von Daten aus „Drittquellen″. Durch die umfassende Zusammenführung von Eigen- und Drittdaten kann Facebook sich ein genaues Profil zu jedem Facebook-Nutzerkonto erstellen.
Das Bundeskartellamt hält die Nutzungsbedingungen für missbräuchlich und kartellrechtswidrig. Es stellt einen sog. Konditionenmissbrauch gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB fest. Die Regelung enthält u.a. das an den Marktbeherrscher gerichtete Verbot, Geschäftsbedingungen zu fordern, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden.
Die Bonner Wettbewerbshüter haben Facebook dazu verpflichtet, seine Nutzungsbedingungen anzupassen und sein Geschäftsmodell in Bezug auf Datensammlung und -verarbeitung zu ändern. Hinsichtlich der Daten soll es zu einer Art „innerer Entflechtung″ kommen – wenn die von Facebook bereits angekündigte Beschwerde beim OLG Düsseldorf keinen Erfolg haben sollte.
§ 19 GWB verbietet Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
§ 19 GWB verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Eine marktbeherrschende Stellung ist nicht verboten. Ein Marktbeherrscher trägt aber eine besondere Verantwortung dafür, den wirksamen und unverfälschten Wettbewerb nicht zu beeinträchtigen.
Facebook Marktbeherrscher auf dem deutschen Markt für soziale Medien
Nach Auffassung des Bundeskartellamts ist Facebook Marktbeherrscher auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke. Gemäß § 18 Abs. 4 GWB wird eine individuelle Marktbeherrschung ab einem Marktanteil von 40 % widerleglich vermutet. In Deutschland nutzen rund 32 Mio. private Nutzer monatlich Facebook und davon rund 23 Mio. täglich. Mit einem Nutzeranteil von über 90 % ist Facebook das größte soziale Netzwerk. Dass Facebook und andere soziale Netzwerke für den Nutzer grundsätzlich unentgeltlich sind, steht der Annahme eines Marktes nicht entgegen (§ 18 Abs. 2a GWB).
LinkedIn, WhatsApp, Snapchat, Instagram usw. nicht Teil des Marktes
Das Bundeskartellamt hat Berufsnetzwerke (LinkedIn und Xing), Messaging-Dienste (z.B. WhatsApp), das Videoportal Youtube oder Dienste wie Snapchat, Twitter, Pinterest oder Instagram nicht dem Markt für soziale Netzwerke zugeordnet. Aus Sicht der privaten Nutzer würden sie weit überwiegend einem anderen Bedarf dienen.
Doch selbst wenn man einige dieser Dienste in den Markt einbeziehen würde, wäre der Marktanteil von Facebook nach den Feststellungen des Amtes nur unwesentlich geringer. Dienste wie WhatsApp oder Instagram gehören zum Facebook-Konzern und wären auch bei einem weiten Markt entsprechend in die Marktanteilsberechnungen einzubeziehen gewesen.
Überragender Datenzugang, Netzwerkeffekte, Lock-in-Effekte
Zum hohen Marktanteil von Facebook traten nach Feststellung des Bundeskartellamts weitere Umstände, die eine Marktbeherrschung untermauern. Dazu zählen u.a. der überragende Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, insbesondere zu den persönlichen Daten seiner Nutzer und die Größenvorteile aufgrund von Netzwerkeffekten. Direkte Netzwerkeffekte bedeuten, dass die Attraktivität sozialer Netzwerke für Nutzer steigt, je mehr andere Personen sie nutzen.
Das Bundeskartellamt wendet insofern die neuen Marktmachtkriterien an, die der deutsche Gesetzgeber erst im Juni 2017 mit der 9. GWB-Novelle als Reaktion auf die gestiegene wirtschaftliche Bedeutung der internet- und datenbasierten (Big Data-)Geschäftsmodelle in § 18 Abs. 3a GWB integriert hat. Das Bundeskartellamt verweist zudem auf hohe Markteintrittsbarrieren: Für Nutzer bestünden erhebliche Hürden für Wechsel zu Wettbewerbern (sog. Lock-in-Effekte).
Nutzungsbedingungen von Facebook ermöglichen Zusammenführung zu Nutzerprofil
Nach den Geschäftsbedingungen von Facebook können Nutzer das soziale Netzwerk bislang nur dann nutzen, wenn Facebook auch außerhalb der Facebook-Seite Daten über den Nutzer im Internet oder auf Smartphone-Apps sammeln und dem Facebook-Nutzerkonto zuordnen darf.
Alle auf Facebook selbst, den konzerneigenen Diensten (z.B. WhatsApp und Instagram) sowie den auf Dritt-Webseiten/-Apps mittels sog. „Facebook Business Tools″ (z.B. mittels eines Facebook „Like-Buttons″, eines „Facebook Logins″ oder „Facebook Analytics″) gesammelten Daten können mit dem Facebook-Nutzerkonto zusammengeführt werden. Der „Like-Button″ muss für den Datenfluss zu Facebook nicht genutzt werden, der Aufruf der Drittseite/-app genügt. Durch die Zusammenführung erhält Facebook für jeden Nutzer ein genaues Profil.
Konditionenmissbrauch: Schnittstelle von Datenschutz- und Kartellrecht
Beim sog. Konditionenmissbrauch in § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB ist die Missbräuchlichkeit von Geschäftsbedingungen am Maßstab der Wertungen des Kartellrechts und der Rechtsordnung zu untersuchen. Hierzu bedarf es einer Interessenabwägung, in die u.a. auch datenschutzrechtliche Wertungen herangezogen werden können.
An der insofern eröffneten Schnittstelle von Datenschutz- und Kartellrecht setzten die Bonner Wettbewerbshüter an. Das obligatorische Häkchen bei der Zustimmung in die Nutzungsbedingungen stelle keine ausreichende Grundlage für eine derartig intensive Datenverarbeitung dar. Eine freiwillige Einwilligung sei nicht gegeben. Der Nutzer befinde sich in einer Zwangssituation: Entweder er akzeptiert die umfassende Datenzusammenführung oder aber er verzichtet ganz auf die Nutzung von Facebook.
Bundeskartellamt verlangt „innere Entflechtung„
Das Bundeskartellamt zwingt Facebook zu einer Art „innerer Entflechtung bei den Daten„. Der Tech-Gigant hat das beanstandete Verhalten innerhalb von zwölf Monaten abzustellen und seine Nutzungs- und Datenverarbeitungskonditionen anzupassen – und damit einen wesentlichen Teil des Geschäftsmodells. Kern der Anpassung ist die Verhinderung der Daten-Zusammenführung (ohne Einwilligung).
Freiwillige Einwilligung des Nutzers für Sammlung und Zusammenführung
Im Einzelnen soll die Entflechtung wie folgt erfolgen:
- Facebook-Dienste (z.B. WhatsApp oder Instagram) dürfen weiterhin Daten sammeln. Facebook darf diese Daten unter dem Facebook-Nutzerkonto aber nur zusammenführen, wenn der Nutzer freiwillig in die Zusammenführung einwilligt. Andernfalls müssen die Daten bei den jeweiligen Diensten verbleiben.
- Facebook darf Daten von Drittseiten nur dann sammeln und dem Facebook-Nutzerkonto zuordnen, wenn der Nutzer freiwillig in diese Zuordnung einwilligt. Bereits für die Sammlung muss die freiwillige Einwilligung des Nutzers vorliegen. Unter freiwillig verstehen die Bonner Wettbewerbshüter, dass die Nutzung der Facebook-Dienste nicht wie bisher von der Erteilung dieser Einwilligung abhängig gemacht werden darf.
- Facebook darf die Nutzung des eigenen sozialen Netzwerks weiterhin davon abhängig machen, dass die Daten, die bei der Nutzung von Facebook selbst anfallen, verarbeitet werden.
Will Facebook weiterhin ohne Einwilligung der Nutzer Daten aus anderen Quellen sammeln und mit dem Facebook-Nutzerkonto zusammenführen, muss es dem Bundeskartellamt entsprechende Bedingungen innerhalb der nächsten vier Monate vorlegen.
Gewisse Daten darf Facebook weiterhin zusammenführen, so der Präsident des Bundeskartellamts Mundt in der Pressekonferenz, etwa Daten zu Sicherheitsfragen und zur Forschung (z.B. zu Künstlicher Intelligenz).
Anders als die Kommission in Google/Alphabet: Kein Bußgeld und Lösungsmöglichkeiten in Sicht
Das Bundeskartellamt verhängte, anders als die Kommission in den Missbrauchsverfahren gegen Google/Alphabet(Rekordbußgelder von EUR 4,34 Mrd. (Android) und EUR 2,42 Mrd. (Google Search Shopping)), kein Bußgeld. Ein Bußgeldverfahren sei bei einem komplexen Sachverhalt mit einer Reihe von rechtlichen und ökonomischen Fragestellungen weniger geeignet, so das zu begrüßende „Mantra″ in Bonn. Dass die Google/Alphabet-Verfahren tatsächlich, rechtlich und ökonomisch nicht einfacher gelagert sind, dürfte allerdings auf der Hand liegen.
Das Bundeskartellamt scheint hinsichtlich der Möglichkeit einer fortgesetzten Datenzusammenführung durch Facebook wohl bereits „verschiedene Lösungsmöglichkeiten″ im Kopf zu haben. Auch das schien in den Google/Alphabet-Verfahren nicht der Fall gewesen zu sein. Die Kommission forderte die Abstellung des missbräuchlichen Verhaltens und verwies bezüglich der Erzielung eines kartellrechtskonformen Zustands weitgehend auf die Verantwortung von Google/Alphabet. Ob das Unternehmen sich an die Brüsseler Entscheidung hält, ist insbesondere im Google Search Shopping-Verfahren Gegenstand fortdauernder Kontroversen.
Einschätzung: „Kartellrechtliche Leitplanken in der Internetökonomie″
Das Bundeskartellamt hat in vielerlei Hinsicht Neuland betreten. Es hat die Schnittstelle von Datenschutz und Kartellrecht sowie die neuen Marktmachtkriterien des § 18 Abs. 3a GWB praktisch erprobt und „kartellrechtliche Leitplanken in der Internetökonomie″ (Mundt) eingezogen.
Facebook kündigt Beschwerde an
Facebook hat bereits angekündigt, Beschwerde vor dem OLG Düsseldorf einzulegen. Dem Tech-Unternehmen zufolge übersieht das Bundeskartellamt drei Punkte, nämlich:
- Popularität sei nicht gleichbedeutend mit Marktbeherrschung,
- Facebook befolge die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung,
- Dienstübergreifende Informationsnutzung mache die Facebook-Plattformen besser und stärke die Sicherheit.
Es bleibt daher abzuwarten, wie fest das Bundeskartellamt die Leitplanken tatsächlich eingezogen hat.
Ausblick: Digital Antitrust Compliance
Mit dem Verfahren gegen Facebook hat das Bundeskartellamt in jedem Fall deutlich gemacht, dass die Internetökonomie im Fokus der Verfolgungspraxis steht.
Das zeigt sich auch an dem im Juni 2018 initiierten Projekt des Bundeskartellamts und seines französischen Pendants, der Autorité de la concurrence, zu Algorithmen und ihren Implikationen auf den Wettbewerb. Das Projekt soll vor allem dazu dienen, die sich aus dem Einsatz von Algorithmen ergebenden Herausforderungen zu analysieren und mögliche konzeptionelle Ansätze zum Umgang mit diesen zu identifizieren.
Der Trend ist eindeutig: Digital Antitrust Compliance muss sein.