13. Juli 2018
Luxus Drittplattformverbot
Kartellrecht

Selektiver Vertrieb: OLG Frankfurt bestätigt nach EuGH-Vorlage die Rechtmäßigkeit von Drittplattformverboten

Selektiver Vertrieb: Das OLG Frankfurt setzt die EuGH-Segelanweisung um und urteilt zugunsten der Luxuskosmetikherstellerin Coty über Drittplattformverbote.

Das OLG Frankfurt hat das Berufungsverfahren in Sachen Coty mit Urteil vom 12. Juli 2018 (Az.11 U 96/14 (Kart)) entschieden: Das von der Luxuskosmetikherstellerin Coty im selektiven Vertrieb mit der Parfümerie Akzente vereinbarte Drittplattformverbot ist zulässig.

Das Urteil erging, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH“) im Dezember 2017 bereits abstrakt Drittplattformverbote beim selektiven Vertrieb von Luxuswaren für kartellrechtlich zulässig erklärt hatte. Das Urteil entspricht weitgehend der Segelanweisung des EuGH-Urteils und enthält darüber hinaus weitere Ausführungen zur Zulässigkeit von Drittplattformverboten sowie hilfreiche Anhaltspunkte zur Ermittlung des Luxuscharakters von Produkten.

Drittplattformverbot von Coty

Coty begründet ihr selektives Vertriebssystem ausdrücklich mit dem Luxusimage und dem Prestigecharakter ihrer Marken. Zugleich will Coty ihren Händlern vorgeben, dass ihr Onlineshop nicht eine andere Geschäftsbezeichnung aufweisen darf als ihr stationärer Shop. Dieses Drittplattformverbot untersagt den Händlern die Einschaltung von beim Verkauf offen auftretenden Drittunternehmen und damit auch den Verkauf über Internetmarktplätze wie Amazon oder eBay.

Selektiver Vertrieb: Metro-Rechtsprechung des EuGH

Nach der sog. Metro-Rechtsprechung des EuGH fällt die Organisation eines rein qualitativen selektiven Vertriebsnetzes nicht unter das Kartellverbot, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Das selektive Vertriebssystem ist dann ein mit dem Wettbewerb vereinbarer Bestandteil. Hierzu muss

  1. die Beschaffenheit des fraglichen Erzeugnisses ein selektives Vertriebsnetz erfordern, etwa zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs, und
  2. die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Kriterien qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle potentiellen Wiederverkäufer festgelegt und unterschiedslos angewendet werden und
  3. dürfen die festgelegten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.

Rechtsunsicherheit und Vorlage an den EuGH

Der Rechtsstreit zwischen Coty und der beklagten Parfümerie hat kartellrechtliche Berühmtheit erlangt, weil der Frankfurter Senat mit Beschluss vom 19. April 2016 (Az.: 11 U 96/14 (Kart)) den EuGH zur Klärung streitiger Fragen rund um selektiven Vertrieb, die Metro-Rechtsprechung und Drittplattformverbote angerufen hatte.

Die Zulässigkeit von Drittplattformverboten war in den letzten Jahren Thema zahlreicher Diskussionen und Gegenstand divergierender gerichtlicher Entscheidungen. Für Verwirrung gesorgt hatte insbesondere das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2011 in der Rechtssache Pierre Fabre (Rs. C‑439/09). Damals hatte das Gericht – bezogen auf Kosmetik – klargestellt, dass das Ziel, den Prestigecharakter einer Ware zu schützen, kein Totalverbot des Internetvertriebs rechtfertige.

Insbesondere das Bundeskartellamt verstand das Pierre Fabre-Urteil dahingehend, dass der Schutz eines Luxusimages selektive Vertriebssysteme und Plattformverbote als solche nicht mehr rechtfertigen könne. Diese führte in der Folge zu erheblicher Verunsicherung bei Luxus- und Markenherstellern.

EuGH schafft Klarheit: Selektives Vertriebssystem zur Wahrung eines Luxusimages nicht vom Kartellverbot erfasst

Auf die Vorlage des OLG Frankfurt haben die Luxemburger Richter diese Rechtsunsicherheit mit Urteil vom 6. Dezember 2017 (Rs. C-230/16), jedenfalls bezogen auf Luxusprodukte, beseitigt. Nach Auffassung des EuGH ist ein selektives Vertriebssystem für Luxuswaren, das primär der Sicherstellung des Luxusimages dieser Waren dient, unter Beachtung der weiteren Metro-Kriterien grundsätzlich nicht vom Kartellverbot erfasst. Die Qualität von Luxuswaren beruhe nämlich auch auf ihrem Prestigecharakter, so dass eine Schädigung dieses Charakters geeignet sei, die Qualität der Waren selbst zu beeinträchtigen. Das selektive Vertriebssystem – ggf. einschließlich eines Drittplattformverbots – sei notwendig, um das Wesen der Ware als Luxusprodukt zu qualifizieren.

Der EuGH hielt weiter fest, dass ein Drittplattformverbot, selbst wenn es im konkreten Fall nicht erforderlich sein sollte, um ein bestimmtes Image sicherzustellen, jedenfalls bei Luxuswaren keine Kernbeschränkung i.S.d. Art. 4 lit. b) oder c) Vertikal-GVO und damit freistellungsfähig sei. Das bedeutet, es stellt weder eine Beschränkung der Kundengruppe noch eine Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher dar. Einen Marktanteil von Hersteller und Händler von jeweils nicht mehr als 30 % vorausgesetzt, profitiert ein Selektivvertrag für Luxuswaren mit einem Drittplattformverbot daher vom Schutz der Vertikal-GVO.

OLG Frankfurt setzt Segelanweisung des EuGH konkret um und geht darüber hinaus

Da der EuGH nur abstrakt über die ihm vorgelegten Rechtsfragen zu entscheiden hatte, musste das OLG Frankfurt den Rechtsstreit auf Grundlage der Antwort der Luxemburger Richter noch in concreto entscheiden. Das Urteil entspricht der Segelanweisung des EuGH-Urteils und geht darüber sogar noch hinaus.

Die Frankfurter Richter ließen offen, ob die Metro-Kriterien vorliegend erfüllt waren und Art. 101 Abs. 1 AEUV überhaupt tatbestandsmäßig eingreift. Es spreche zumindest viel dafür. Gleichzeitig ließen die Richter aber auch erkennen, dass es durchaus Konstellationen geben könne, in denen das Drittplattformverbot ohne Rücksicht auf dessen konkrete Ausgestaltung einmal nicht erforderlich sein möge. In diesem Zusammenhang merkten die Richter etwa an, dass der EuGH wohl nicht berücksichtigt habe, dass der Plattformvertrieb in Deutschland eine weitaus größere Rolle spiele als in den anderen EU-Staaten.

Luxusimage: Verbrauchersicht, Marketingmaßnahmen und Produktplatzierung relevant

Interessante Ausführungen enthält das Urteil zudem zur Frage, wann Produkten tatsächlich ein Luxusimage zukommt. Maßgeblich sei die Sicht des Verbrauchers. Nur wenn dieser die „luxuriöse“ Ausstrahlung überhaupt als solche wahrnehme und wertschätze, sei es in seinem Interesse, dass diese geschützt werde. Das Luxusimage entstehe im Wesentlichen nicht von selbst, sondern beruhe in weiten Teilen auf entsprechenden Marketingaktivitäten des Herstellers. Dieser könne ein Produkt durch Marketingmaßnahmen mit einer von den Nachfragern geschätzten Konnotation „aufladen“, die über die rein funktionale Bedeutung des Produktes hinausgehe, und so eine Produktdifferenzierung durchführen.

Ebenfalls Grundlage für die Etablierung eines Luxuscharakters sei die Platzierung der Produkte in einem hochwertigen Marktsegment, etwa über den Vertrieb in einem eigenen, von der „Massenware“ abgegrenzten Vertriebskanal. Hierbei bilde der selektive Vertrieb ein die Luxus- und Prestigeeigenschaft prägendes Element. Insoweit liege es zunächst in der Entscheidungskompetenz des Markeninhabers, ob er für bestimmte Marken einen Luxusanspruch formuliere und diesen durch entsprechende Maßnahmen weiter aufbaue. Die Richter führten weiter aus, dass das insgesamt mit einer Produktlinie verbundene Luxusimage nicht beeinträchtigt werde, wenn einzelne Produkte aus einer solchen Produktlinie nicht das Kriterium der Hochpreisigkeit erfüllen würden.

Drittplattformverbote ohne Weiteres freistellungsfähig

Im Ergebnis kam es auf die Metro-Rechtsprechung nicht an. Denn jedenfalls würde die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV i.V.m. der Vertikal-GVO eingreifen. Eine Markt- oder Kundenaufteilung finde durch das Plattformverbot nicht statt. Durch das Plattformverbot werde geregelt, in welcher Form der Händler verkaufen dürfe, nicht an wen er dies tun dürfe. Daher liege keine Kernbeschränkung vor. Diese Wertung traf das Gericht ohne Bezugnahme auf das Luxusimage und den selektiven Vertrieb. Dies bedeutet, dass Drittplattformverbote nach Auffassung des OLG Frankfurt ohne Weiteres freistellungsfähig sind.

Die Ansicht der Richter deckt sich mit der Auffassung der EU-Kommission und steht in Widerspruch zur ersten Twitter-Reaktion des BKartA auf das Coty-Urteil des EuGH, dass dieses für die Praxis des BKartA nur begrenzte Auswirkung habe und Markenhersteller nach wie vor keinen Freibrief bei Plattformverboten hätten. Begrüßenswerter Gegenwind kam von der EU-Kommission. Diese hat im Anschluss an das Coty-Urteil die jedenfalls begründete Auffassung vertreten, dass bei der Frage, ob Drittplattformverbote Kernbeschränkungen i.S.d. Vertikal-GVO sind, nicht zwischen Produktkategorien zu unterscheiden sei (Competition Policy Brief 2018-01). Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in derAsics-Entscheidung (Az.: KVZ 41/17) Preissuchmaschinenverbote für selbstverständlich unzulässig erklärt.

OLG Hamburg: Drittplattformverbote bei Nicht-Luxusgütern zulässig

Von einer Zulässigkeit von Drittplattformverboten bei Nicht-Luxusgütern geht auch das OLG Hamburg aus: Mit Urteil vom 22. März 2018 haben die Richter entschieden, dass ein Hersteller von qualitativ hochwertigen Nahrungsergänzungsmitteln, Kosmetika, Fitnessgetränken sowie Körperpflegeprodukten mit marktspezifischem Image den Vertriebshändlern seines qualitativen selektiven Vertriebssystems wirksam den Vertrieb über bestimmte Online-Verkaufsplattformen untersagen darf. Das Urteil erweiterte das Coty-Urteil letztlich auf Nicht-Luxusprodukte (hierzu unser Blog-Beitrag vom 6. Juni 2018).

Relevanz für Markenprodukte

Das Urteil des OLG Frankfurt war angesichts der stark sachverhaltsbezogenen Ausführungen des EuGH vorherzusehen. Auch die Frankfurter Richter verwiesen auf den engen Rahmen, den ihnen der EuGH gesteckt hatte. Zur Verhältnismäßigkeit des Plattformverbotes i.S.d. Metro-Rechtsprechung fragten sie sich, ob sie im Hinblick auf die detaillierte Abwägung des EuGH auf der Grundlage des unterbreiteten Sachverhalts, einschließlich der konkret gegenständlichen Klausel, noch zu einer eigenständigen Beurteilung unter Berücksichtigung weiterer Argumente befugt seien. Das konnten sie offen lassen, weil sie den Fall über die Freistellung nach der Vertikal-GVO entschieden.

Besonders hilfreich sind die grundsätzlichen Anhaltspunkte, die das OLG Frankfurt den Praktikern für die Frage der Abgrenzung zwischen Luxus- und Nicht-Luxusgütern an die Hand gibt. Diese Abgrenzung scheint noch relevant. Denn wie angesprochen, ist das Zusammenspiel zwischen der in Rede stehenden Produktkategorie, den Metro Kriterien und der Vertikal-GVO noch nicht gänzlich geklärt: Das Bundeskartellamt und die EU Kommission scheinen hierzu unterschiedliche Auffassungen zu vertreten.

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